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Wiener Experte: Höchster Richter baut Justiz zu seinem eigenen Vorteil um. | Forderung nach Reformen mit Augenmaß. | Bratislava. "Wo ein Richter, da lieber kein Kläger": So formulieren Slowaken die gebräuchliche Redewendung um, wenn sie über ihr Rechtswesen sprechen. Ganz abgesehen davon, dass die Mühlen der Justiz in der Slowakei außerordentlich langsam mahlen - so erstrecken sich Streitigkeiten in Handelssachen teilweise über ein knappes Jahrzehnt -, haben Richter schon seit Jahren die Nase ganz weit vorn bei Umfragen, in denen es darum geht, wen Slowaken für korrupt halten.
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Das Ansehen der Justiz hat in jüngster Zeit noch einmal besonders gelitten. Im September 2009 wechselte der damalige Justizminister Stefan Harabin an die Spitze des Obersten Gerichts. Da entscheidet er auch darüber, wer Richter bleiben kann. Nicht wenige ihm unliebsame Kollegen wurden inzwischen nach Disziplinarverfahren suspendiert.
Als Minister wollte Harabin das Spezialgericht in Pezinok abschaffen, das sich auch mit organisierter Kriminalität befasst. Die Richter dort werden überdurchschnittlich bezahlt. Inzwischen klagen etliche, angeblich von Harabin motivierte Kollegen von anderen Gerichten auf höhere Bezüge, dem Fiskus drohen Forderungen von rund 70 Millionen Euro.
Die Zustände in der Justiz hat nun die Internationale Richtervereinigung unter die Lupe genommen. Das Urteil ihres Ehrenpräsidenten, des gebürtigen Wieners Günter Woratsch, ist so hart wie eindeutig.
Harabin beeinflusse die slowakische Justiz in unannehmbarer Weise. Er missbrauche sie und die Mängel des Systems völlig eigennützig. Seit der Richterrat bestimmte Vollmachten habe, die zuvor das Justizministerium wahrnahm, dominiere Harabin insbesondere die Richterschaft. Der Richterrat schlägt dem Präsidenten Kandidaten für Richterposten vor. Dem Bericht zufolge waltet Harabin vor allem an den ostslowakischen Gerichten ganz nach seinem Gutdünken.
Urteile ins Internet
Woratsch machte sich ein Bild von der Situation bei den Gerichten im mittelslowakischen Banska Bystrica, der Hauptstadt Bratislava und im ostslowakischen Kosice. Bei aller Kritik an Harabin warnt er vor überzogenen Justizreformen, durch die die Unabhängigkeit der Gerichte aufgehoben werden könnte.
Justizministerin Lucia Zitnanska setzt bei ihren Reformen zunächst bei der Wahl neuer Richter an. Diese werden nun im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens ernannt, während es bisher üblich war, Vakanzen mit Angehörigen oder guten Bekannten zu besetzen. In einem weiteren Schritt will Zitnanska Gerichtsentscheidungen einschließlich ihrer Begründung ins Internet stellen lassen. Bisher sind dort nur Gesetze abrufbar.
Außerdem sollen Verfahren per Zufallsgenerator zugeteilt und die Richter selbst im Wege eines automatisierten Verfahrens regelmäßig kontrolliert werden, wie schnell sie Fälle erledigen. Gegebenenfalls müssen sie mit disziplinarischen Maßnahmen rechnen.