Das Verfahren der EU-Kommission zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit kommt manchen Polen gelegen.
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"Sehr gut, dass die EU eingreift." Krystyna kann die Entscheidung der EU-Kommission, die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu überprüfen, nur begrüßen. Für die 40-jährige Warschauerin ist nämlich das Vorgehen der nationalkonservativen Regierung, die gerade einmal zwei Monate im Amt ist, äußerst bedenklich. Mit Jaroslaw Kaczynskis nun herrschenden Fraktion Recht und Gerechtigkeit (PiS) kann die Biologin sowieso nur wenig anfangen; sie hat ihre Stimme einer anderen Partei gegeben. Nun muss sie aber zusehen, wie das Kabinett im Eiltempo Änderungen im Justizwesen oder in den öffentlich-rechtlichen Medien durchsetzt. Allerdings belässt Krystyna es nicht dabei: Mit ihrem Ehemann und tausenden anderen Menschen ging sie gegen die Regierung demonstrieren. Und sie will an weiteren Protesten teilnehmen.
Dass die EU-Kommission nun ein Verfahren eingeleitet hat, mit dem die rechtsstaatlichen Standards gesichert werden sollen, ist für Krystyna auch ein Zeichen dafür, dass die Gemeinschaft Polen ernst nimmt. Anders als so mancher PiS-Politiker sieht sie die Prozedur keineswegs als eine Ohrfeige für ihr Land an: "Das ist nicht gegen alle Polen gerichtet, sondern gegen einige Initiativen der Regierung. Wir sind ein wichtiges EU-Mitglied, und den anderen ist die Situation hier nicht egal."
Genau diese Sichtweise versucht ebenfalls die Brüsseler Behörde zu vermitteln. Der Dialog, die Zusammenarbeit wird immer wieder betont. Gesprächsmöglichkeiten wird es schon in wenigen Tagen geben: Polens Staatspräsident Andrzej Duda wird am Montag in Brüssel erwartet, Premierministerin Beata Szydlo am Dienstag in Straßburg bei der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments.
Dass diese Debatte nun auf EU-Ebene und nicht mehr zwischen einzelnen Regierungen läuft, halten etliche Experten für einen wichtigen Beitrag zur Begrenzung der Zwistigkeiten. Denn in den Wochen davor hat der teils heftige Schlagabtausch zwischen Warschau und Berlin nicht zuletzt Beleidigungen und Abwehrreflexe gebracht. Die Parallele, die EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zu einem autoritär geführten Russland Wladimir Putins gezogen hat, sorgte in Polen für Empörung. PiS-Politiker verbaten sich den "moralischen Imperialismus" aus Deutschland, das seinem Nachbarn doch in der Vergangenheit viel Leid zugefügt habe.
Da aber "die Vorschlaghammer-Methode" der gegenseitigen Beschuldigungen lediglich den EU-Skeptikern zusätzliche Argumente liefere, müsse die Kommission nun umso vorsichtiger und ausgewogen agieren, meint Janis Emmanouilidis von der in Brüssel ansässigen Denkfabrik EPC (European Policy Centre). "Es muss immer im Blick behalten werden, ob die Maßnahmen jene Kräfte, die gegen Missstände auftreten, stärken oder schwächen." Abgrenzung und Schubladen-Denken seien jedenfalls nicht der richtige Ansatz.
Denn einmal mehr sei zu beobachten, dass schon überwunden Geglaubtes wieder hochkommt: Nationalismen, Stereotype oder eben Risse in der Union. "Während der Eurokrise war es etwa die Spaltung in Nord- und Südeuropa", sagt Emmanouilidis. Das aber nützt genauso wenig wie eine neuerliche Kluft zwischen Ost- und Westeuropa.