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Verena Winiwarter und Hans-Rudolf Bork analysieren ökologische Entwicklungen und deren Folgen bis heute - und morgen.
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Wien. In dem neuen Buch "Geschichte unserer Umwelt" unternehmen zwei Experten, Verena Winiwarter, Österreichs Wissenschafterin des Jahres 2013, und ihr deutscher Kollege Hans-Rudolf Bork, "sechzig Reisen durch die Zeit". Für sie hat das Verhältnis von Mensch und Natur stets zwischen Anbetung und Ausbeutung geschwankt. Zum Teil formt die Umwelt den Menschen, aber immer mehr hat dieser auch in sie eingegriffen hat, oft mit negativen Folgen. In exemplarischen, leicht lesbaren Kapiteln beleuchten die Autoren diese ständige Auseinandersetzung. Sie gehen nicht nur den Ursachen von Katastrophen auf den Grund, sondern zeigen auch Wege für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt auf.
Die Hauptrolle spielen naturgemäß Themen, an die man bei Umwelt sofort denkt: die Verschmutzung von Luft, Gewässern und Böden, Smog, Öl- und Plastikteppiche, Giftstoffe aus unsicheren Deponien. Doch die Autoren holen viel weiter aus: "Viele Geschichten dieses Buches zeigen, dass unsere Umweltprobleme nicht mit der Industriellen Revolution angefangen haben. Sie werden mit dem absehbaren Ende des fossilen Zeitalters auch nicht plötzlich enden."
Das im Juli 1342 Mitteleuropa verheerende "Magdalenenhochwasser" gelte zwar als "Naturkatastrophe", heißt es im Buch, "doch diese Einschätzung hält einer genauen Untersuchung nicht stand, menschliche Landnutzung hatte entscheidenden Anteil". Man hatte die Wälder weitgehend gerodet und in Acker- oder Grünland umgewandelt. Betrug noch im Frühmittelalter die Waldfläche in Deutschland fast 90 Prozent, so war sie bis zum Jahr 1300 auf unter 15 Prozent gesunken. "So trafen die Extremniederschläge im Juli 1342 auf kaum durch Vegetation geschützte Landschaften mit oftmals ausgelaugten Böden."
Was man an den Küsten dem Meer an Land abzuringen versucht, war stets durch Sturmfluten gefährdet, besonders arg fiel die "Marcellusflut" von 1362 an der Nordsee aus. Doch der Kampf ging weiter: "Die Menschen wichen der Gefahr nicht. Sie begannen, sich durch bessere Bauten zu schützen." 1962 brach über Hamburg eine Katastrophenflut herein, setzte fast ein Sechstel der Stadtfläche unter Wasser und führte zum Tod von mehr als 300 Menschen. Wieder lernte man daraus und sorgte besser vor. Daher richtete die 1976 in Hamburg "noch höher auflaufende Sturmflut des Orkans Capella kaum Schäden an".
Ein spannendes Kapitel ist dem Raubbau an Tropenbäumen im 19. Jahrhundert gewidmet, von denen das für Unterseekabel unentbehrliche Material Guttapercha - man nahm es auch für Zahnwurzelfüllungen - gewonnen wurde. "Bis etwa 1890 waren ungefähr 88 Millionen Guttaperchabäume der Telegrafie geopfert worden. 1860 war auf Singapur kein Baum mehr zu finden, 1880 war auch die Malaiische Halbinsel ausgebeutet."
Als ein Beispiel für die Vergiftung der Umwelt durch Chemikalien wie Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel dient die Bananenproduktion in Monokulturen. "Je makelloser das Markenprodukt im Supermarkt sein musste, desto größere Umweltschäden erlitten die Plantagen, desto gefährlicher wurden auch die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten - ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen."
Brisant sind die ökologischen Folgen des globalen Transports. Invasive Arten verursachen jährlich weltweit Kosten von etwa 137 Milliarden US-Dollar, schreiben die Autoren. Von 1985 bis 2011 ist die Tonnage im Weltseehandel um mehr als 230 Prozent gestiegen. Entladene Schiffe werden mit Ballastwasser gefüllt, im Hafen, wo sie neu laden, wird es abgelassen: "Schätzungen zufolge werden dadurch täglich etwa 3000 Spezies von einem aquatischen Ökosystem in ein anderes transportiert. Von Pflanzen über Parasiten und Krankheitserreger bis zu Fischen, Mollusken und Wirbellosen reist so eine Armada potenziell gefährlicher Organismen um die Welt."
Neobiota breiten sich mangels natürlicher Feinde auf Kosten einheimischer Spezies aus. So hat etwa die Meerwalnuss (Mnemiopsis leidyi), eine Rippenquallenart, die jetzt schon in der Ostsee aufgetaucht ist, ab den 1980er Jahren im Schwarzen Meer die biologische Vielfalt radikal dezimiert.
Erfolgsgeschichte Terra preta
Den von ihnen mitgebrachten Krankheitserregern verdankten die in Amerika eingewanderten Europäer, dass die indigene Bevölkerung rasch verdrängt werden konnte. Im Amazonasgebiet stießen die Europäer auch auf eine "Erfolgsgeschichte" - die jahrtausendealte Gewinnung von "Terra preta". Diese anthropogene dunkle Erde, vornehmlich aus pflanzlicher Kohle und Abfällen entstanden, ist nicht nur besonders fruchtbar, sie kann auch große Mengen Kohlenstoff speichern. Laut dem deutschen Bodenchemiker Johannes Lehmann könnten mit Terra-preta- und Biotreibstoffprojekten jährlich etwa 9,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gebunden werden - mehr als heute durch die Nutzung fossiler Brennstoffe emittiert wird. Mit solchen Beispielen zeigt das neue Buch, wie man nicht nur aus negativen, sondern auch aus positiven Beispielen der Umweltgeschichte für die Zukunft lernen kann.
Verena Winiwarter / Hans-Rudolf Bork: Geschichte unserer Umwelt. Sechzig Reisen durch die Zeit, Primus