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"Wir brauchen einen EU-Investitionsfonds"

Von Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Finanzexperte Zuleeg: Eurobonds sollen neuen EU-Fonds speisen. Foto: EPC

Experte betont: Auch Spanien könnte "sehr schnell" Hilfe benötigen. | "Wiener Zeitung": Vor einem Jahr hat die EU mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) einen bis dahin beispiellosen Rettungsschirm über nominell 750 Milliarden Euro aufgespannt. Wie bewerten Sie diesen Wendepunkt in der Geschichte des Euro?


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Fabian Zuleeg: Damals hat man gedacht, dass damit alles Notwendige getan ist, um die Lage zu stabilisieren. Das hat sich sehr schnell als falsch herausgestellt.

Drei Länder sind inzwischen unter dem Rettungsschirm. Ist damit ein Schlusspunkt erreicht?

Derzeit sieht es nicht so aus, als ob noch ein weiteres Land Hilfe benötigte. Aber so etwas kann sehr schnell gehen. Wenn Sie vor der Krise Irland als hilfsbedürftige Wirtschaft genannt hätten, hätte Ihnen niemand geglaubt. Und wenn jetzt die spanischen Banken doch mehr Probleme haben, als es bisher aussieht, könnte es für Spanien rasch eng werden.

Sind die Rettungsschirme ein richtiges Konzept?

Wenn man diese Länder nicht in den Bankrott drängen möchte, gibt es keine andere Möglichkeit.

Was wäre so schlimm daran, sie einfach pleitegehen zu lassen?

Das Bankensystem in vielen EU-Ländern würde erneut erschüttert, die Europäische Zentralbank wäre massiv betroffen, weil sie viele Anleihen der Euroländer hält. Zudem würde die wirtschaftliche und politische Glaubwürdigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion schwer beschädigt.

Warum sollen sie sich die Zinsen in zwei oder drei Jahren wieder leisten können?

Man muss sich jetzt überlegen, was man mit diesen Ländern längerfristig machen will. Nur das Geld für den Akutfall bereitzustellen, reicht natürlich nicht. Diese Länder müssen erstens intern Reformen durchführen, was im Moment auch passiert. In manchen Fällen muss man sicher auch eine Umstrukturierung der Schulden inklusive Erlass von Teilen davon überlegen. Für Griechenland wird das früher oder später nicht vermeidbar sein. Und man muss Strukturen für Wachstum schaffen. Dazu sind jedenfalls zusätzliche Investitionen notwendig.

Wo soll das Geld dafür herkommen?

Es muss neben den Rettungsfonds auch einen Investitionsfonds geben. Der könnte über Eurobonds finanziert werden, direkt aus dem EU-Budget oder von reicheren Ländern über einen europäischen Mechanismus gespeist werden. Am Ende profitieren ja alle davon, wenn es für die schwächeren Länder wieder aufwärts geht. Die Zinseinnahmen, welche im Rahmen der Rettungsschirme lukriert werden, sollten ebenfalls in gezielte Investitionen für das Wachstum in diesen Ländern fließen.

Der Stabilitätspakt soll um raschere und empfindliche finanzielle Sanktionen verschärft werden. Diese sollen auch bei wirtschaftlichen Schieflagen verhängt werden. Werden diese Sanktionen jemals kommen? Sind sie ein geeigneter Anreiz?

Das sehe ich sehr kritisch. Ein wesentlich stärkerer Antrieb ist sicher die Situation, die wir jetzt in den Ländern unter dem Rettungsschirm sehen. Denn wer will sich schon von außen (IWF und EU, Anm.) seine Wirtschaftspolitik diktieren lassen.

Sie sagen, dass noch einiges zu tun ist. Was muss geschehen?

Man müsste wie erwähnt einen Investitionsfonds einführen. Dann müssten die Regeln der Wirtschaftsunion nicht nur für die schwachen Länder gelten, sondern auch für die starken. Etwa in Deutschland, Österreich und den Niederlanden müsste der Konsum gestärkt werden. Und die Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung dürfte nicht von der Kommission oder dem EU-Ministerrat wahrgenommen werden, sondern von einem unabhängigen Gremium - ähnlich dem Wirtschaftsweisenrat in Deutschland.

Fabian Zuleeg ist Chefökonom des Brüsseler Think Tanks "European Policy Centre" (EPC).