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"Wir Europäer können stolz auf uns sein"

Von Bernd Vasari aus Brüssel

Wirtschaft

Elisa Ferreira, EU-Kommissarin für Regionen und Reformen, über die Verantwortung von Städten, nutzlose Flugverbindungen und kritische EU-Bürger.


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Warum Bürgermeister oft das bessere Ende haben, die Bahn ausgebaut werden muss und der Wille zu Veränderung nötig ist, erklärt Elisa Ferreira, EU-Kommissarin für Regionen und Reformen, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Frau Ferreira, Sie sind Kommissarin für Kohäsion - also für Regionalpolitik. Sie sind aber auch Kommissarin für Reformen, ein weit gefasster Begriff. Was bedeutet das?

Elisa Ferreira: Ja, das stimmt schon. Das Wort Reform hat ein bisschen an Bedeutung verloren. Es wurde zu oft verwendet und ist etwas überstrapaziert. Wir sprechen daher lieber von Empfehlungen durch die Kommission und von Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten. Da geht es um Bildung, Innovationen oder wie derzeit sehr stark um Nachhaltigkeit. Wer die Empfehlungen umsetzt, erhält von uns finanzielle Unterstützung.

Empfehlung klingt sehr bescheiden, vor allem wenn man an das größte Projekt der Kommission denkt, den Green Deal. Dieser wird deutliche Spuren in Europa hinterlassen. So soll die europäische Wirtschaft auf nachhaltige Beine gestellt werden. Für größere Unternehmen ist es wesentlich einfacher, in diesen Wandel zu investieren und sich neu aufzustellen, als für kleinere Unternehmen mit geringen Margen. Wie können sie gestärkt werden?

Wir haben verschiedene Förderinstrumente geschaffen, die auf kleinere Unternehmen fokussieren. Wichtig ist dabei, dass der europäische Markt vom Wissen dieser Unternehmen profitiert. Das ist auch der Grund warum wir die Initiative Neues Europäisches Bauhaus gestartet haben. Wir wollen europäische Innovationen sichtbar machen. Das hilft am Ende auch den kleineren Unternehmen.

Die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft trifft vor allem strukturschwache Regionen. In Österreich sind Regionen, wie etwa in Salzburg oder in Tirol, abhängig von Massentourismus, der wenig nachhaltig ist. Wie sollen sich diese Regionen neu erfinden? Wovon sollen diese Regionen leben?

Diese Regionen in Salzburg und in Tirol sind aber auch sehr reich. Ich brauche ihnen daher nicht zu sagen, wie sie den Verkehr nachhaltiger organisieren können und wie sie Tourismus nachhaltiger gestalten. Sie werden es selbst schaffen. Die Regionen müssen sich nur bewusst machen, wie sehr sie der Umwelt schaden, und sie müssen dann den Willen aufbringen, um das zu verändern.

Während strukturschwache Regionen in Europa zurückgefallen sind, haben urbane Räume und städtische Regionen an wirtschaftlicher Macht gewonnen. Nun wollen sie auch in Brüssel mehr Gewicht bekommen. Was halten Sie davon?

Sie haben zuletzt ohnehin an Gewicht gewonnen. Doch sie müssen auch mehr Verantwortung übernehmen. Die Kohäsionsgelder sind jedoch weniger für die großen Städte gedacht, die ohnehin sehr viel Steuereinnahmen haben, sondern für abgelegene Regionen. Damit sie von den Städten nicht noch weiter abgehängt werden. Die Anziehung der Städte ist teilweise so hoch, dass andere Regionen aussterben. Die Städte haben die Verantwortung, sich mit ihrem Umland stärker zu vernetzen, damit es eine Balance gibt.

Nachhaltig soll auch der Verkehr werden. 2021 ist das Jahr der Schiene. Derzeit tingelt der Sonderzug "Connecting Europe Express" durch Europa. Bis 7. Oktober soll er durch 26 Länder fahren, um Werbung für Bahnprojekte zu machen. Nur zehn Prozent aller EU-Bürger fahren mit der Bahn. Wie kann dieser Anteil erhöht werden?

Unser Fokus in Europa war jahrzehntelang ausschließlich auf den Bau von Straßen und die Förderung der Autoindustrie gerichtet. Die Bahn hat zuletzt aber enorm an Bedeutung gewonnen, sie ist ein wichtiger Bestandteil des Green Deals. Wenn wir unsere Emissionen reduzieren wollen, müssen wir die Bahn ausbauen. Daran arbeiten wir gerade.

Abgesehen von der - im Vergleich zur Straße - schwach ausgebauten Bahninfrastruktur in Europa gibt es auch andere Hindernisse. So haben Portugal und Spanien eine andere Spurweite als Mitteleuropa. Wie lässt sich das Problem lösen?

Wir lösen es mit Technologie, wir haben das nötige Know-how. Die Bahn spielt in unseren Plänen eine wichtige Rolle, weil wir mit ihr viele Flugverbindungen innerhalb Europas einsparen können. Viele Flüge sind da nutzlos und können sehr leicht durch Schnellzüge ersetzt werden. Wenn ich von Brüssel nach Paris fahre, denke ich nicht im Traum daran, einen Flieger zu nehmen. Ich steige natürlich in den Zug.

Warum gibt es nicht einen Anbieter, bei dem man Fahrscheine für ganz Europa kaufen kann?

Das müssen wir noch vereinfachen, da haben Sie recht. Jeder Europäer kennt Interrail, das war ein großer Erfolg.

Die Bahn ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwer sich die Mitgliedstaaten tun, miteinander zu arbeiten. Weltfremde Bürokratie heißt es dann. Was muss besser werden?

Wir müssen verstehen, dass die europäischen und die klimatischen Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Wir sind in einer Notfallsituation. Die Menschen erwarten, dass wir schnell handeln.

Nie kommt die EU ihren Bürgern näher als bei Kohäsionspolitik. Der Hauptbahnhof in Wien wäre ohne die finanziellen Mittel der EU undenkbar gewesen. Doch wenn es funktioniert und von den Bürgern angenommen wird, stellt sich der Bürgermeister lächelnd vor die Kamera. Funktioniert es nicht, wird auf die EU gezeigt und für sinnlose Ausgaben kritisiert. Wie erleben Sie das?

(lacht) Dazu gibt es viele Beispiele. Wir organisierten die Gelder für Masken, Impfdosen usw. und am Ende klopften sich die Staaten auf die Schulter. Es ist aber wichtig, dass die Menschen verstehen, was die EU macht und was mit den Steuergeldern passiert, die nach Europa fließen.

27 nationale Regierungen, viele verschiedene Parteien und Interessengruppen: Da kann es durchaus dauern, bis es zu einem Ergebnis kommt. Ist die Kluft zwischen der Erwartung der EU-Bürger und der Realität zu hoch?

In der Pandemie wurde die Kommission als bürokratisch und langsam kritisiert. In Wahrheit startete die Pandemie im Februar. Im März hatten wir bereits alle Verordnungen angepasst, und wenige Wochen später fluteten wir die Mitgliedstaaten mit finanziellen Mitteln, damit sie sich Ventilatoren, Masken usw. kaufen konnten. Es gab die Angst vor dem Einbruch des europäischen Arbeitsmarktes, das ist nicht passiert. Und auch die Impfungen sind ein Erfolg. Wir exportieren so viele Impfstoffe, wie wir impfen. Wir sind weltweit der größte Spender an Impfstoffen - weit vor den USA oder China. Wir Europäer können stolz auf uns sein, was wir geschafft haben.

(Das Interview entstand im Rahmen einer Pressereise auf Einladung der EU-Kommission.)