Liz Mohn über Früchte von Migration, Frauenrechte und Schulabbrecher.
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"Wiener Zeitung": Die Schweiz und Österreich sind unter jenen Ländern, die in den kommenden Jahrzehnten am meisten vom demografischen Wandel und Fachkräftemangel betroffen sein werden. Wenn wir Talente aus Bulgarien oder Rumänien nach Österreich oder Deutschland holen, erzeugen wir da nicht Probleme in den Herkunftsländern, wo dann Experten und gut ausgebildete Fachkräfte fehlen?Liz Mohn: Das kommt darauf an. Aus der Türkei sind Menschen vor Jahrzehnten nach Deutschland oder Österreich gekommen, ihre Kinder sind hier aufgewachsen, hier zur Schule gegangen und haben es geschafft, hier das Abitur zu machen. Diese Generation denkt an ein Studium, sie arbeitet neben dem Studium hart im Service, in Gaststätten oder im Hotel, im Pflegebereich, in der Bauwirtschaft, im Maschinenbau oder im Tourismus. Ihr Ziel ist es beispielsweise, Unternehmer zu werden, etwas aufzubauen. Sie sehen in Deutschland oder Österreich die Möglichkeit, aus ihrem Leben etwas zu machen.
Aber nicht jeder ist gleich talentiert oder hat diesen Unternehmergeist, den Sie beschreiben.
Das mag sein. Aber wir brauchen nicht nur Super-Talente. Was wir brauchen, sind Menschen, die die Gesellschaft mitziehen. Aber wir müssen auch alle mitnehmen. Wir haben leider immer mehr junge Menschen, die wir nicht mehr mitziehen können: Denken Sie an Schulabbrecher. Es sind eben nicht alle gleich intelligent oder motiviert, andere wiederum haben eine Ausbildung, die von unserem Wirtschaftssystem nicht mehr so nachgefragt wird. Was wir brauchen, ist diese Leidenschaft, etwas zu schaffen, wir brauchen Unternehmertum. Nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch in den Kommunen und der öffentlichen Verwaltung.
Glauben Sie, dass Migration auch Würze in die Gesellschaft bringen kann?
Sicherlich. Wir sehen alle anders aus, haben eine unterschiedliche Hautfarbe, unterschiedliche Augen. Wenn man das schon von klein auf mitbekommt, dann wächst man viel weltoffener auf. Wir wissen bis heute zu wenig voneinander: Wir wissen zu wenig über andere Kulturen, über andere Weltreligionen. Ich glaube, dass wir alle voneinander lernen können und dass jede Kultur positive Aspekte hat, an denen man sich durchaus orientieren kann.
Und was wurde aus dem von Samuel Huntington beschworenen "Kampf der Kulturen"?
Das Christentum war in der Vergangenheit auch nicht frei von Radikalismus und Eiferern. Heute werden Muslime in der westlichen Welt von manchen an den Pranger gestellt. Aber einen "Kampf der Kulturen" sehe ich nicht, da sehe ich die Zukunft durchaus rosiger: Je mehr Reisemöglichkeiten Menschen heute bekommen, je mehr Möglichkeiten sie erhalten, andere Kulturen kennenzulernen, je neugieriger sie auf andere Zivilisationen werden, umso toleranter werden sie. Ich spüre gerade bei der jungen Generation ein steigendes Bedürfnis nach mehr und mehr Vernetzung.
Sie stehen seit 2009 an der Spitze eines der weltweit größten Medienunternehmen. Sie führen eine der größten deutschen Stiftungen mit, die Bertelsmann-Stiftung. Da sind Sie durchaus eine Ausnahme, in Deutschland und Österreich sieht man immer noch wenige Frauen an der Spitze.
In Ländern, in denen Frauen keine Bildungschancen und Entfaltungsmöglichkeiten haben, gibt es auch große Hindernisse für Entwicklung. In weiten Teilen der arabischen Welt liegen 40 Prozent der Talente der Bevölkerung, 40 Prozent des Wissens und des Könnens der Gesellschaft zu Hause brach. Ich habe mit etlichen Frauen in Palästina gesprochen, viele haben studiert, haben sich selbständig gemacht, und das hat das Selbstbewusstsein dieser Frauen gestärkt. Dies hat wiederum das Potenzial, die gesamte Gesellschaft positiv zu verändern. Unsere Gesellschaft besteht aus Männern, Frauen und Kindern. Frauen haben andere Stärken, andere Begabungen als Männer. Das Wichtigste ist zuerst einmal, den Bildungsweg allen - Frauen wie Männern - zu öffnen. Meine Gespräche mit Frauen in Saudi-Arabien haben mich betrübt gemacht: Diese Frauen haben vom Mangel an Freiheit berichtet, vom fehlenden Zugang zum eigenen Beruf. Sicher hat sich auch in Saudi-Arabien einiges bewegt. Wenn ich aber daran denke, dass eine Frau aus dem Königshaus, die eine Brustkrebs-Stiftung ins Leben gerufen hat, für eine Reise etwa nach Italien eine Unterschrift ihres Vaters oder des kleinen Bruders braucht, dann bleibt man da schon ratlos zurück. Warum Volkswirtschaften und Gesellschaften auf Frauen verzichten wollen, erschließt sich mir nicht: Frauen schneiden heute in der Schule, auf der Uni besser ab. Sie sind disziplinierter. Besser organisiert.
