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Laut Schelling haben die Kassen die Kosten im Griff. | Länder müssen bei Spitälern Hausaufgaben erledigen. | "Wenn die Kompetenzen nicht geklärt werden, fahren wir mit Vollgas gegen die Wand." | "Wiener Zeitung": 27 Milliarden Euro gibt Österreich für Gesundheit aus. Ist das noch zu wenig? | Hans Jörg Schelling: Nein, das ist extrem viel, das sind 10,2 Prozent des BIP. Wir haben aber zwei große Problemkreise: Die Gesundheitskosten werden permanent weiter steigen.
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Und die Dynamik der Kostensteigerung ist höher als die BIP-Entwicklung - vor allem bei den Krankenhäusern, die in den vergangenen Jahren Kostensteigerungen von 45 Prozent hatten. Bei Kosten von 10,5 Milliarden sind das 400 Millionen pro Jahr zusätzlich. Die Landesgesundheitsfonds bekommen aber von der Sozialversicherung nicht mehr als 35 Prozent unseres Budgets. Wenn die Einnahmen der Krankenkassen nicht steigen, gibt es auch nicht mehr Geld. Auch aus dem Budget kommen 7 Prozent weniger Steuereinnahmen an die Länder. Wenn man das sieht, die Zahlen kennt und dennoch nichts tut, dann ist das Selbstmord mit Anlauf.
Hinzu kommt, dass das System durch die Alterung der Gesellschaft teurer wird. Und der dritte große Kostenfaktor sind Folgekosten aus mangelnder Prävention und mangelndem Gesundheitsbewusstsein. Wir müssen den Menschen sagen, dass sie sich nicht in die Absolution begeben, indem sie Krankenkassenbeiträge zahlen, sie müssen auch selbst einen Beitrag leisten. Der beste Arzt sind Hände und Füße - Füße, die für die Bewegung und Hände, die fürs Essen zuständig sind. Ein weiterer Bereich, wo wir in ein ziemlich komplexes Kostenproblem hineinrattern werden, ist das Thema Pflege. Wir werden einen Weg finden müssen, um Pflege und Krankheit zu verbinden.
Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder die Kosten explodieren oder wir machen ein besseres System mit verbessertem Schnittstellenmanagement und allem, was dahintersteckt. Deshalb rüttle ich auf: Wir haben das Problem seit Jahrzehnten, tun wir endlich etwas.
Fassen wir die Probleme zusammen: Wir haben sehr viele Zuständigkeiten, aber der Gesundheitsminister hat nahezu keine Kompetenzen, auch der Hauptverband hat keine Kompetenzen.
Wir haben Zuständigkeiten, aber keine Verantwortlichkeiten. Das ist das Wesen des Föderalismus in Österreich. Wir haben neun Landeskrankenanstaltengesetze, wir haben neun Landesgesundheitsplattformen, wir haben einen regionalen Strukturfonds Gesundheit.
Braucht es die Landesplattformen überhaupt?
Die Landesplattformen haben schon Sinn, sie haben aber keine Steuerungskompetenz, weil das Land, das zwar Teil dieser Plattformen ist, Krankenhäuser auch dann baut, wenn die Plattform dagegen ist. Entweder man gibt diesen Plattformen Kompetenzen oder wir brauchen sie nicht. De facto haben wir keinen Plan. Das gilt für alles. Wir haben den Strukturplan Gesundheit, der so lange gewürgt wurde, bis man die Realität abgebildet hat. Wer hat die Kompetenz für die Planung und Steuerung? - Das ist das entscheidende Thema.
Wer soll diese Kompetenz haben?
Das kann nur auf der Bundesebene stattfinden. Ein Planungsinstrumentarium von Bund, Ländern, Sozialversicherung. Die drei Zahler sollten in einem Boot sitzen und gemeinsam entscheiden, wie die Versorgung funktioniert. Die Kompetenz für Planung, Steuerung, Finanzierung, Ausbildung und Qualitätssicherung gehört zum Bund.
Wir müssen erreichen, dass über Ländergrenzen hinweg geplant werden kann, und wir brauchen die Finanzierung aus einem Topf. Weil wir nur so das Prinzip "Geld folgt Leistung" durchsetzen können.
Was verstehen Sie konkret unter dem Prinzip "Geld folgt Leistung"?
Theoretisch ist es so, die Kassen zahlen 4,2 Milliarden Euro für 262 Spitäler. Würden wir diese Anzahl reduzieren - was niemand tut -, zahlen wir noch immer dieselbe Summe. Das Prinzip "Geld folgt Leistung" funktioniert hier nicht. Ich sage nicht, schließt Krankenhäuser.
Das zweite Beispiel: Drei Krankenhäuser haben drei Ambulanzen und gliedern ambulante Leistungen in eine Ärzte GmbH aus. Daraufhin stellt die Landesregierung eine Bedarfslücke fest, weil die Ambulatorien nur noch eingeschränkt funktionieren. Dieser Bedarf muss dann befriedigt werden und die Krankenkasse wird gezwungen, der Ärzte GmbH einen Kassenvertrag zu geben. Das ist das System: Der, der ausgliedert, ist derjenige, der den Bedarf feststellt und drückt den Kassen dann einen Vertrag auf für Dinge, die sie nicht machen wollen. Ich habe kein Problem damit, ich hätte nur gerne das Geld, das sich die Spitäler ersparen, zurück. So zahlt die Kasse dann doppelt. Das ist nicht "Geld folgt Leistung", das ist Florianiprinzip. Wenn diese Kompetenz nicht geklärt wird, müssen wir über nichts mehr nachdenken, dann können wir mit Vollgas gegen die Wand fahren.
