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Analyse: Iraks Kurdenführer Barzani will die PKK loswerden. Ihr Rausschmiss aus den Kandil-Bergen ist machtpolitisches Kalkül.
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Erbil. Für die PKK kam der Rausschmiss unerwartet. Die Kämpfer der türkisch-kurdischen Guerillaorganisation sollen ihre Sachen packen und aus den irakischen Bergen verschwinden. Kurdenpräsident Massoud Barzani hat sie dazu aufgefordert. Seit Tagen bombardiert die türkische Luftwaffe Stellungen der PKK auf irakischem Territorium, die PKK wiederum verübt Anschläge gegen türkische Polizisten und Soldaten in der Türkei. Barzani will nicht, dass die Zivilbevölkerung Iraks in den Krieg zwischen Ankara und der Guerilla mit hineingezogen werde, gibt der irakische Kurde als Begründung für den Rausschmiss an.
Damit macht er deutlich: Die PKK-Kämpfer sind nicht "die Kurden", auch wenn dies oft so verstanden werde. "Viele Male haben wir die PKK zu mehr Geduld im Friedensprozess mit der Türkei aufgefordert", schreibt der Kurdenführer Iraks in einer Erklärung und zieht eine klare Trennlinie. "Wir haben ihnen gesagt, dass das Töten türkischer Sicherheitskräften nicht die Probleme lösen kann." Der Konflikt könne nur durch Verhandlungen, Wahlen und Bildung gelöst werden.
Barzani erwähnt die politischen Errungenschaften der Kurden in der Türkei in den vergangenen Jahren, die mit dem Erfolg der Partei HDP die Kurdenfrage in den Mittelpunkt türkischer Politik gerückt hätten. Er wolle nicht dazu beitragen, dies aufs Spiel zu setzen. Als der Friedensschluss zwischen Ankara und der PKK vor gut zwei Jahren unter Vermittlung Barzanis begann, sollten weitere 2000 PKK-Kämpfer aus der Türkei in die Kandil-Berge ziehen, ihre Waffen niederlegen und die Terroraktionen gegen die türkische Regierung einstellen. Doch dann kam der IS.
Im Kampf Punkte gesammelt
Seit Herbst 2014 schaut nun vor allem die westliche Welt auf die kleine Stadt Kobane an der syrisch-türkischen Grenze. Zunächst vom IS eingenommen, entrissen kurdische Kämpfer der PKK und deren Schwesterorganisation YPG nach langen blutigen Schlachten die Stadt den Dschihadisten. Mitglieder der irakisch-kurdischen Sicherheitskräfte Peschmerga kamen ihnen dabei mit schwerem Gerät und militärischer Ausrüstung zur Hilfe.
"Die Kurden" waren die Helden, Kobane wurde zu ihrem Symbol. Die PKK hisste ihre Sonnen-Flaggen dort, wo die schwarze Fahne des IS vordem wehte. Doch nicht nur in Syrien hatte die PKK Erfolg. Auch im Irak konnte sie Punkte sammeln. Für die verfolgten Jesiden sicherte sie einen Korridor, damit Tausende der brutalen Mörderbande entkommen konnten. Die Stadt Mahmour, nahe der Kurdenmetropole Erbil, Sitz der irakisch-kurdischen Regionalregierung, eroberten PKK-Kämpfer ebenfalls vom IS zurück.
Im Sinjar-Gebirge konnten sie zusammen mit Peschmerga-Einheiten Landgewinne verbuchen, wenn auch die Stadt Sinjar nach einem Jahr noch immer in der Hand des IS ist. Im Nordirak verstärkte sich daher der Eindruck, dass ohne die PKK kein Sieg gegen den IS möglich sei. Die türkisch-kurdische Guerillatruppe sonnte sich in internationaler Anerkennung und nutzte die Gunst der Stunde. Im kurdischen Irak traten sie immer offensiver auf, eröffneten Büros in Erbil, Suleimanija und Dohuk, mischten sich in die zivile Verwaltung ein und forderten politische Mitsprache.
"Zurück nach Syrien"
Bei den Regionalwahlen in Irak-Kurdistan im September 2013 holte der politische Arm der PKK im Irak, die "Demokratische Lösung" (KDSP), zwar nur einige tausend Wählerstimmen und verpasste den Einzug ins Regionalparlament. Bei den nächsten Wahlen aber dürfte dies völlig anders aussehen, prophezeite das irakische Nachrichtenportal "Niqash" nach einer Umfrage Anfang Juli.
Deshalb hat schon Wochen vor den Luftangriffen der türkischen Armee auf PKK-Stellungen im Irak und dem Kollaps des Friedensschlusses zwischen Ankara und der Guerilla der Chef der irakisch-kurdischen Sicherheitsorgane, Masrour Barzani, die PKK zum Verlassen Iraks aufgefordert. Der Sohn des Kurdenpräsidenten und ranghöchster Vertreter des Sicherheitsapparates der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak empfahl der "türkischen Miliz" nach Syrien zurückzukehren, "von wo sie herkommen". Im Irak seien sie nicht mehr willkommen.
Am 27. November 1978 hatte Abdullah Öcalan zusammen mit 24 Mitstreitern die PKK im Dorf Ziyaret in der türkischen Provinz Diyarbakir gegründet. Das Ziel der marxistisch-leninistisch orientierten Organisation lautete, durch einen Guerillakrieg eine Revolution zu erreichen und anschließend einen eigenen kurdischen Staat zu gründen. Durch den zweiten Militärputsch in der Türkei 1980 wurden Anhänger und zahlreiche Kader der PKK inhaftiert. Ein Teil der Kämpfer und die verbliebene Parteiführung zogen sich zur Neuorganisation nach Syrien zurück.
Als Hafez al-Assad, Vater des jetzigen Machthabers in Damaskus, sich mit den Kurden anlegte, zog die PKK in die Kandil-Berge im Nordirak um. Dort hatte der Sturz Saddam Husseins den Kurden eine weitreichende Autonomie beschert, von der auch die türkische Guerillatruppe in den letzten Jahren profitiert hat. Den langen Jahren ihres Kampfes sind nach unabhängigen Schätzungen bis zu 40.000 Menschenleben zum Opfer gefallen.
Viel Sympathie bei Bevölkerung
Trotzdem genießt die PKK bei der Bevölkerung in Irak-Kurdistan viel Sympathie. Die Erfolge gegen den IS in Syrien und im Irak haben ihr Bewunderung eingebracht. Mit den von der PKK kontrollierten Gebieten, die unmittelbar nach der Grenze zum Irak beginnen und sich wie ein Gürtel entlang der Türkei schlängeln, könnte ein unabhängiger kurdischer Staat entstehen, der analog dem IS die bisherige Grenzziehung in Frage stellt. Ein Machtkampf zwischen dem irakischen Kurdenführer Barzani und dem für den syrischen Teil Verantwortlichen wäre unweigerlich die Folge.
Das Beispiel Jordanien drängt sich auf, wo König Hussein der palästinensischen PLO Unterschlupf gewährt hatte und diese dann 1970 einen Putsch gegen ihn organisierte. Doch alleine würde Barzani die PKK nicht loswerden, zu groß sind die Widerstände gegen den Rausschmiss im anderen kurdischen Lager um Kurdenführer Talabani in Suleimanija. Dieser plädiert für einen Verbleib der PKK in den Kandil-Bergen. Die türkischen Luftangriffe dürften Barzani deshalb nicht ungelegen kommen.