Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich, erklärt, was dieser Verein heute noch leisten kann, weshalb Österreich ein Ausstiegsprogramm für Rechtsextreme braucht - und was er als Gewerkschaftsvertreter im ORF-Publikumsrat vertritt.
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"Wiener Zeitung": Herr Mernyi, als Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich (MKÖ) erhalten Sie angeblich immer wieder Post von Leuten, die Sie oder das Komitee beschimpfen. Stimmt das?
Willi Mernyi: Ja, umso mehr, je mehr wir in den Medien präsent sind.
Das Mauthausen Komitee hat erst unlängst eine Broschüre über Nazi-Devotionalien auf Flohmärkten in Österreich herausgebracht. Im Vorjahr haben Sie einen Konditor aus Wiener Neustadt publik gemacht, der Torten mit Nazi-Symbolen anfertigte. Wie kommen Sie an derartige Informationen?
Wie das Mauthausen Komitee an diese Informationen herankommt, ist der schönste Teil an der Geschichte! Bei den Torten war es so, dass uns eine junge Frau anrief und erzählte, dass sie beim Warten auf eine Freundin in der Konditorei den Produktkatalog durchblätterte und dabei entdeckte, dass der Konditor auch Torten mit Nazi-Symbolen im Angebot hatte. Wir haben die Frau gefragt, ob sie auch bereit wäre, in der Öffentlichkeit auszusagen. Das wollte sie absolut nicht. Aber diese Geschichten kommen ins Rollen, indem engagierte Menschen bei uns anrufen und schildern, was sie entdeckt haben. Zum Beispiel einen Grabstein mit der Inschrift "Gefallen für den Führer".
Wie oft bekommen Sie derartige Hinweise?
Etwa einmal pro Woche. Wir nehmen mit den Leuten Kontakt auf und schauen uns das Umfeld an. Macht das ein blöder 16-jähriger Bub? Oder fällt es unter das Verbot der NS-Wiederbetätigung? Wenn jemand eine Originaluniform der SS verkauft und das mit "Geld ist Geld" begründet, ist das kein dummer Bubenstreich. Oder wenn auf einem LKW in großen Lettern die Aufschrift "Führerhaus" prangt, reden wir auch mit dem Unternehmenschef.
Wie war die Resonanz auf die Broschüre zu den Flohmärkten?
Wir hatten eine tolle Resonanz! Wir haben die Broschüre an rund 200 Flohmarktbetreiber in ganz Österreich verschickt, von den Freiwilligen Feuerwehren bis hin zu Caritas und Diakonie, und hatten bisher 300 Bestellungen. Die "Suderei" alleine ist zu wenig. Den Handel mit Nazi-Symbolen zu kritisieren, ist eine Geschichte. Eine andere ist die Lösung, die wir mit unserer Broschüre anbieten: Jetzt können sich Flohmarktbetreiber nicht mehr darauf ausreden, dass sie von diesen Verboten noch nie gehört hätten. Ich habe das auch Mitarbeitern von der "ZiB" erzählt, die meinten, das wäre in Wien kein Thema. Als wir dann gemeinsam auf einen Flohmarkt fuhren und ich ihnen die Dinge zeigte, waren wir nach sechs Minuten mit dem Dreh fertig. Dort waren auch zwei polnische Verkäufer, armselig bekleidet, die wir anzeigen hätten können. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen Druck machen, dass Nazi-Devotionalien nicht gekauft werden.
Im Mai wird in Österreich jedes Jahr der Befreiung des KZs Mauthausen gedacht. Welches wird für das Mauthausen Komitee heuer das Schwerpunktthema sein?
Die Gedenk- und Befreiungsfeiern sind dieses Jahr den Retterinnen und Rettern gewidmet. Den Menschen, die den Verfolgten des NS-Regimes geholfen haben, sie versteckt haben - oder einfach nur am Weg ein paar Kartoffeln haben fallen lassen für die Verfolgten. Es gibt zwar viel Täterforschung, aber kaum Retterforschung. Und diese Aufgabe ist zutiefst weiblich. Es gab nicht nur männliche Partisanen in der Geschichte.
Was kann das Mauthausen Komitee neben dem Gedenken und Aufklären noch leisten, was nicht auch andere Organisationen tun?
