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Winzige Wirbel als Datenspeicher

Von Eva Stanzl

Wissen

Nobelpreis für Physik für die Vorhersage exotischer Materie-Zustände.


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Ausgezeichnet: die Physiker Duncan M. Haldane, David J. Thouless und Michael Kosterlitz. Illustration: Nobel Media 2016

Stockholm/Wien. Der Nobelpreis für Physik 2016 geht an drei in Großbritannien geborene, in den USA tätige Forscher. Eine Hälfte des Preises erhält David James Thouless, die andere Hälfte teilen sich Duncan M. Haldane und Michael Kosterlitz, gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt.

Die theoretischen Physiker erhalten die Auszeichnung für die Erforschung exotischer Materiezustände. Sie hätten "die Tür zu einer bisher verborgenen Welt geöffnet, wo Materie seltsame Zustände einnehmen kann", erklärte das Nobelpreiskomitee am Dienstag. Mit fortschrittlichen mathematischen Methoden hätten sie Supraleiter, Superflüssigkeiten und dünne magnetische Filme untersucht.

Um dies nachvollziehen zu können, muss man sich eine flache Welt vorstellen. Die Physik von Flächen und sehr dünnen Lagen, die als zweidimensional gelten können, unterscheidet sich nämlich von jener unserer dreidimensionalen Welt mit Länge, Breite und Höhe. In zweidimensionalen Schichten können Wirbel-Zustände, Vortices genannt, existieren - ähnlich wie bei Wasser, das den Abfluss hinunterfließt.

Die Nobelpreisträger haben vorhergesagt, dass in diesen zweidimensionalen Welten stabile Wirbel-Zustände spontan auftauchen können und danach stabil bleiben. "In der Forschung gelten solche Wirbel als mögliche Kandidaten für künftige Datenspeicher", sagt Andrei Pimenov vom Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität Wien zur "Wiener Zeitung". Zum Hintergrund: Heutige Speicher bedienen sich Magneten, die nach oben oder nach unten ausgerichtet sind. Wenn die Ausrichtung kippt, geht die Information verloren. "Bei einem Wirbel gibt es das nicht, denn dieser hat immer ein Loch in der Mitte. Dadurch bleibt er topologisch stabil", erklärt Pimenov. Information auf Speichern, die auf solchen speziellen zweidimensionalen Flächen hergestellt werden, könne schwer bis gar nicht verloren gehen.

Das Nobelpreiskomitee verlieh den Physikern die Auszeichnung für die "theoretischen Entdeckungen topologischer Phasenübergänge und topologischer Phasen von Materie", heißt es in der offiziellen Begründung. Die Topologie ist ein Teilgebiet der Mathematik, in der sich sozusagen alles um Löcher dreht. Ihr Aussehen, ihre Verteilung und ihr Zusammenspiel bestimmen die Eigenschaften von Materialien, erläutert der Mathematiker Herbert Edelsbrunner vom Institute of Science and Technology Austria im Gespräch mit der "Austria Presse Agentur".

Eigenschaften von Metallen

Demnach bilden etwa in Metallen Millionen von Atome Cluster, die als Körner bezeichnet werden können und die regelmäßige Gitter bilden. Wo diese Körner zusammenstoßen und geometrisch nicht ganz perfekt zusammenpassen, bilden sich Löcher. Wird das Material erhitzt, werden die Körner größer und weniger und dementsprechend verändern sich die Löcher - und die Eigenschaften. Das ist unter anderem für die Metallherstellung interessant, wenn geklärt werden soll, wie bessere Materialen hergestellt werden können, zum Beispiel für Auto-Motoren.

Mit Hilfe der Topologie konnten Kosterlitz und Thouless Anfang der 1970er Jahre zeigen, dass entgegen der bis dahin geltenden Theorie die Supraleitung - also der verlustfreie Transport von Strom - auch in dünnen Schichten möglich ist, wo andere Zustände herrschen als in der dreidimensionalen Welt. Ähnlich exotisch ist die Materie auch bei Phasenübergängen - etwa, wenn Eis zu Wasser schmilzt, oder Wasser zu Dampf kondensiert.

Kosterlitz und Thouless konnten mit ihrer Arbeit ein neues Verständnis von Phasenübergängen in dünnen Schichten schaffen. Für das Nobelkomitee ist dies "eine der bedeutendsten Entdeckungen in der Festkörperphysik des 20. Jahrhunderts": Der Kosterlitz-Thouless-Übergang (KT-Übergang) sei universell. Anfang der 1980er Jahre präsentierten Thouless und Duncan Haldane dann unabhängig voneinander Untersuchungen, wonach quantenmechanische Beschreibungen zur elektrischen Leitfähigkeit von Materialien neu überdacht werden mussten.

Der 1934 in Schottland geborene David James Thouless ist emeritierter Professor der University of Washington in Seattle. Bekannt ist er für seine Beiträge zur Theorie der kondensierten Materie und der Vielteilchentheorie. Michael Kosterlitz ist seit 1982 Professor für Physik an der Brown University in New York. Der gebürtige Schotte wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, 1981 etwa mit der Maxwell-Medaille des Institute of Physics und 2000 mit dem Lars-Onsager-Preis der American Physical Society. Duncan M. Haldane wurde 1951 in London geboren und forscht seit 1990 an der Princeton University. Das Gebiet, auf dem er sich einen Namen machte: Vielteilchenprobleme in der Festkörperphysik mit nichtstörungstheoretischen Methoden.