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"Wir fordern mehr Selbstständigkeit"

Von Klaus Huhold

Europaarchiv

Kein Streben nach Unabhängigkeit. | "Serbien muss sich seiner Vergangenheit stellen." | "Wiener Zeitung": Wie färbt die Debatte rund um den Kosovo auf die Vojvodina ab? Gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen?


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Bojan Kostre: In der Vojvodina gibt es definitiv keine Seperatismusbestrebungen. Wir hoffen aber, dass die neue Regierung (Serbien befindet sich noch in Regierungsverhandlungen, Anm.) versteht, dass die Vojvodina ein eigenständiger Teil Serbiens ist und keine Kolonie. Wir fordern daher einen höheren Grad an Autonomie. Das bedeutet, dass wir in vielen Bereichen eine eigene Gesetzgebung erhalten, mit unseren Einnahmen selbst umgehen und eigene Steuern erheben können.

Und wie schätzen Sie die Entwicklung rund um den Kosovo ein?

Wir werden sehen, welche Lösung die Internationale Gemeinschaft letztendlich für den Kosovo finden wird. Aber es ist absehbar, dass diese Lösung von Belgrad nicht sehr befürwortet werden wird.

Nun gibt es ja Befürchtungen in der ungarischen Volksgruppe, dass nach der endgültigen Bestimmung des Kosovo-Status kosovarische Serben in der Vojvodina angesiedelt werden könnten und sich damit die ethnische Struktur zugunsten der Serben ändert..

Eine gewaltsame Änderung der ethnischen Struktur in der Vojvodina wäre absolut unannehmbar. Aber ich erwarte überhaupt keine Auswanderung der Serben aus dem Kosovo. Denn ich bin überzeugt und hoffe vor allem, dass die Internationale Gemeinschaft alles unternehmen wird, um der serbischen Bevölkerung im Kosovo ein normales Leben zu ermöglichen.

Die Koordinatorin der Minderheitenräte in der Vojvodina, Ana Tomanova-Makanova, hat zudem davor gewarnt, dass eine Kosovo-Lösung Anlass für eine neue Welle der Gewalt gegen Minderheiten in der Vojvodina sein könnte.

Es besteht zwar eine gewisse Befürchtung, dass es aufgrund der Zuspitzung der Kosovo-Debatte zu ethnischen Ausschreitungen kommen könnte. Aber die Regionalregierung ist sehr bemüht, es nicht so weit kommen zu lassen. Zudem möchte ich betonen, dass dies einer der Gründe ist, warum wir eine Autonomie fordern. Weil dadurch die Regionalregierung die Qualität des Zusammenlebens erhalten könnte.

Doch ist im Regionalparlament die nationalistische Serbische Radikale Partei (SRP) - auch wenn in Opposition - die stärkste Fraktion. Was sind die Gründe dafür?

Zunächst haben wir eine große Frustration - nationaler Art - unter den Flüchtlingen, die während der Kriegsgeschehnisse in die Vojvodina kamen. Und dann haben wir eine soziale Demagogie, die durch die SRP durchgeführt wird. Die SRP setzt also gekonnt auf eine nationale und soziale Karte, gerade weil sich Serbien und die Vojvodina in einer schwierigen Lage befinden.

In welcher Rolle sieht nun die Regionalregierung die Vojvodina in der derzeitigen Lage Serbiens?

Die Regionalregierung betrachtet die Vojvodina als Brücke zwischen Serbien und Europa. Wir wollen helfen, dass Serbien zu einem Teil Europas und des westlichen Demokratiegedankens wird, dass sich das Land transformiert.

Will die Vojvodina diese Rolle auch in Bezug auf die Aufarbeitung der Kriegsgeschehnisse einnehmen?

Die Vojvodina sieht sich als Antriebskraft im Transformationsprozess und ich sehe dabei keinen Unterschied in diesem Bereich. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass alle Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden sollen. Nur wenn wir dieses Kapitel der Vergangenheit aufrichtig abschließen, werden wir auch eine Zukunft haben. Und ich denke, in Zentralserbien besteht noch immer keine Bereitschaft, sich so offen mit der Vergangenheit zu befassen und das so offen auszusprechen.

Wissen: Die Vojvodina

Geographie: Die Vojvodina liegt nördlich von Belgrad, grenzt im Osten an Rumänien, im Norden an Ungarn und im Westen an Kroatien.

Bevölkerung: Zwei Millionen Menschen leben in der Vojvodina. Den größten Anteil stellen Serben mit 65 Prozent, gefolgt von Ungarn mit 14 Prozent, zudem leben Ungarn, Kroaten und Slowaken in der Region. Die Bevölkerungsstruktur hat sich während des Krieges in Ex-Jugoslawien stark verschoben, da serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien in die Region stießen.

Politischer Status: Die Vojvodina genoss in Ex-Jugoslawien Autonomie, die 1989 von Miloevic aufgehoben wurde. Zwar ist die Region wieder eine autonome Provinz, doch ist der Autonomiestatus eingeschränkt.