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Wind of Change

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Den einen fehlten klare Konzepte für eine sozialere Union, die anderen halten seine Ideen zur Euro- und Schengen-Erweiterung für gefährlich. In Wahrheit ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede zur Zukunft der EU einen klugen Mittelweg gegangen. Mit der Ausweitung des Schengen-Raums auf Rumänien und Bulgarien würde es der EU leichter fallen, einen gemeinsamen Schutz der Außengrenzen aufzubauen. Die Abkehr von den Einstimmigkeits- zu Mehrheitsbeschlüssen würde die Blockadepolitik einzelner EU-Länder obsolet machen. Den Westbalkan-Ländern gab er eine klare Beitrittsperspektive, was angesichts des wachsenden russischen Einflusses in diesen Staaten dringend notwendig ist.

Und seine Vorschläge zur Reform der EU selbst gehen in Richtung Vertiefung, ohne eine Überforderung darzustellen. Auch die Idee, die EU-Wahlen aus den nationalen Wahlrechtskorsetts zu befreien, erhöht die demokratische Legitimation.

Was Juncker am Dienstag im EU-Parlament skizzierte, bleibt weit hinter dem Gründungsgedanken der Europäischen Gemeinschaft zurück, segelt aber in diese Richtung. Immerhin wurde vor 18 Monaten noch laut darüber diskutiert, ob die EU noch lange bestehen werde, auch der Euro wurde in Frage gestellt. Dieser Wind hat sich gedreht, auch dank Brexit-Chaos und neuer Bedrohungen, die von Donald Trump und Wladimir Putin ausgehen.

Junckers Pläne sind angetan, die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2019 deutlich zu heben, auch dies würde die Debatte um Europas Demokratiedefizit beenden. Und wenn die Pläne umgesetzt werden, werden es ein künftiges EU-Parlament und eine künftige EU-Kommission leichter haben, das umzusetzen, was Robert Schumann am 9. Mai 1950 auf den Weg brachte.

Jetzt liegt es an den 28 EU-Mitgliedstaaten, die notwendigen Beschlüsse herbeizuführen. Deutschland und Frankreich scheint Juncker hinter sich zu haben, das ist schon die halbe Miete. Und da Juncker in seinen Plänen auch Aufgaben an die Mitgliedstaaten abgeben will, könnte er auch osteuropäische Länder dafür gewinnen. In jedem Fall gilt es nationalistische Tendenzen zu überwinden. Aber vor dieser Hürde steht jeder Plan, der die EU weiterentwickelt. Das größte Atout für diese Weiterentwicklung: Jede politische Alternative wäre ein Horror, wie die Briten gerade beweisen.