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Wir brauchen Friedenshelden

Von Wolfgang Schönleitner

Gastkommentare
Wolfgang Schönleitner ist Theologe, Männer- und Väterarbeiter und als Abteilungsleiter der Katholischen Männerbewegung Oberösterreich für Männerpastoral in der Diözese Linz verantwortlich.
© privat

Wenn Männer wieder vermehrt zu Waffen greifen, dann steht die Frage nach echter Männlichkeit auf dem Spiel.


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In einer vielbeachteten Rede hat der ukrainische Präsident die Abgeordneten des US-Kongresses eindringlich um Hilfe für sein Land gebeten. Er griff dabei auf ein Narrativ zurück, das tief im historischen Bewusstsein verankert ist: der Held, der sich für Freiheit und Frieden einsetzt und so siegreich aus der Asche aufersteht. "Glory to heroes. Thank you very much, Madam Speaker, members of the Congress, ladies and gentlemen, Americans, friends", sprach Wolodymyr Selenskyj noch vor der Begrüßung der Anwesenden eine Ehrerbietung an die Helden aus. Unzweifelhaft wandte er sich damit an alle Kämpfer, Gefallenen und Widerstandskräfte seines Landes, die der russischen Aggression heldenhaft entgegentreten.

Was ist wahrer Heldenmut heute? Den Zeitungen und Diskussionen ist mit unverhohlener Verwunderung zu entnehmen, dass die Helden der Ukraine in den Schützengräben liegen, um ihr Land zu verteidigen. Genauso ist zu hören, dass die russischen Soldaten in heldenhafter Weise ihre "Befreiungsmission" fortsetzen. Helden finden sich links und rechts in den Straßengräben der Geschichte. In den Köpfen und Bildern der Menschen unseres unmittelbaren Lebensumfeldes tauchen dreckverschmierte Männer auf, die linkisch grinsend das Gewehr schultern und sich auf den Weg in ihr Schicksal machen. Echte Männer müssen Helden sein.

Wenn Männer wieder vermehrt zu Waffen greifen, dann steht die Frage nach echter Männlichkeit auf dem Spiel: Sie sind skrupellos, roh, brutal. Männer gehen über ihre physischen und psychischen Grenzen hinaus, sie kennen keinen Schmerz, der Zweck ist ihnen heilig. Echte Männer gehen sogar über Leichen und zucken dabei nur mit den Schultern.

Echte Kerle und feige Drückeberger

Ist es dieses archaische Bild eines echten Kerls, das wir meinen, wenn wir von den Kriegshelden sprechen? Und was ist mit all den Feiglingen, Drückebergern, Schmarotzern und Trittbrettfahren, die währenddessen ängstlich in ihren Verstecken kauern? Was ist mit den Männern, die ihre Sorgen zeigen, denen all das Grauen zu viel ist, die verzweifeln und sich in die innere Emigration zurückziehen? Nein, echte Männer sehen anders aus: Zuversichtlich, siegesgewiss, unerschütterlich sollen sie sein. Die berühmte Schulter zum Anlehnen, der klare, nüchterne Blick, mit dem unüberwindliche Hindernisse bewältigt werden, ist gefragt.

"Being the leader of the world means to be the leader of peace", lautete der zentrale Appell des ukrainischen Präsidenten an die Abgeordneten, nicht tatenlos zuzusehen, sondern entschiedene Maßnahmen zum Schutz der Ukraine zu ergreifen. Eines ist klar: Männer dürfen in Kriegszeiten nicht fliehen. Das ist allgemeiner Konsens. Frauen, Kinder, Alte, Kranke sollen geschützt werden. Echte Männer halten die Stellung gegen den Aggressor. Alles andere wäre Verrat an allem, wofür es sich zu leben lohnt. Da heißt es durchhalten und aushalten: auch den Gestank, die Kälte und die Angst, die nachts in den Köpfen Bilder unverarbeiteter Gewalt in wilden Traumsequenzen Wirklichkeit werden lässt.

Der Traum von einem anderen Heldenmythos

Es macht nachdenklich und betroffen, wenn alte Heldenmythen wiederauferstehen als Zeichen echter Männlichkeit. Was ist so verdammt männlich daran, eine Waffe auf einen anderen Menschen zu richten, um ihn gezielt zu töten? Was ist männlich daran, wenn dies entfernt in Kommandozentralen passiert, von denen aus Drohnen als tödliches Werkzeug befehligt werden?

Haben wir die sprachlosen, emotionsgehemmten, schweigsamen Begegnungen mit unseren Vätern und Großvätern schon wieder vergessen, an die uns etwa Arnold Schwarzenegger in seiner bewegenden Videobotschaft an die Russen so einfühlsam und zärtlich erinnert? Haben wir verlernt, uns an die Gewalt väterlicher Fürsorge zu erinnern? Ist der Schützengraben die einzig wahre Mutprobe für männliche Heranwachsende? Muss erst die nächste Heldengeneration verglühen, damit Männlichkeit nicht mehr mit Heldentum und heroischem Tod verknüpft wird?

Mein Traum ist eine Gesellschaft, in der männlich nicht mit Gewalt assoziiert ist. In der Menschlichkeit als wahres Heldentum verstanden wird und wir uns dafür feiern, Mensch zu bleiben. Gegen Aggression braucht es keine Helden. Es braucht Entschiedenheit und Klarheit für die Sache der Demokratie, des Dialogs und gegenseitigen Respekts.

Selenskyj hat vor dem US-Kongress davon gesprochen, dass die Führer der freien Welt die Führer des Friedens sind, und damit gemeint: Schickt uns Waffen. Wörtlich hat er gesagt: "I have a dream. These words are known to each of you today. I can say I have a need. I need to protect our sky." Sein Traum ist das Trauma der glorreichen Helden: Befreit den Himmel von Kampfflugzeugen, lasst uns Gewalt mit stärkerer Gewalt vergelten, dann erst wird das ukrainische Volk als Sieger aus der Asche wiederauferstehen.

Ich wünsche uns einen anderen Heldenmythos. Wie wäre es, wenn sich die Führer der freien Welt als Menschen auf den Weg in die Gewalt machen? Wenn Papst Franziskus, Joe Biden, Ursula von der Leyen, António Guterres und alle Friedenshelden die Grenzen zur Ukraine überqueren mit der einfachen Botschaft, dass Heldentum keine Waffen braucht. Das Role Model dazu ist hinlänglich bekannt: Mahatma Gandhi hat einst westliches Heldentum durch gewaltfreien Widerstand überwunden.