Evelyn Böhmer-Laufer organisiert seit neun Jahren Peacecamps in Reibers (NÖ).
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Wien. Auch heuer reisen jüdische und palästinensische Jugendliche aus Israel nach Österreich, um hier gemeinsam mit heimischen und ungarischen Gleichaltrigen im Peacecamp in Reibers (NÖ) im Rahmen von Workshops Strategien zu entwickeln, wie man Konflikte gewaltfrei und anders lösen kann. Die "Wiener Zeitung" sprach mit der Gründerin und Organisatorin dieser Camps, der Wiener jüdischen Psychotherapeutin Evelyn Böhmer-Laufer.
"Wiener Zeitung": Seit 2004 veranstalten Sie jeden Sommer ein Peacecamp. Woher kam der Anstoß für diese Initiative?
Evelyn Böhmer-Laufer: Nach zahlreichen gescheiterten Friedensverhandlungen im Israel-Palästina Konflikt hatte ich die Idee, die Jugendlichen von heute zu den Friedensbotschaftern von morgen zu machen. Man muss ihnen Instrumente geben, um über Konflikte mit Worten zu reden und nicht mit Granaten.
Wie hat die jüdische Gemeinde in Wien auf das erste Camp reagiert?
Ich dachte, meine Freunde werden mich unterstützen. Aber zu meinem Erstaunen kam nichts, weder in Österreich noch in Israel. Ich habe Leute um Geld gebeten und habe zur Antwort bekommen: "Wozu, du willst Terroristenkinder einladen?" Und meine linken Freunde haben gesagt: "Wozu, du willst Zionistenkinder einladen?" Ich war baff. In Israel waren die Freunde richtig beleidigt, dass ich dieses Projekt mache. Eine Freundin hat gesagt: "Das wäre so, wie wenn du während der Schoa ein Ferienlager mit deutschen und jüdischen Kindern machen wolltest."
Wie erklären Sie sich diese Reaktion als Psychotherapeutin?
Es war einfach eine Situation der Bedrohung und ich glaube, dass sie Schoa-Erinnerungen wachrief. Ich glaube, dass die Gewalt, die Eskalation, der Bombenterror, die Kriegsdrohungen und dass Israel seit Beginn seiner Existenz von Feinden umgeben ist, eine defensive Haltung hervorruft. Und daraus wird leicht eine aggressive Haltung, weil man sich auf keinen Fall wieder in eine Opferrolle begeben will. Dann ist Angriff die beste Verteidigung.
Hat das jüdische Umfeld seine Haltung zu dem Projekt inzwischen geändert?
Es hat sich vieles gewandelt, aber auch parallel zur Entwicklung in Palästina und Israel insofern, als die Gewalt deeskaliert ist.
Haben sich nach den Camps seit 2004 Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern entwickelt?
Das ist die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Was bleibt von den Peacecamps? Auf Facebook sieht man schon ein Hin und Her an Reaktionen, vor allem nach politischen Events, und sie diskutieren miteinander. Es kommen auch immer wieder jüdische Israelis nach Österreich oder nach Ungarn. Zu meiner Enttäuschung bleiben die Palästinenser aber immer ein wenig abseits.
Was könnte der Grund dafür sein?
Sie kommen mir ein bisschen vor wie die Juden nach der Schoa. Sie stellen sich ins Abseits und dann sagen sie, man mag uns nicht. Vergangenes Jahr kam beispielsweise eine palästinensische Gruppe aus einer Privatschule in Haifa zu uns ins Camp. Die Kinder haben wunderbares Englisch gesprochen, und sie haben im Camp das Kommando geführt. Aber im Nachhinein hat der Direktor der Schule zu mir gemeint, dass seine Kinder eine sehr schwere Zeit bei uns hatten, weil sie in der Minderheit waren und dass es viel mehr Juden in unserem Team gibt. Und das stimmt. In meinem Team sind einige Juden, weil ich nun mal in der jüdischen Community lebe und hier vernetzt bin. Ich suche zwar immer wieder den Kontakt zu Palästinensern, aber da kommt wenig. Heuer wird aber eine palästinensische Chefredakteurin die Workshops machen.
Was konnten Sie bisher mit den Camps bewegen?
Vieles, woran ich vorher nicht gedacht habe. Zum Beispiel spüre ich, dass die Menschen in Reibers weniger xenophob sind, als sie es früher einmal waren.
Wie läuft der Alltag im Camp ab?
Wir haben im Camp Friedensgespräche. Manchmal fließen dabei Tränen, manchmal gibt es Beleidigungen, manchmal Hoffnungslosigkeit. Dann ist die Sitzung aus. Dennoch gelingt es jedes Mal, einen Schalter umzulegen. Zwar bleibt der Konflikt im Raum stehen, aber die Kinder machen dennoch Dinge gemeinsam. Das ist das Berührende. Es gibt Konflikte, und die sind momentan nicht lösbar. Trotzdem können sie nachher gemeinsam kreativ sein. Es wird eine neue Beziehungsebene geschaffen, in der auch viele positive Gefühle entstehen. Und ich glaube, dass es danach möglich ist, die Debatte neu und anders zu führen.
Auf der politischen Ebene ist der Friedensprozess von Stillstand gekennzeichnet. Haben Sie einen persönlichen Lösungsvorschlag?
Nein. Wenn die Kinder am ersten Tag ankommen und ich sie begrüße, sage ich ihnen Folgendes: Wir sind Erwachsene, die mit euch arbeiten, aber im Gegensatz zur Schule sind wir keine Erwachsenen, von denen ihr etwas lernen könnt. Weil wir haben versagt. Wir wissen nicht, wie man Frieden bekommt. Aber ich vertraue darauf, dass sich die Kinder Lösungen ausdenken, an die bisher noch niemand gedacht hat. Wir haben im Camp auch "Mission-Impossible-Aufgaben." Da wird zum Beispiel ein Teppich aufgelegt und alle 50 Füße müssen draufstehen. Und dann muss man ihn umdrehen, und niemand darf dabei außerhalb des Teppichs stehen. Und die schaffen es, jedes Mal. Für mich ist das wunderbar, weil ich denke mir, in Israel müssen die Grundfesten geändert werden. Es müssen alle bleiben, niemand darf vertrieben werden, aber es muss sich radikal etwas ändern.
Zur Person
Evelyn Böhmer-Laufer ist Psychoanalytikerin, Psychologin und Psychotherapeutin. Geboren 1950 in Wien, lebte sie von 1971 bis 1991 in Israel. Seit 2004 organisiert sie die Peacecamps in Reibers.