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Der Fettschwanzmaki hält Winterschlaf bei tropischen Temperaturen. | Schnelle Regeneration beeinträchtigter Gehirnfunktionen. | Berlin. Ob Haselmäuse, Siebenschläfer, Igel, Hamster oder Murmeltiere - wenn die kalte Jahreszeit anbricht und das Nahrungsangebot immer knapper wird, ziehen sich viele Säugetiere zurück, um Winterschlaf zu halten. Dann wird der Stoffwechsel dermaßen heruntergeschraubt, dass der Körper mit äußerst wenig Energie auskommt. Dass das den Murmeltieren immer noch nicht ausreicht, hat unlängst der Wiener Biologe Thomas Ruf herausgefunden. Um noch mehr Energie einzusparen, schrecken sie nicht davor zurück, ihre Leber und Nieren um rund 30 Prozent und ihren Magen-Darm-Trakt sogar um 50 Prozent schrumpfen zu lassen.
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In einen winterschlafähnlichen Zustand fallen auch die Kolibris und einige andere Vogelarten. Dann gibt es die Reptilien und Amphibien und andere wechselwarme Tiere, die Monate im Zustand der Kältestarre verbringen können. Und schließlich gibt es noch das Phänomen des Sommerschlafs. Ihn pflegen Krokodile und Schlangen und bei uns die Weinbergschnecken in Perioden großer Hitze und Dürre zu halten.
Die Fachwelt stand Kopf, als sie erkannte, was die Hamburger Zoologin Kathrin H. Dausmann entdeckt hatte: einen Primaten, der nicht weniger als sieben Monate winterschlafend verbringt - und das bei tropischen Temperaturen von über 30 Grad Celsius.
Hierbei handelt es sich um den Fettschwanzmaki, einem auf Madagaskar ansässigen Halbaffen. Dieses nur etwa 15 Zentimeter lange und 130 Gramm schwere Tier, das eher wie ein Eichhörnchen aussieht, ist auf ein nachtaktives Leben spezialisiert und ist dafür mit riesigen dunklen Augen ausgerüstet. Auf Madagaskar mangelt es während der kühleren Trockenzeit an Wasser und Nahrung. Die Fettschwanzmakis fressen sich deshalb dicke Fettpolster an, verkriechen sich in einer Baumhöhle und schalten ihren Stoffwechsel auf Sparflamme.
Paradoxerweise schlafen jene Makis am schlechtesten, die in dickwandigen Baumhöhlen überwintern, wo sich die Schwankungen der Außentemperatur kaum bemerkbar machen. In solchen Quartieren wird es den Makis schnell zu kalt. Sie müssen deshalb regelmäßig ihren Schlaf unterbrechen, um ihren Körper wieder auf 33 Grad aufzuheizen. In aller Ruhe durchschlafen können hingegen jene, die sich in schlecht isolierten Baumhöhlen verschanzt haben. Wie Reptilien gleichen sie dann ihre Körpertemperatur einfach dem Auf und Ab der Außentemperatur an.
Rehe schlafen stundenweise
Wie schaffen es eigentlich Hirsche und Rehe, die strengen Winter im Hochgebirge zu überstehen? Auch sie halten eine Art Winterschlaf - allerdings immer nur nachts und immer nur einige Stunden täglich. Dabei sinkt ihre Körpertemperatur um immerhin fast 20 Grad Celsius, und ihr Herz schlägt statt 80 lediglich nur mehr 40 Mal in der Minute. In dieser Zeit verharren sie völlig reglos im Dickicht, oder sie bewegen sich höchstens im Zeitlupentempo vorwärts. Durch diesen stundenweisen Winterschlaf sparen die Hirsche und Rehe jede Menge Energie.
Zu diesen Erkenntnissen ist ein Team Wiener Biologen unter der Leitung von Walter Arnold gekommen. Die Wissenschafter hatten Hirschen ein winziges Messgerät unter die Haut implantiert, das ihre Körpertemperatur, ihren Pulsschlag und ihre Herzfrequenz den ganzen Winter hindurch registrierte. Arnold vermutet übrigens, dass jedes Säugetier der gemäßigten Breiten das Talent zum Winterschlaf mitbringt - sogar der Mensch. "Es gibt Hinweise, dass wir das auch können, oder zumindest einmal konnten, nämlich als Säuglinge! Wir wissen, dass kleine Kinder extreme Kälteschocks viel eher überleben als Erwachsene."