Es sind vier Dinge: Kampf gegen Alt-Nazis, Aufklärung, Jugendarbeit und Opfergedenken. Uns geht es vor allem darum, den heutigen Jugendlichen zu vermitteln, was warum passiert ist, wer davon profitiert hat, wer weggeschaut hat, wer angepasst war, und was man heute tun kann. Mit unseren Angeboten wollen wir Jugendliche in ihrer Zivilcourage fördern und dass sie sich mit Rassismus auseinandersetzen, zum Beispiel in der U-Bahn. Damit haben wir in den vergangenen drei Jahren 30.000 junge Menschen erreicht. Im Unterschied zu den 1990er Jahren treten ja die jungen Rechten jetzt cooler, subtiler auf. Wie etwa die Südtiroler Band "Frei.Wild". Sie wurde nach Protesten vom deutschen Musikpreis "Echo" ausgeschlossen, und das in Wels geplante Konzert am 9. Mai hat die Stadtverwaltung abgesagt. Ein anderes Beispiel sind bestimmte Bekleidungsmarken. Wir haben dazu beim Mauthausen Komitee unser Buch "Rechtsextrem" über Symbole, Codes und Musik bereits in der dritten Auflage herausgebracht. Die T-Shirts der Marke Thor Steinar haben deutsche Fußballvereine wie FC Schalke 04 oder Hertha BSC Berlin verboten. Auch die Austria Wien hat inzwischen ein Einlassverbot für Fans, die Thor Steinar-Leiberl tragen, erlassen. Aber es gibt noch viele Grauzonen.
Damit ist es auch schwieriger geworden, hinter rechte Gruppierungen zu kommen.
Sie nehmen sich nicht mehr selbst ins Out, sondern führen eine große Lippe und können andere mitnehmen. Und zwar nicht mehr mit Antisemitismen und auch nicht pauschal gegen "die Ausländer". Sie wollen sich keine Tür zuschlagen, das hat ja schon FPÖ-Obmann Strache vorgemacht mit seinem Pro-Serbien- und Anti-Türkei-Kurs. Sie reiten auf einer Anti-Moslem-Welle. Die modernste Form der Neuen Rechten sind die "Identitären", die sich in Österreich zuletzt gegen die Asylsuchenden in der Wiener Votivkirche gestellt haben.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Verfassungsschutz?
Angespannt! Auch bei der Neonazi-Homepage "Alpen-Adria" war längst klar, wer dahinter steckt. Da hat der Verfassungsschutz (im Innenministerium, Anm.) viel zu lange zugeschaut, bis die Website endlich abgedreht wurde. Das Argument lautet immer wieder, "wir sind ein Geheimdienst". Aber auch gegen die Neonazi-Gruppe "Objekt 21" in Oberösterreich ist jahrelang nichts unternommen worden. In dem Haus, das sie in Windern zwischen Linz und Braunau gemietet hatte, versammelten sich mehr als 300 Anhänger. Bis die Polizei Ende Jänner Waffen und zehn Kilo Sprengstoff fand. Wissen Sie, wie viel zehn Kilo Sprengstoff sind? Da lauten jetzt die Vorwürfe: versuchte Brandstiftung, Körperverletzung, Raub, Nötigung, Entführung, Zuhälterei, Waffen- und Drogenhandel. Und der oberösterreichische Landeshauptmann behauptet, es gäbe keine rechtsextreme Szene in Oberösterreich.
Sie äußern also nicht nur offene Kritik am Verfassungsschutz, sondern auch an Landeshauptmann Pühringer . . .
. . . Er müsste sich doch hinstellen und sagen, "wir haben ein rechtsextremes Problem in Oberösterreich und machen etwas dagegen". Ich bin da zu sehr Gewerkschafter und sage: Reden wir darüber, gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, mit dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes und der Israelitischen Kultusgemeinde. Wir bräuchten einen Verein wie "EXIT-Deutschland", der Leute aus der rechtsextremen Szene herausholt.
Woher wissen Sie, dass Anhänger aus der Szene aussteigen wollen?
Wir haben beim Mauthausen Komitee eine Hotline eingerichtet. Betroffene berichten, dass sie die rechtsextreme Szene immer weiter hinunterzieht und dass sie Angst haben, im Gefängnis zu landen oder bald tot zu sein, wenn sie so weitermachen. Rechtsextremismus führt ja immer irgendwann ins Kriminal.
Können Sie eine Größenordnung nennen, wie viele Aussteiger es gibt?
In Deutschland sind es 1000, die aus der Szene aussteigen wollen.
Und in Österreich?
Fünf pro Jahr. Wenn wir so klein anfangen, würde das die Szene schon destabilisieren. Was bei uns fehlt, ist ein Aussteiger-Programm gemeinsam mit dem Innenministerium. Dazu bräuchten wir einen Verein, in dem Polizisten und das Arbeitsmarktservice mit den Aussteigern zusammenarbeiten.
Die Idee ist also keine Kronzeugenregelung, bei der Rechtsex-tremisten über die Szene ausplaudern, sondern der Schwerpunkt des Programms sollte auf der Wiedereingliederung in die Gesellschaft liegen.