Auf einer Konferenz in Österreich hat mir unlängst eine Frau erzählt, wie sie von einem Konferenzteilnehmer, einem CEO, mit den Worten angesprochen wurde, sei sie zufällig die Assistentin vom So-und-so, er müsste ihn nämlich dringend erreichen. Dabei war sie selbst Spitzenmanagerin. Ist Ihnen das auch schon passiert, dass man Sie für eine Assistentin von jemandem gehalten hat, weil Frauen eben für manche Männer noch Assistenten und keinesfalls CEOs sein können?Nein, ist mir nie passiert. Vielleicht bin ich auch anders aufgetreten, das kann auch sein.
Die Frau, die ich meine, ist recht resolut.
Ich erinnere mich an eine Zeit, da nahmen kaum Frauen an solchen Konferenzen teil. In den Flugzeugen saßen kaum Frauen, schon gar nicht in der Business-Class. Wirtschaft und Gewerkschaften müssen die Köpfe zusammenstecken und überlegen, wie man ein System schaffen kann, das Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinfacht.
Deutschland oder Österreich sind nicht gerade gesegnet mit Kindergartenplätzen. Ist es nicht das, was berufstätige Frauen wollen und brauchen?
Gerade erfolgreiche Frauen wollen zuerst einmal ihren Weg im Beruf machen. Auf die Frage, warum sie keine Kinder wollen, sagen sie: später. Zuerst mal kommt die Karriere. Aber die biologische Uhr tickt natürlich. Und dann ist es vielleicht zu spät. Was mich überrascht: Wenn ich an unsere Bertelsmann-Unternehmen in den USA denke, dann fällt auf, dass die Frauen dort sehr viel schneller nach der Entbindung wieder in das Unternehmen zurückkommen als in Europa. Was in Europa kompliziert scheint, funktioniert in den USA. Und das bei einem viel weniger entwickelten Sozialsystem. Ich habe selbst drei Kinder, ich war berufstätig und weiß, wovon ich spreche. Das war die anstrengendste Zeit meines Lebens, ich hatte ständig dieses Gefühl: "Du bist für Deine Kinder nicht genug da!" Das ist alles andere als einfach. Aber ich musste auch immer an jene Frauen denken, die nach einem harten Tag heimkamen und um elf Uhr nachts noch dastanden und die Wäsche bügeln mussten. Das ist in jenen Familien, in denen beide das Geld verdienen, Normalfall. Und dann gibt es in Deutschland noch fast drei Millionen Alleinerzieherinnen. Die können in vielen Fällen gar keiner ganztägigen Beschäftigung nachgehen, weil sie sich ja auch um die Kinder kümmern müssen.
Den Begriff "Rabenmutter" gibt es übrigens auf Englisch, in den USA, Australien oder in Großbritannien nicht.
Den gibt es nur auf Deutsch, das stimmt leider, auch auf Französisch fällt mir da nichts Gleichartiges ein. Dieser Begriff ist ja auch wirklich aus der Mottenkiste. Geben wir doch jedem Menschen die Chance, das Beste aus seinem oder ihrem Leben zu machen. Wenn ein Mann und eine Frau eine harmonische Beziehung führen und ein erfülltes Leben leben, dann sind beide glücklich - und somit auch ihre Kinder zufrieden. Man muss ja nicht acht Stunden neben seinem Kind sitzen, damit es glücklich wird. Wenn es krank ist oder einen braucht, dann ist man eben da. Später werden die Kinder das verstehen und auch, dass Arbeit nicht nur eine Verpflichtung ist, sondern auch Sinn stiftet und Lebensqualität geben kann.
Elisabeth "Liz" Mohn, geb. Beckmann (* 21. Juni 1941 in Wiedenbrück), ist Aufsichtsratsmitglied der Bertelsmann SE & Co. KGaA und Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Bertelsmann-Gründer Reinhard Mohn und Liz Mohn haben drei gemeinsame Kinder.
Nach Reinhard Mohns Tod 2009 wuchs Liz Mohn eine immer wichtigere Rolle bei Bertelsmann - und in der Bertelsmann Stiftung - zu.
Liz Mohn war zuletzt Gastgeberin beim Salzburger Trilog, einem Expertentreffen, das sich alljährlich einem gesellschaftlich und politisch relevantem Thema widmet. Dieses Jahr wurde bei dem Treffen in Salzburg darüber diskutiert, wie entwickelte Volkswirtschaften künftig vermehrt Facharbeiter, Experten und Talente anziehen können.