Zu den größten Vorzügen des Winterschlafs gehört es, dass er wie eine Verjüngungskur wirkt und die Lebenserwartung erhöht. So kann die Weißzahnspitzmaus, die viel Zeit im Dämmerschlaf verbringt, vier bis sechs Jahre alt werden. Die mit ihr eng verwandte Rotzahnspitzmaus hingegen, die rastlos aktiv ist, lebt nur zwei bis drei Jahre.
Daraus lässt sich schließen, dass Menschen erheblich langsamer altern würden, wenn man sie von Zeit zu Zeit in einen künstlichen Winterschlaf versetzen könnte. Das ist zwar bisher nicht mehr als Zukunftsmusik. Doch gerade erst ist dem Molekularbiologen Cheng Chi Lee (Universität von Texas in Houston) und seinem Team ein Durchbruch gelungen. Die Wissenschafter haben Mäusen hohe Dosen der Substanz 5-Adenosin-Monophosphat injiziert und sie dadurch in eine Art Winterschläfer verwandelt. Cheng Chi Lee hofft, dass diese Substanz bei extrem übergewichtigen Menschen so eingesetzt werden könnte, dass sie wie Bären ihre Fettdepots im Schlaf verbrennen.
Der Winterschlaf hat aber auch negative Auswirkungen. So hat die Wiener Biologin Eva Millesi herausgefunden, dass Ziesel nach dem Aufwachen aus dem Winterschlaf Aufgaben nicht mehr lösen konnten, mit denen sie vorher spielend zurechtgekommen waren. Solche Ausfallerscheinungen sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das Gehirn in den Phasen des Dauerschlafs einrostet und zahlreiche neuronale Verbindungen einbüßt. Diese Verluste sind für die Ziesel nicht weiter tragisch, denn nach einer gewissen Zeit hat sich ihr Gehirn fast vollständig regeneriert. Doch offenbar sind sie gezwungen, sich im Sommer die Fähigkeiten von neuem anzueignen, die sie in den Wintermonaten verlernt haben.
Millesi hat eine weitere Entdeckung gemacht: Die Ziesel legen während ihres Schlafs periodisch Pausen ein, um normalen Schlaf nachzuholen. Die Biologin vermutet deshalb, dass die Wachphasen in erster Linie dazu dienen, das Gehirn vor gravierenden Schäden zu bewahren.
Veränderungen wie Alzheimer
Vor einiger Zeit hat der Leipziger Neurologe Thomas Arendt erforscht, was der Winterschlaf im Gehirn von Eichhörnchen anrichtet. Dabei zeigte sich etwas Merkwürdiges: Im Eichhörnchen-Gehirn kommt es zu ähnlichen Veränderungen, wie sie typischerweise bei Alzheimer-Patienten auftreten. Diese Veränderungen betreffen vor allem das Tau-Protein, das für den Stofftransport zwischen den Nervenzellen zuständig ist. Im Tau-Protein reichern sich Phosphatreste an, was schließlich zur Folge hat, dass eine Reihe höherer Gehirnfunktionen erheblich beeinträchtigt oder völlig lahmgelegt ist. Doch so viel sich auch im Gehirn der Eichhörnchen verändert hat - schon wenige Tage nach dem Ende des Winterschlafs hat es sich vollständig regeneriert. Das passiert bei der Alzheimerschen Erkrankung leider nicht. Arendt glaubt deshalb, dass man es bei ihr mit einer Fehlsteuerung zu tun hat. Fehlgesteuert wird dabei ein Mechanismus, den die Evolution hervorgebracht hat, um das Gehirn vor irreversiblen Schäden zu bewahren.
Arendt untersucht gegenwärtig, wie sich dieser Mechanismus bei Bären auswirkt. "Zwischen dem Gehirn von Bären und Menschen," erklärt er, "gibt es mehrere Übereinstimmungen. Wenn sich das Ergebnis erhärtet, bedeutet das einen gänzlich neuen Ansatz bei der Suche nach einer Heilung von Alzheimer."