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Zwischen Van der Bellen und Hofer ist alles gesagt und geschrieben. Über den Sieger entscheidet das Ausmaß an Ablehnung.
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Wien. Ob Österreichs kleine Welt bis zum 2. Oktober wieder die Probebühne gibt, auf der "die große ihre Probe hält", wie Friedrich Hebbel vor mehr als 150 Jahren einmal meinte, sei dahingestellt. Denkwürdiges wird sich in den Wochen bis dahin aber auf jeden Fall abspielen. Nämlich eine auf höchstrichterliche Anordnung hin angesetzte Wiederholung eines Wahlkampfs, in dem alles Erdenkliche bereits gesagt, geschrieben, gesendet oder gesprayt wurde. Und das nicht nur einmal.
Eine Wahl als Anomalie
Zeit war ja tatsächlich genug bis zu jenem 22. Mai, an dem Alexander Van der Bellen "arschknapp" (Copyright vdb) dann den Sieg über Norbert Hofer davontrug, und der nun durch die erfolgreiche Anfechtung der Stichwahl durch seine eigene Partei eine zweite Chance erhält. Und das gilt auch für die beiden Kandidaten selbst. Auch sämtliche Experten, Kommentatorten, Analysten, Twitterer und Facebooker haben sich in den quälend ereignisarmen Wochen des Wahlkampfs nach Kräften ins Zeug gelegt, ihren Teil dazu beizutragen. So gesehen wird vielleicht die spannendste Frage die sein, wie es Van der Bellen und Hofer gelingen kann, in den kommenden Wochen bis zum Wahltag so etwas wie Wahlkampfstimmung entstehen zu lassen. Denn eine Volkswahl ohne Wahlkampf ist eine Anomalie. Und die ist im Drehbuch der Demokratie nicht vorgesehen.
Als wäre die Wiederholung nicht schon genug, zeichnet sich das neu aufgelegte Hofburg-Match noch durch eine weitere Besonderheit aus: Wer auch immer gewinnt, eines der stärksten Wahlmotive der Bürger wird sein, den Sieg des anderen Kandidaten zu verhindern. Demokratie als Negativauslese also, als die Wahl des kleineren Übels. Wobei das längst keine neue Entwicklung mehr ist.
Klar ist auch, dass Wechselwähler, eine Gruppe, die ansonsten beständig anwächst, am 2. Oktober an den sprichwörtlichen Fingern einer Hand abzuzählen sein werden. Am 24. April, beim ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl, stimmten 1,499.971 Wähler oder 35,05 Prozent für den Norbert Hofer, den FPÖ-Kandidaten. Damit lag er deutlich vor dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, der Platz zwei mit 913.218 Stimmen oder 21,34 Prozent erreichte. In der Stichwahl behielt dann Van der Bellen mit 2,251.517 Stimmen und einem Vorsprung von lächerlich geringen 30.863 Stimmen die Oberhand. Diese Lager sind wohl einbetoniert: Wer am 22. Mai für Van der Bellen stimmte, wird am 2. Oktober nicht für Hofer stimmen. Und umgekehrt.
Viel spricht auch dafür, dass wer sich nicht vom emotionalen Duell im Frühjahr politisch hinterm Ofen hervorholen ließ, auch bei der Wiederholung im Herbst hinter dem Heizgerät liegen bleiben wird. Aus heutiger Sicht fällt es schwer, sich vorzustellen, wie einer der Kandidaten eine relevante Zahl von Nichtwählern für sich mobilisieren könnte. Und die einschlägigen professionellen Auguren rechnen mit einer im Vergleich zur Stichwahl sinkenden Wahlbeteiligung. Damals betrug sie 72,7 Prozent, im ersten Durchgang lag sie bei 68,5 Prozent.
Gewinnen wird, wer weniger verliert
Die besten Chancen auf den Sieg hat deshalb, wem es am Wahltag gelingt, weniger seiner bisherigen Wähler zu verlieren als sein Konkurrent.
Das sind, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade die besten Voraussetzungen, eine Wahl zu schlagen. Um erfolgreich zu sein, müssen nämlich beide Lager die Konkurrenz im schlechtestmöglichen Lichte erscheinen lassen. Negatives Kampagnisieren mag moralisch verwerflich sein und auch sonst nicht besonders fein, aber es wirkt. Zumal ja, aus subjektiver Perspektive, jede Seite fest davon überzeugt ist, gute Gründe zu finden, die das eigene Anliegen zum allgemein erstrebenswerten Ziel erheben. Und das lautet: den anderen tunlichst zu verhindern. Das ist in so einer Konstellation die wirkungsvollste Methode, die eigenen Wähler zur verlässlichen Stimmabgabe zu bewegen. "Winning ugly" eben, um ein Buch der ehemaligen US-Tennisstars André Agassi und Brad Gilbert zu zitieren.
Die Themen zu diesem Zweck haben beide Lager im Frühjahr bereits abgearbeitet: Den Umgang mit der Flüchtlingskrise und den daraus resultierenden Integrationsproblemen; die Rolle Österreichs in Europa; und schließlich, als Über- oder Unterbau für jede politische Kampagne seit Jahren, die große Verunsicherung, welche die Österreicher im Verein mit allen anderen in Europa erfasst hat.
Optimisten gegen Pessimisten
Van der Bellen wirbt dabei um die Zuversichtlichen, die Optimisten, die überzeugt sind, dass sich die Probleme schon irgendwie lösen lassen, wenn alle nur ein bisschen guten Willen zeigen. Und zwar mit einem Mehr an Europa, bei weitgehend offenen Grenzen und ohne radikale Kehrtwendungen. Norbert Hofer dagegen fordert genau solche Brüche mit dem bisherigen Kurs. Seine Zielgruppe sind die Pessimisten, die Verzagten, für die früher vieles, wenn nicht gleich alles, besser war. Und entsprechend verlockend klingen in ihren Ohren die Versprechen des FPÖ-Kandidaten, zu jenen alten Zeiten zurückkehren zu wollen, als sich die meisten noch durch innerösterreichische Maßnahmen erledigen ließen: Etwa Arbeitslosigkeit, Armut, Zuwanderung, oder Kriminalität; und damals musste man sich auch noch nicht lange den Kopf zerbrechen, wer jetzt alles ein Österreicher ist - und, fast noch wichtiger: wer alles nicht - und was das eigentlich für das Zusammenleben bedeutet.
So oder so: Die Antwort auf die Frage, wer am 2. Oktober gewinnt - egal, ob arschknapp oder nicht -, wird uns im Anschluss noch ziemlich lange beschäftigen. Nächste Woche geht der Wahlkampf langsam wieder los.