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"Wir fordern Gerechtigkeit. Punkt"

Von Petra Ramsauer

Politik

Palästinensischer Oppositionspolitiker Barghouti sieht in einer politischen Lösung den einzigen Ausweg für den Gaza-Konflikt.


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"Wiener Zeitung":Man hat den Eindruck, die Bevölkerung in Gaza wird von dem Rest Palästinas im Stich gelassen. Sie sind Mitglied des Parlaments, leben im Westjordanland, leiten eine Hilfsorganisation. Warum?Mustafa Barghouti: Was können wir tun? Ich bin jetzt hier im Gazastreifen, um einen Eindruck zu bekommen. Das bedeutete: Ich musste von Ramallah mit dem Bus in den jordanische Hauptstadt Amman fahren, dann ein Flugzeug nach Kairo nehmen, dann wieder den Bus. Und dann hoffen, dass ich von den ägyptischen Behörden am Grenzposten von Rafah in den Gazastreifen kann. Könnte ich mit dem Auto von Ramallah hierher fahren, wäre ich zwei Stunden unterwegs, so sind es 48. Die Mehrheit der Palästinenser darf nicht einmal trotz des Umweges einreisen. Gaza ist abgeschnitten, vom Rest Palästinas, vom Rest der Welt. Das ist das größte Problem derzeit. Und den Rest der Welt kümmern die verheerenden Folgen der Blockade genauso wenig wie die Folgen des verheerenden Bombardements der Menschen hier.

Zuletzt gab es allerdings sehr heftige Verurteilungen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einem "kriminellen Akt", nachdem Schulen mit Flüchtlingen unter Beschuss kamen. Deutlich weniger heftig wurde kritisiert, dass die Hamas solche Schulen gefährdet, weil hier Waffen versteckt sind.

Das war viel zu wenig an Verurteilung, viel zu spät. Die internationale Gemeinschaft und die Medienberichte sind immer noch verzerrt und pro-israelisch. Was wir bräuchten, wäre ein entschlossener Druck, um die Angriffe auf Zivilisten zu beenden und endlich die Blockade aufzuheben.

Welche Hilfe bräuchte der Gazastreifen, damit die Existenz der Menschen hier wieder aufgebaut werden könnte?

Es sind mindestens 400 Millionen Dollar an Soforthilfe für die Menschen nötig. Doch ich sage Ihnen ehrlich, wir brauchen kein Geld, keine Almosen, sondern eine politische Lösung, die die Menschen hier langfristig vor Krieg schützt. Welchen Sinn hat es, Häuser wieder aufzubauen, die in ein, zwei, drei Jahren wieder zerstört werden. Viele haben eine Petition an Präsident Abbas unterschrieben, damit er das Vorgehen Israels vor den Internationalen Strafgerichtshof bringt. Es muss ein für alle Mal enden, dass die Zivilisten den Preis für das politische Versagen aller Beteiligten bezahlen.

So ein solches Verfahren überhaupt zustande kommt, würde auch das Vorgehen der Hamas untersucht. Präsident Mahmoud Abbas hat aber mit der Hamas im Juni eine Regierung der Nationalen Einheit gebildet. Würde er das wagen?

Wir fordern Gerechtigkeit. Punkt. Ich beobachte im Westjordanland den Beginn einer neuen Intifada. Lange konnte die Regierung unter Mahmoud Abbas die Menschen mit einem "wirtschaftlichen Frieden" beruhigen. Jetzt fordern die Menschen aber einen echten Frieden. Zehntausende protestieren derzeit, in Ramallah, in Nablus, in Hebron. Gegen das Vorgehen Israels, aber auch gegen das Versagen der aktuellen Palästinenserregierung. Ich glaube, es ist nun an der Zeit für einen echten Neubeginn: In den Verhandlungen mit Israel, aber auch dafür, wie die Palästinenser regiert werden.

Zur Person

Mustafa

Barghouti,

Arzt, Menschenrechtsaktivist und führender säkularer Oppositionspolitiker in den palästinensischen Gebieten, fordert eine Anklage Israels vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Bei den palästinensischen Präsidentschaftswahlen 2006 belegte der heute 60-Jährige hinter Mahmoud Abbas den zweiten Platz. Barghouti wurde 1954 in Jerusalem geboren, er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.