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"Will ja arbeiten, aber schießen kann ich nicht"

Von Rainer Mayerhofer

Politik

"Bis jetzt ist mir die Gelegenheit gegeben worden, nachzugeben. Ich will ja arbeiten, aber schießen, das kann ich nicht". In der Todeszelle in Berlin-Plötzensee schrieb der 19jährige Gerhard | Steinacher am 29. März 1940 in seinem Abschiedsbrief an die Eltern in Wien diese Zeilen, einen Tag bevor er wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet wurde. Es dauerte mehr als 58 Jahre, bis das Urteil | im November 1998 vom Wiener Landesgericht für Strafsachen aufgehoben wurde.


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Gerhard Steinacher war einer von 54 österreichischen Zeugen Jehovas, die in der NS-Zeit wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet wurden. Sechs von ihnen wurden bisher rehabilitiert, weitere

Anträge sind bereits gestellt.

Gerhard Steinacher war der zweite Sohn einer Wiener Familie. Sein Bruder, ein Student, war 19jährig im Jahr 1937 gestorben. Er selbst, der nach einer kaufmännischen Lehre in einer

Lebensmittelgroßhandlung arbeitete, wurde am 15. September 1939 wegen Wehrdienstverweigerung verhaftet und am 28. Oktober nach Berlin überstellt, wo er in einem ersten Verfahren am 11. November zum

Tode verurteilt wurde. Das Todesurteil wurde in einem zweiten Verfahren im März 1940 bestätigt und am 30. März vollstreckt.

Zwei Briefe der Eltern, die Gerhard nicht mehr erreicht haben, kommen mit der lakonischen Aufschrift "Empfänger verstorben" nach Wien zurück.

Als der Vater nach dem Krieg im Jahre 1947 Auskunft über die Grabstätte des hingerichteten Sohnes verlangt, teilt ihm der Generalstaatsanwalt mit: "Da die Strafakten gegen ihren Sohn infolge

Kriegseinwirkung vernichtet worden sind, bin ich leider nicht in der Lage, ihnen die Grabstätte ihres Sohnes bekanntzugeben, sowie ihnen den Staatsanwalt namhaft zu machen, welcher die

Strafverfolgung geführt hat".

In dem fünfziger Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, der 1950 59jährig an Krebs gestorben ist, läßt Gerhards Mutter auf dem Familiengrab die Inschrift "Gerhardt Steinacher · Er starb für Gottes Ehre

i. J. 1940" anbringen". Der Steinmetz hat dem Vornamen fälschlich ein "T" hinzugefügt. Seit ihm Vorjahr das Familiengrab auf dem Meidlinger Friedhof geschliffen wurde, wird der Grabstein · das letzte

Dokument, das an Gerhard Steinacher erinnerte · auf einer Deponie gelagert.

Im Nachlaß der Mutter, die 81jährig im Jahr 1976 verstorben ist, fand man eine Schuhschachtel mit Dokumenten und Briefen. 20 Briefe hat der 19jährige aus dem Gefängnis an seine Eltern geschrieben, in

denen er seine Gewissensnot schildert. Er will nicht sterben, aber seine religiöse Überzeugung · Gerhard Steinacher ist erst Ende Februar 1938 aus der katholischen Kirche ausgetreten, wann er zu den

Zeugen Jehovas kam, denen auch seine Mutter angehörte, weiß man nicht genau · verbietet ihm den Wehrdienst. "Aber schießen kann ich nicht. Und das ist der schwere Punkt, um den es sich dreht. Nun wie

der Herr will, das was kommt, kann ich nicht aufhalten; seid stark, werdet deshalb nicht schwach, sondern haltet weiter noch fester zusammen, haltet durch, ich bin halt noch ein Kind nur wenn der

Herr Kraft gibt, kann ich stehen und um das bitte ich" schrieb er in seinem Abschiedsbrief an die Eltern.

Der aus Ungarn stammende Publizist Gyula Varga hat den Briefwechsel Gerhard Steinachers mit seinen Eltern in einem kleinen Band dokumentiert. Das Buch "Er starb für Gottes Ehre · Wie der Mensch und

die Akte Gerhard Steinacher vernichtet wurde, kann zum Preis von 95 Schilling, zuzüglich 20 Schilling Versandkosten beim Schachendorfer Kulturverein, Hr. Gyula Varga, 7472 Schachendorf 85, bestellt

werden.