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"Wir gehen alle wie auf Eiern"

Von Saskia Blatakes

Politik
© Christoph Liebentritt

Die Aktivistin und Autorin Claire Fox über die Gefahren der Political Correctness und die Zensur der Meinungsfreiheit.


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"Wiener Zeitung": Wen meinen Sie mit "Generation Schneeflocke"?

Claire Fox: Es gibt heute eine neue, dünnhäutige Haltung, wenn es um Meinungsfreiheit geht. Dabei spielt es gar nicht so sehr eine Rolle, welcher Gruppe man angehört. Es heißt: "Als Homosexuelle" oder "als Moslem" oder "als Mensch mit Behinderung finde ich das beleidigend". Das ist ein Problem, weil vor allem an den Universitäten immer mehr verboten oder sanktioniert wird.

An US-amerikanischen Universitäten wird derzeit viel über "Political Correctness" und sogenannte "Triggerwarnungen" gestritten, die Studierende vor verstörenden Inhalten warnen sollen. Und in Europa?

In Großbritannien erleben wir das Gleiche, auch im restlichen Europa ist der Trend deutlich im Kommen. Die Bezeichnung Political Correctness trifft es nicht ganz. Denn es geht ja eigentlich darum, dass Menschen nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, mit Worten und Aussagen vernünftig und selbstbewusst umzugehen. Der Begriff "Hatespeech" (zu Deutsch am ehesten "Verhetzung") wird inflationär gebraucht und damit total verwässert. Alles, was einem nicht gefällt oder nicht der eigenen Meinung entspricht, wird plötzlich als "Hatespeech" bezeichnet. Das Problem dabei ist, dass das absolut subjektiv ist. Die heutigen Studierenden fordern, dass die Universität zum "sicheren Ort" erklärt wird, an dem man sich nur noch mit Menschen umgeben und auseinandersetzen möchte, mit denen man sich wohlfühlt.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

In Südafrika gibt es unter dem Hashtag "Rhodes Must Fall" eine Bewegung, die die Entfernung einer Statue von Cecil Rhodes fordert. Er war Imperialist - wie praktisch jeder im 19. Jahrhundert - und schwarze Studierende sind der Meinung, dass sein Anblick ihnen psychische Schmerzen zufügt. Für mich ist das Nonsens und eine Beleidigung aller Menschen, die wirkliche Schmerzen erleiden. Mein Problem dabei ist, dass sie mit "Sicherheit" nicht die physische, sondern eine diffuse psychische Sicherheit meinen. Es gilt immer noch das Prinzip von John Stuart Mill (liberaler britischer Denker, 1806-1873, Anm.): Meinungsfreiheit soll nur eingeschränkt werden, wenn das körperliche Wohl eines anderen Menschen in Gefahr ist.

Der deutsche Fall Böhmermann oder die Verhüllung nackter Statuen beim Staatsbesuch von Irans Staatspräsidenten Hassan Rohani in Rom wurde sehr kontrovers diskutiert. Ist der Trend wirklich auf das Uni-Milieu beschränkt?

Nein, er geht weder von den Studierenden aus, noch ist er auf sie beschränkt. Die Entwicklungen an den Unis sind nur ein guter Schnappschuss, weil sie es auf die Spitze treiben. Wir erleben derzeit eine Debatte über den Schutz religiöser Befindlichkeiten, vor allem wenn es um den Islam geht. Ich fand es absolut lächerlich, diese Statuen zu verhängen. Wir scheinen alle wie auf Eiern zu gehen, um ja niemanden zu beleidigen. Beim Mord an den "Charlie Hebdo"-Redakteuren war es im Grunde die gleiche Logik, wenn auch auf brutalste Weise ausgeführt: Ich fühle mich beleidigt und werde dich deshalb umbringen. Für mich sind die Täter wie der militante Flügel der gleichen philosophischen Schule. Was ich besonders tragisch finde: Überall in Europa hieß es damals "Ich bin Charlie." Das dauerte ungefähr eine Woche. Danach las und hörte man eher: "Ich bin Charlie, aber...". Und das kam vor allem von westlichen Liberalen, für die der Schutz vor Beleidigungen wichtiger zu sein schein als die Meinungsfreiheit.

In Ihrem neuen Buch gehen Sie so weit, Feministinnen und militante Islamisten zu vergleichen. Ist es nicht ein Unterschied, ob es um individuelle Rechte geht oder darum, dem Rest der Gesellschaft die eigene Religion aufzuzwingen?

