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"Wir gleichen uns den Männern an"

Von Ina Weber

Politik

Sozial- und Armutsforscherin Karin Heitzmann zur sozialen Lage von Frauen: vermehrte Erwerbstätigkeit mit Tücken.


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Wien. 25 der 28 EU-Regierungen werden von einem Mann geführt. Das ist politische Normalität. Und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich das bis zum nächsten Jahr oder Jahrzehnt ändern wird. Dabei ist der Zusammenhalt von Frauen und der Hinweis auf die Wichtigkeit des Netzwerkes nicht erst seit gestern in aller Munde. Politische und unabhängige Frauenorganisationen- und verbindungen gibt es bereits viele und dennoch scheint Ungleichheit in vielen Bereichen zwischen Männern und Frauen noch lang nicht gelöst zu sein. Woran liegt das? Sozialforscherin Karin Heitzmann ist eine der Expertenrednerinnen, die heute, Samstag, in der Messe Halle Wien anlässlich der Konferenz der Wiener SPÖ-Frauen über die soziale Lage der Frauen berichten wird. Sie stellt fest: Frauen würden sich zwar langsam Männerbiografien angleichen, Teilzeit, geringeres Gehalt und Armut sind aber nach wie vor weiblich.

"Wiener Zeitung": Sie referieren heute über die soziale Lage von Frauen in der Gesellschaft. Was genau ist damit gemeint?

KarinHeitzmann: Mein Fokus liegt in erster Linie auf einer Beschreibung der sozialen Lage einkommensarmer Frauen sowie der Stellung der Frauen in der österreichischen Sozialpolitik.

Was hat sich in den vergangenen 15 Jahren diesbezüglich verändert?

Die hohe Armutsgefährdung bei Frauen hat sich per se leider nicht verändert. Sie ist nicht zurückgegangen. Im Vergleich zu den Männern sind Frauen nach wie vor stärker betroffen. Allerdings hat sich das Risiko von Frauen, armutsgefährdet zu sein, stärker an das Risiko der Männer angepasst. Frauen sind zwar immer noch armutsgefährdeter als Männer, allerdings ist der Abstand zwischen den Geschlechtern nicht mehr so groß. Frauen hatten im Jahr 2014 ein etwa 17 Prozent höheres Risiko, armutsgefährdet zu sein, als Männer. Vor 15 Jahren betrug das Risiko noch 35 Prozent. Die schlechte Nachricht betrifft die Männer: Sie sind heute armutsgefährdeter als früher.

Frauen haben aber immer noch ein höheres Risiko, arm zu werden, als Männer?

Ja, und das gilt für spezifische Frauengruppen sogar besonders ausgeprägt: Beispielsweise haben alleinstehende Pensionsbezieherinnen ein 80 Prozent höheres Risiko, einkommensarm zu sein, als Männer.

Warum sind Frauen armutsgefährdeter als Männer?

Sie sind es aufgrund des Einkommens, welches sich aus drei Bereichen lukrieren lässt: erstens aus der Erwerbsarbeit, zweitens aus staatlichen Sozialleistungen und drittens aus privaten Transferleistungen etwa innerhalb der Familie. Frauen sind vor allem in den ersten beiden Bereichen gegenüber Männern benachteiligt.

Hat sich hier in der vergangenen Zeit nichts verändert?

Doch. Frauen drängen immer mehr in den Arbeitsmarkt. Das hat sich verändert. Die Erwerbstätigenquote von Frauen betrug vor 15 Jahren 59 Prozent, 2015 waren schon 67 Prozent beschäftigt. Auch hier haben sich die Frauen, wie bei der Armutsgefährdung, der männlichen Realität ein Stück weit angepasst. Betraf der Unterschied zwischen der männlichen und der weiblichen Erwerbstätigenquote im Jahr 2000 noch 18 Prozentpunkte, so liegt der Abstand heute nur noch bei 8 Prozentpunkten. Wir gleichen uns in dieser Hinsicht stärker an die traditionellen Männerbiografien an, könnte man sagen.

