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Wir brauchen keine netten Politiker

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Warum die beliebte Forderung nach "mehr Menschlichkeit in der Politik" leicht infantil ist.


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Wenn Politiker bei ihrem Rücktritt Tränen in den Augen haben, können sie sich des Beifalls der Medien und großer Teile der Öffentlichkeit sicher sein. Das war bei fast allen Abgängen der vergangenen Jahre so, zuletzt etwa bei Rudolf Anschober, und wird auch künftig so sein. Weil nämlich erkennbar emotionsgeschüttelte Politiker - und seien sie es auch nur aus maßloser Überschätzung der eigenen Bedeutung - irgendwie "menschlich" daherkommen, anstatt sich im gewohnten Panzer der Ratio einzubunkern. Besonders männliche Politiker können da punkten. Indem sie coram publico ein wenig flennen, entsprechen sie den zeitgenössischen Vorstellungen einer feminisierten Männlichkeit, die eher weich, emotional, aggressionsbefreit und extrem konsensorientiert daherkommt.

"Zurücktreten wie ein Mann", lobte demnach der "Standard" Anschobers Abgang und stellte eine Frage, die weit über den Anlass hinausweist: "Wenn von Anschobers Rücktritt als Fazit bleibt, dass der Mann einfach nicht hart genug für das tagespolitische Geschäft war, wäre das eine vergebene Chance darüber nachzudenken, ob es nicht umgekehrt ist: dass dieses Geschäft nämlich aktuell zu hart für alle Beteiligten ist." Ein Gedanke, der gerade in der Generation der Millennials, die Jobbewerbungsgespräche nicht selten mit der Frage nach der Work-Life-Balance und dem ersten Urlaubstag beginnen, auf Zustimmung stoßen wird.

Das Blöde daran ist nur, dass sich die kalte Wirklichkeit da draußen eher wenig für die sensiblen Befindlichkeiten der Bewohner einer im globalen Maßstab ebenso kleinen wie irrelevanten Komfortzone interessiert. Politik ist, jedenfalls oberhalb einer gewissen Geringfügigkeitsgrenze, ganz grundsätzlich ein extrem hartes, extrem anstrengendes Geschäft, in dem allzu sensible Charaktere wohl eher nicht ihr Glück finden werden und schon gar nicht das ihrer Wähler. Es gilt der alte Satz: Man soll nicht in die Küche, wenn man die Hitze nicht verträgt. Das gilt ganz besonders in der Kategorie der "Politik für Erwachsene", also etwa der europäischen Führungsebene der Minister und Premierminister. Die Vorstellung, dass dort ein Politiker, "für den dieses Geschäft zu hart ist", Europas Interessen gegenüber Charakteren wie dem im Geheimdienst gestählten Wladimir Putin oder dem eiskalten Machtmaschinisten Xi Jinping zu vertreten versucht, ist eher beunruhigend. Da würde man sich manchmal eher jemanden vom Zuschnitt eines Winston Churchill, eines General Charles de Gaulle oder notfalls zumindest eines Helmut Kohl wünschen, auch wenn deren Heulsusen-Qualifikation eher überschaubar war. Kompromisse zu finden, noch ehe überhaupt ein Konflikt sichtbar ist, gehört in dieser Gewichtsklasse eher nicht zu den wünschenswerten Primärtugenden.

Der Anspruch an Politiker, nette Menschen zu sein, ist ein weitverbreitetes Missverständnis - "nett" ist keine politische Kategorie. Von einem Gesundheitsminister etwa erwarten wir zu Recht, dass er dafür sorgt, möglichst viele Leute möglichst schnell zu impfen - ob er dabei charmant und nett oder grob und ungut ist, ist irrelevant. Wer seinen Job als Politiker gut hinkriegt, wird dafür gewählt, auch ohne öffentlich zu flennen.