Heute passiert Zensur oft im Namen progressiver Bewegungen wie dem Feminismus oder dem Anti-Rassismus. Ich finde die Idee, Bilder, Ausstellungen oder Filme zu verbieten, weil Frauen angeblich so verletzlich sind, absolut falsch. Frauen als schutzbedürftige Kategorie zu behandeln beleidigt sie doch viel mehr! Das ist gönnerhaft und bevormundend, genau das hat der Feminismus doch eigentlich immer bekämpft. Ich komme selber aus dem Feminismus und bin der Meinung, dass der Neue Feminismus überkritisch ist. Natürlich setze ich ihn nicht mit radikalem Islamismus gleich, aber es gibt die Tendenz, allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen die Macht zu geben, andere mundtot zu machen. Mit dieser Form der Zensur sollten wir sehr vorsichtig sein.

Trotzdem gilt "Verhetzung" als Straftatbestand, der etwa in Österreich immer öfter geahndet wird.

Niemand braucht Schutz vor Worten! Natürlich sind manche Aussagen verletzend und unangenehm. Aber die Lösung ist mehr Meinungsfreiheit - nicht weniger.

Im Internet wird massiv gegen Juden und Moslems gehetzt, der Rechtspopulist Donald Trump bezeichnet Mexikaner als Vergewaltiger. Einfach gewähren lassen?

Wir sollten immer miteinander sprechen und auch radikale Argumente hören. In Großbritannien gibt es die Forderung, Donald Trump nicht einreisen zu lassen, weil er von Einreiseverboten von Moslems in die USA spricht. Wie bitte? Wir reagieren auf seinen Illiberalismus mit der Forderung an den Staat, die Grenze für ihn dicht zu machen.

Geht es nicht auch um den Schutz von Werten?

Ja, aber man schützt keine Werte, indem man nicht über sie spricht. Wir wollen doch eine freie und offene Gesellschaft bewahren. Für mich klingt es nach Autoritarismus, wenn man vom Staat verlangt, Meinungen zu sanktionieren, anstatt zu debattieren. Ich bin eine Anhängerin der Aufklärung und schockiert darüber, was zurzeit alles verboten wird - oft im Namen des Schutzes vor Terrorismus. In Großbritannien haben wir eine Vermeidungs-Strategie, die im Grunde besagt, dass Extremisten ihre Meinung nicht frei äußern dürfen. Aber wer definiert, was extremistisch ist? Auf einmal heißt es, dass jeder, der nicht britische Werte vertritt, gegen das Gesetz verstößt. Oder, dass jeder, der nicht für die Homosexuellen-Ehe ist, gegen britische Werte ist. Dabei lehnen viele religiöse Gruppen - nicht nur Moslems - die Homosexuellen-Ehe ab. Man kann doch denen nicht allen vorwerfen, Extremisten zu sein. Das alles gerät außer Kontrolle, wird von oben bestimmt und vermeidet jede politische Debatte. Das kann nicht die Lösung sein.

Haben Sie ein Beispiel für diese Art der Debattenvermeidung?

Eine renommierte britische Universität hat jüngst die Kurzgeschichte eines Studenten verboten, weil sie angeblich eine "Vergewaltigungs-Kultur" verherrlicht. Ich kann niemandem das Literatur-Studium im Vereinigten Königreich empfehlen, wenn man dort nicht mehr zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden kann. Wenn wir als Gesellschaft nicht mehr trennen zwischen dem Zünden einer Bombe und dem Sprechen über eine Bombe, dann haben wir ein echtes Problem.

Haben Sie keine Angst, dass ihre Thesen instrumentalisiert werden?

Das ist mir egal. Obwohl ich mich als politisch links bezeichne, muss ich mir oft anhören, dass ich mit meinen Ansichten Rechtspopulisten unterstütze. Aber Rechtspopulismus arbeitet nun mal mit populären Meinungen, die ja richtig sein können.

Man könnte auch sagen, er profitiert von Stimmungen, die er selbst geschürt hat.

Ja, sicher. Das Problem mit den Linken ist, dass sie zu selektiv sind. Sie unterstützen und schützen zwar eine gesellschaftliche Gruppe, nicht aber die andere. Davon profitiert die Rechte.

Tut die Rechte das nicht auch?

Doch, aber die ist mir egal. Mir geht es um die Linke, die die Rechte nicht kritisieren darf, wenn sie genauso unlogisch argumentiert. Die Linke behauptet für Meinungsfreiheit zu sein, solange niemand beleidigt wird. Wie bitte? Das gibt den Rechten doch moralische Überlegenheit. Wenn man sich Meinungsfreiheit auf die Fahne schreibt, muss sie auch für alle gelten.

Claire Fox wurde 1960 in Manchester geboren. Die libertäre Aktivistin ist Gründerin der britischen Denkfabrik "Institute of Ideas" und regelmäßige Kommentatorin bei der BBC. Vor kurzem erschien ihr Buch "I find that offensive" (Biteback Publishing, bislang nur auf Englisch).