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"Wir alle wollen Astronauten werden"

Von Eva Stanzl

Wissen

Im Johnson Space Center der US-Weltraumbehörde Nasa trainieren die Helden der Schwerelosigkeit das Verhalten im All.


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Austin/Boulder. Auf seinen Berufswunsch angesprochen, gerät Tobias Niederwieser ins Schwärmen. "Natürlich will ich Astronaut werden", sagt der 25-jährige Tiroler: "Jeder hier bei uns am Institut will das." Ein Experiment, an dem er mitgearbeitet hat, ist schon vorausgeflogen. Der junge Weltraumforscher zeigt auf einen Inkubator so groß wie ein Mikrowellenherd, der Temperaturen zwischen minus fünf und plus 43 Grad regelt. Das Original befindet sich auf der Internationalen Raumstation ISS. Es enthält spezielle Plastiksäckchen für Experimente bei Schwerelosigkeit: "Die Reagenzgläser der Raumfahrt." Sie sind mit Knochen- oder Herzzellen, Bakterien oder Antibiotika gefüllt. "Wir haben entdeckt, dass Antibiotika im All höher dosiert werden müssen als bei uns", sagt Niederwieser bei einem Rundgang durch das Institut.

Der in Innsbruck geborene Ingenieur macht sein Doktorat am Space Science Institute der University of Colorado Boulder. Wie eine Burg thront der Campus über der schmucken 90.000 Einwohner-Stadt am Fuße der Rocky Mountains. Hier, auf 2000 Metern Seehöhe, wird untersucht, wie Erdlinge den lebensfeindlichen Bedingungen im Kosmos trotzen können. "Lebenserhaltungssysteme" heißt das Fachgebiet, in das Niederwiesers Algen fallen. Er untersucht, wie seine grünen Zöglinge in der Schwerelosigkeit gedeihen. Wachsen sie schneller, werden sie größer? "Ich denke ja. Auch Körperzellen vermehren sich rascher als auf der Erde", erklärt er, und: "Wenn wir den Mars besiedeln, können wir ja nicht alles mitnehmen. Wir müssen uns auf uns selbst verlassen. Algen erzeugen durch Photosynthese Sauerstoff, reinigen Wasser und sind essbar."

Große Vision der Menschheit

Es ist eine große Vision der Menschheit, zu anderen Planeten zu reisen - und diese zu besiedeln. In 60 Jahren Raumfahrt waren 533 Personen im All, einige hinterließen ihre Fußabdrücke sogar auf dem Mond. Mit dem in Bau befindlichen Raumschiff "Orion" will die US-Weltraumagentur Nasa noch weiter fliegen. Eine Außenstation in der Mondumlaufbahn soll es erleichtern, den Mars zu erreichen. Sonden suchen nach Wasser und anderen Ressourcen auf unserem Trabanten, Rover erkunden die Topografie des Roten Planeten. Und Astronauten testen auf der Raumstation ISS, die alle 90 Minuten die Erde umrundet und täglich jeweils 16 Sonnenauf- und Sonnenuntergänge sieht, wie sich die kosmische Strahlung auf die Gesundheit auswirkt und wie Knochenzellen bei Schwerelosigkeit wachsen. Denn wenn der Mensch im Kosmos bleiben will, müssen die Siedler eigenständig existieren und überleben können.

In einem olympisch großen Pool auf dem Gelände des Lyndon B. Johnson Space Center (JSC) in Houston, Texas, ist eine Doppelgängerin der ISS versenkt. Drei Astronauten, die in ihren dicken, hellen Raumanzügen wie Michelin-Männchen unter Wasser aussehen, machen sich an einer Außenwand zu schaffen. Um sie herum schwimmen Froschmänner. Der Übungspool heißt "Neutral Buoyancy Lab" - zu Deutsch "auftriebneutrales Labor". Der Begriff beschreibt einen Zustand, bei dem der Körper dieselbe Dichte hat wie die Flüssigkeit, in der er schwimmt, somit weder sinkt noch zur Oberfläche aufsteigt. "Das Gefühl unter Wasser kommt der Schwerelosigkeit am nächsten. Allerdings nur, wenn Taucher den Astronauten Gewichte anhängen, damit diese nicht nach oben treiben", erläutert Joel Montalbano, Programmanager am JSC.