Mit Unterstützung der Krankenkassa. Wir hatten schon einen Aussteiger mit tätowiertem Hakenkreuz am Unterarm. Damit bekommt er nie mehr einen Job. Wir fanden dann zum Glück einen Arzt, der bereit war, das zu entfernen. Die Wiedereingliederung müsste im Rahmen eines außergerichtlichen Tatausgleichs passieren. Ein ehemaliger Rechtsextremist hätte im Gefängnis mit vorwiegend ausländischen Häftlingen nichts zu lachen. Aber das Innenministerium behauptet, von der rechtsextremen Szene in Österreich gehe keine Gefahr aus, "wir haben’s eh unter Kontrolle".
Kommen wir zum ORF. Sie sind Vorsitzender des Programmausschusses des Publikumsrats. Können Sie erklären, was ein Gewerkschaftsvertreter wie Sie im Publikumsrat des ORF macht?
Ich vertrete einen Teil des Publikums und achte darauf, dass Arbeitnehmer-Themen im ORF vorkommen. Dass in den Informationssendungen etwa auch Jugendliche vorkommen, die Zivilcourage haben. Ö3, den ich als Radiosender sehr schätze, tut ja gerade so, als gäbe es unter den Jugendlichen nur Schüler. Dass die Hälfte von ihnen Lehrlinge sind, wird oft vergessen. Ich war selbst Starkstrommonteur, und mir ist es ein Anliegen, dass man die Jugendlichen aus der Lehrlingsecke herausholt. Die Sichtweise der Migranten ist genauso wichtig. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Arbeitswelt stärker vorkommt, aber nicht nur als "Sozialporno".
Ihre berufliche Laufbahn ist steil nach oben verlaufen. Was haben Sie in Ihrer Karriere noch vor?
Nichts. Ich strebe keine parteipolitische Funktion an, das interessiert mich nicht . . .
. . . Das glaube ich Ihnen nicht!
Wirklich. Ich kann’s beweisen.
Sag niemals nie.
Ich habe bisher alle parteipolitischen Ämter abgelehnt.
Aber Sie sind Bundessekretär der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG).
Das ist die einzige parteinahe Funktion.
Sollte ein höheres politisches Amt an Sie herangetragen werden, würden Sie es nicht ablehnen - oder?
Nochmals: Ich bin 44, habe einen tollen Job und bin glücklich mit meiner Tätigkeit in der Gewerkschaft. Nur damit es klar ist: Ich kann kein parteipolitisches Amt übernehmen, sonst würde ich ja den Vorsitz des MKÖ zurücklegen müssen. Mir ist es ein Anliegen, dass das überparteilich bleibt.
Abschließend stelle ich Ihnen eine Frage, bei der man Journalisten vorwirft, dass sie Männern nie gestellt werde. Sie haben zwei Kinder, wie vereinbaren Sie Ihre Tätigkeiten mit Ihrer Familie?
Das ist privat. Dazu möchte ich nichts sagen.
Heike Hausensteiner war Politik-Redakteurin bei der "Wiener Zeitung" (1996- 2005), danach u.a. Autorin der Eurobarometer-Berichte für Österreich, Chefredakteurin des Monatsmagazins "european - was uns verbindet" und schreibt für österreichische und deutsche Medien.
Zur Person
Willi Mernyi, 1968 in Wien geboren, arbeitete zunächst dreieinhalb Jahre als Starkstrommonteur. Im zweiten Bildungsweg absolvierte er an der Universität Linz den Hochschullehrgang für Kulturmanagement. 1993 begann er als Bundessekretär der Österreichischen Gewerkschaftsjugend seine hauptberufliche Tätigkeit im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Mernyi leitete viele Jahre das Kampagnenreferat und ist derzeit Leiter des ÖGB-Referates für Organisation, Koordination und Service. Er ist ehrenamtlicher Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich (MKÖ) und ÖGB-Vertreter im ORF-Publikumsrat. Willi Mernyi ist zudem Autor einiger Bücher, etwa "Demagogen entzaubern" oder "Kampagnen und Aktionen erfolgreich organisieren".
Willi Mernyi ist Vater von zwei Kindern und leidenschaftlicher Rapid-Anhänger.
Das Mauthausen Komitee wurde 1997 vom ÖGB, von der Bischofskonferenz der römisch-katholischen Kirche und der Israelitischen Kultusgemeinde Österreich als Nachfolgeorganisa-tion der "Lagergemeinschaft Mauthausen" gegründet. Unter der Hotline 0810 500 199 werden Fragen zu rechtsextremer Musik, Mode, rechtsextremen Symbolen, Organisationen, Bewegungen etc. beantwortet. Man kann dort auch die Publikation "Rechtsextrem" bestellen, und die Broschüre über Flohmärkte kann man auf der Website gratis downloaden. Das Mauthausen Komitee Österreich erhielt im Jänner den Demokratiepreis der Margaretha Lupac-Stiftung des Österreichischen Parlaments.
Nähere Informationen unter: www.mkoe.at