Ist es realistisch, dass es zu Kompetenzverschiebungen kommt?
Bundeskanzler Werner Faymann sagt, im Gesundheitsbereich kann man zwei Milliarden Euro einsparen. Vizekanzler Josef Pröll hat gesagt, die Finanzierung aus einem Topf müsse kommen. Es gibt also die politische Willenserklärung. Jetzt geht es darum, zu verhandeln und klarzulegen, was wir wollen.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es Innenministerin Fekter und mir seit eineinhalb Jahren nicht gelingt, einen bundeseinheitlichen Plan für die Flugrettung zu machen. Diese kostet 39 Millionen Euro pro Jahr. Mein Ziel ist, diese Kosten auf 29 Millionen zu drücken, dann wäre sie finanzierbar. Die Landeshauptleutekonferenz konnte sich nicht darauf verständigen. Ich könnte sagen, das geht mich nichts an, denn Rettungswesen ist ausschließlich Aufgabe der Länder. Sie sollen es machen, es wird nur teurer.
Was steht in Ihrem Masterplan, den Sie bis Herbst vorlegen wollen?
Der Masterplan läuft unter der Arbeitsthese: "Von der einrichtungsorientierten Finanzierung zur patientenorientierten Versorgung." Wir werden Überlegungen anstellen, auf welcher Ebene der Versorgung welche Leistung erfolgen soll. Da kommen wir vom Honorarrecht zum Leistungsrecht. Derzeit gibt es auch hier eine Abschiebeproblematik, die die Krankenhauskosten treibt. Wir haben Null-Tages-Aufenthalte in Spitälern. Wir leisten uns damit den Luxus, dass wir die teuren Akutbetten auslasten. Außerdem werden wir die Ist-Situation mit Kosten, Akutbetten und die Überversorgung aufzeigen. Dann wird man fragen, was mit diesen Überkapazitäten passieren soll.
Spitäler sind auch regionale Wirtschaftsfaktoren und eine Schließung politisch nicht machbar. Deshalb sage ich auch, wir schließen kein einziges Spital. Wenn die Länder bei diesem Masterplan nicht mitarbeiten, machen wir ihn aus Sicht der Zahler.
Dann machen Sie das aus Ihrer Sicht und niemand setzt diesen Masterplan um?
Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass der Finanzdruck dabei hilft.
Wie hoch ist die Verschuldung der Krankenhäuser?
Ich hätte gerne dieselbe Kostentransparenz, wie wir sie in den Kassen haben, auch bei den Landeskrankenhäusern. Wir wissen nicht, wie hoch deren Schulden sind. Schätzungen liegen bei acht bis zehn Milliarden Euro. Wie soll ein Krankenhaus jemals das Geld verdienen, um diese Schulden zurückzuzahlen? Neben diesem Schuldenstand gibt es die Abgangsdeckung. Wenn die Zahlen stimmen, die wir haben, dann ist die Abgangsdeckung in einem durchschnittlichen Bundesland größer als das ganze Krankenhausdefizit österreichweit. Die Gesundheitsökonomen gehen davon aus, dass in den nächsten 5 Jahren 1,5 Milliarden Euro zusätzlich an Abgangsdeckung auf die Länder zukommen. Aus diesem Druck heraus glaube ich, dass der Zwang des Faktischen dazu führt, dass wir zu einer Strukturreform kommen. Am Schluss belohnt die Bevölkerung die Mutigen.
Sie sind zuversichtlich, dass die Länder unter dem Finanzdruck einer Steuerung aus einer Hand zustimmen. Gibt es einen Zeithorizont?
Das sehen Sie richtig. Der Zeitplan ist folgender: Masterplan im Herbst, Beginn der Finanzausgleichsverhandlungen im kommenden Jahr, erste Umsetzung mit neuem Finanzausgleich ab 2013.
Hans Jörg Schelling (56) ist Vorarlberger, lebt aber seit Jahrzehnten in St. Pölten. Er studierte Betriebswirtschaftslehre in Linz. Seine berufliche Karriere begann er bei Leiner/Kika, wo er auch Geschäftsführer war. Nach Differenzen wechselte er zu XXXLutz, wo er derzeit noch als Aufsichtsrat tätig ist. Außerdem hatte er Aufsichtsratsfunktionen in mehreren großen Unternehmen. Politisch engagierte sich Schelling für die ÖVP, er war 2001 bis 2004 Stadtrat in St. Pölten. 2008 wurde Schelling Obmann der Allgemeinen Unfallversicherung, legte diese Funktion aber zu Beginn 2009 zurück, als er für 4 Jahre zum Vorsitzenden des Verbandsvorstandes im Hauptverband gewählt wurde. 100.000 nicht krankenversichert
Die Armutskonferenz verweist angesichts der US-Gesundheitsreform darauf, dass auch in Österreich um die 100.000 Menschen nicht krankenversichert sind. Sozialexperte Martin Schenk forderte am Dienstag in einer Aussendung Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitsministerium auf, die Lücken im Netz zu schließen. Betroffen seien Menschen in prekärer Beschäftigung, in schweren psychischen Krisen, Arbeitssuchende ohne Anspruch oder Frauen nach Scheidung, die bei ihrem Mann mitversichert waren.