Reifenwechsel im Weltraum

Die Astronauten üben Außenbordeinsätze. Sie sollen Arbeiten außerhalb der Raumstation so routiniert wie einen Reifenwechsel durchführen können. Doch selbst ein Reifenwechsel kann im All gefährlich sein. Das zeigte sich, als der 1965 der erste Mensch, Alexei Leonow, im Weltraum frei schwebte: Sein Anzug blähte sich auf. Um auf möglichst viel gefasst zu sein, üben die Raumfahrer täglich sechs Stunden unter Wasser im Pool.

Das Lyndon B. Johnson Space Center, das die "Wiener Zeitung" auf Einladung des Rats für Forschung und Technologieentwicklung besuchte, ist so etwas wie das Herz der bemannten Raumfahrt der Nasa. Es leitet alle derartigen Missionen der USA. Als Präsident John F. Kennedy im Mai 1961 das Ziel ausgab, innerhalb eines Jahrzehnts einen Menschen zum Mond zu schicken und wieder sicher zurück zur Erde zu bringen, wurde es als "Manned Spacecraft Center" gegründet. Am 24. Oktober 1961 bezog eine kleine Nasa-Delegation zwei leer stehende Kleidergeschäfte in der texanischen Metropole Houston. Später schenkte die benachbarte Rice University der Behörde ein Gelände. Heute arbeiten auf dem 655 Hektar großen Areal rund 14.000 Mitarbeiter. Es beherbergt das nach wie vor im Original-Stil der 1960er Jahre eingerichtete "Christopher C. Kraft, Jr. Mission Control Center", dessen Funk-Rufname "Houston" ist.

"Houston" ist die Kontaktstelle für Nasa-Astronauten im Kosmos. An diesem Tag wenden sich Randy Bresnik und Mark Vande Hei an "Capcom", den Verbindungssprecher. Die auf der ISS stationierten Männer ersetzen ein Bauteil zum Andocken von Raumfrachtern und berichten laufend, wie sie vorankommen. Der Einsatz dauert sieben Stunden, der Kontrollraum ist währenddessen voll besetzt. Die Durchsage "Houston, we’ve got a problem" bleibt freilich aus. Sie stammt aus einem Fernsehfilm von 1974 über Krisen im Mission Control Center und bezieht sich auf Apollo 13. Ein Tank explodierte während des Flugs zum Mond, die Landung musste abgesagt werden. Kommandant Jim Lovell informierte damals jedoch: "Houston, wir hatten ein Problem". Es war der einzige Apolloflug, der abgebrochen werden musste.

Trockentraining an Kopien

Pilotentraining ohne Sauerstoff; Probesitzen in einer russischen Sojus-Kapsel, heute der Shuttlebus ins All; Prüfen neuer Raumfahrzeuge auf Tauglichkeit. All dies wird in der "Space Vehicle Mockup Facility" gemacht. Die Lagerhalle ist so groß wie ein Fußballfeld. Sie ist mit naturgetreuen Kopien der Geräte, die der Nasa in der bemannten Raumfahrt zur Verfügung stehen, gefüllt. Raketenteile, Raumkapseln, Robotische Systeme, Recycling-Maschinen, die den Kaffee von gestern zum Kaffee von heute machen, auch Raumanzüge und Crash-Test-Dummies für Belastungstests. Menschen an Schreibtischen zeichnen die Ergebnisse auf, stellen Verbindungen her, überlegen sich, wie viel Vitamin D ein Astronaut am Tag benötigt oder aus welchen Materialien Raumschiffe für extreme Temperaturen gebaut sein müssen.

Im Doppelgänger eines ISS-Moduls trainieren Astronauten für den Notfall im All. Auf Bildschirmen beobachten die verantwortlichen Ingenieure mit Argusaugen, was sie tun. "Menschen ins All zu bringen ist eine riesige Aufgabe für viele Leute. Etwa braucht ein Funkspruch vom Mars sechs Stunden bis hierher. Wir müssen lernen, uns zu verständigen, auch wenn die Antwort erst viel später kommt", erklärt Joel Montalbano.

Zwei Jahre müssen die Nasa-Astronauten trainieren. In der letzten Runde bewarben sich 18.000 Piloten und Forscher für den Job, bei dem man 100.000 bis 140.000 Dollar im Jahr verdienen kann. Nur zwölf wurden genommen. Tobias Niederwieser ist dennoch zuversichtlich. "Schon 20 Leute von meinem Institut waren im All", hebt er hervor, und fügt hinzu: "Als Österreicher muss ich sowieso zur ESA. Wenn es nichts wird, werde ich Ingenieur für Raumfahrt."