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Auf den Straßen der russischen Hauptstadt Moskau herrscht fast rund um die Uhr Dauer-Stau. Die Moderatoren der privaten Radiosender kommen mit dem Verlesen immer neuer Stau-Berichte kaum nach - und hat sich eine "Probka" (ein Pfropfen) aufgelöst, folgt unweigerlich die nächste. Knapp 2,5 Millionen Fahrzeuge sind in Moskau registriert.
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Den Verkehr im Zentrum bringen schon wenig mehr als 200.000 zum Erliegen. Zwar gibt es breite Chausseen mit bis zu zwölf Spuren und einer übersichtlichen Trassenführung. Die Stadtverwaltung hat die Entwicklungen und Probleme der vergangenen zehn Jahre jedoch nach Meinung der meisten Beobachter vollständig verschlafen.
Vor allem freie Märkte und die damit verbundene Zunahme von Privatwagen sorgen für Chaos. Die zu sowjetischen Zeiten angelegten Trassen - mehrere Ringe um das Zentrum sowie speichenförmig zum Kreml führende Straßen - können das Verkehrsaufkommen kaum noch bewältigen. Fehlender Parkraum im engeren und weiteren Zentrum führen zu zusätzlichen Behinderungen, da die ohnehin undisziplinierten Autofahrer ihre Fahrzeuge oft einfach wahllos abstellen. Das Abschleppen ist der Polizei verboten, und so sehen die Beamten diesem Treiben meist tatenlos zu.
"Wir haben die ständigen Staus satt, wir brauchen eine Revolution auf unseren Straßen." So startete die populäre Zeitung "Moskowskaja Prawda" dieser Tage eine Initiative, mit der die Stadtverwaltung zu entschlossenen Maßnahmen gegen die "Apokalypse auf Moskaus Straßen" gezwungen werden soll. Eine erste Aktion, ein organisiertes Hupkonzert tausender wütender Autofahrer, stieß jedoch bei den Verantwortlichen auf wenig Verständnis.
Der Leiter der Verkehrsabteilung im Rathaus, Alexander Beljajew, sah dies als "Aufruf zum Chaos und zum Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung". Bürgermeister Juri Luschkow wies seine Untergebenen jedoch umgehend an, ihm noch bis Jahresende ein realistisches Maßnahmenpaket gegen die "Thrombosen im Verkehrs- Kreislauf" vorzulegen. Das Wirtschaftsmagazin "Kompanija" betrachtete das als verfehlte Mühe. Schließlich seien die Fehler aus der Tatenlosigkeit der vergangenen zehn Jahre nicht in kurzer Zeit zu beheben. Das Blatt rechnete vor, dass der Ausbau einer neuen Verkehrs-Infrastruktur mindestens 30 Mrd. Dollar (33,5 Mrd. Euro/461 Mrd. S) kosten würde. Geld, das die Stadtverwaltung nicht hat, nachdem die russische Regierung die für Moskau vorgesehenen Mittel im Staatshaushalt gestrichen hatte.
Der stellvertretende Leiter der Verkehrspolizei Moskaus, Sergej Nikolajew, sah kaum Möglichkeiten im Kampf "gegen das tägliche Jüngste Gericht im Verkehr". Einzig eine weiträumige Total-Sperrung des Zentrums für jeden Verkehr könnte noch Abhilfe schaffen. Zudem stünden der Verkehrspolizei gegenwärtig nur 3.500 Mann zur Verfügung, benötigt würden jedoch mindestens 7.000. Die Polizei kümmert sich ohnehin kaum noch um eine Regelung des Verkehrs. Die unterbezahlten Polizisten "fischen" meist die Fahrer teurer Autos aus dem Verkehr, um
ihnen wegen angeblicher Verstöße eine Geldstrafe zu verpassen - ohne Quittung natürlich.
Abhilfe im Chaos auf Moskaus Straßen könnte nur ein Machtwort des russischen Präsidenten Wladimir Putin bewirken. Doch dieser sorgt selbst für Staus ohne Ende, sobald er sich in seine gepanzerte Luxus-Karosse setzt. Denn dann wird seine Fahrstrecke für jeden anderen Verkehr gesperrt, manchmal bis zu drei Stunden. Das Magazin "Wlast" errechnete, dass dem Land dadurch jedes Mal ein wirtschaftlicher Schaden von 220.000 Dollar (245.508 Euro/3,38 Mill. S) entstehe, durch die verlorene Arbeitszeit der rund 50.000 Menschen im Stau. Eine Initiative des Parlaments, ein Bittschreiben an den Präsidenten zur Rücksichtnahme, blieb jedoch bisher im Papierstau stecken.