Die Frauenerwerbstätigkeit nimmt zu, aber vor allem im Bereich der Teilzeit, oder?

Ja. Die Erwerbstätigkeit von Frauen nimmt bei den Teilzeit- und nicht bei den Vollzeitbeschäftigungen zu. Im Jahr 2000 waren ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt, heute ist es schon fast die Hälfte. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass heute mehr Frauen mit Kindern unter 15 Jahren erwerbsarbeiten: Waren es 2004 noch 73 Prozent, sind es heute schon 78 Prozent. Die Teilzeitquote dieser arbeitenden Mütter im Alter zwischen 25 und 49 Jahren ist im selben Zeitraum aber von 60 auf 75 Prozent gestiegen.

Bringt der Mann noch immer das meiste Geld nach Hause?

Einerseits bewegen wir uns immer weiter weg vom Male- Breadwinner-Modell, wie man es in der Wohlfahrtsstaatsforschung bezeichnet, also dass der Mann das ganze Geld nach Hause bringt und die Frau die Haus- und Familienarbeit übernimmt. Wir sind aber nicht bei einem Doppelverdiener-Modell angekommen, sondern bei einem Eineinhalb-Verdiener-Modell. Andererseits drängen zwar mehr und mehr Frauen in die Erwerbstätigkeit, tragen aber gleichzeitig weiterhin die Hauptlast der Haus- und Familienarbeit. Die Doppelbelastung für Frauen ist sogar höher geworden.

Aber auch immer mehr Männer gehen in Teilzeit...

Ja, 11 Prozent sind es bereits. 80 Prozent der Teilzeitjobs werden aber von Frauen bestritten.

Was auch der Grund ist, warum sie weniger Geld haben...

Nicht allein. Bei der jährlich erscheinenden EU-Statistik zum Gender-Pay-Gap, der Unterschiede bei den Bruttostundenlöhnen zwischen den Geschlechtern misst, sieht man, dass Frauen und Männer unterschiedliche Stundenlöhne beziehen. Der aktuelle Stand zeigt, dass Österreich mit einem Gender-Pay-Gap von 23 Prozent innerhalb der EU an zweitschlechtester Stelle hinter Estland liegt.

Dadurch gibt es weniger Pension.

Ja. Wir haben seit über 100 Jahren einen sozialversicherungsdominierten Staat. Das heißt, die großen Sozialleistungen, wie z.B. Pensionen, sind an die Höhe des Erwerbseinkommens gekoppelt. Wenn dann die Berechnungsgrundlage geändert wird und nicht mehr die 5 oder 10 besten Jahre genommen werden, sondern die gesamte Erwerbslebenszeit, dann kann das vor allem für Frauen zum Nachteil werden. Die durchschnittlichen Alterspensionen der Frauen liegen daher aktuell nach wie vor 60 Prozent unter der durchschnittlichen Alterspension der Männer. In unserem Sozialsystem sind Mann und Frau zwar formal gleichberechtigt, strukturell aber auf Grund der faktischen Arbeitsteilung im Hinblick auf Erwerbsarbeit und Familienarbeit monetär benachteiligt. Das sieht man auch beim durchschnittlichen Arbeitslosentaggeld: Frauen erhalten im Durchschnitt geringere Tagsätze als Männer.

Das heißt, Sie würden - so wie es die SPÖ propagiert - empfehlen, dass Frauen um jeden Preis Vollzeit arbeiten sollten?

Wenn man in unserem System mitspielen will, dann müsste man das sagen: Ja, Frauen, arbeitet voll. Unser Sozialversicherungssystem ist darauf ausgelegt, hohe Erwerbseinkommen mit hohen Versicherungsleistungen zu belohnen. Die Politik hat gerade in den letzten Jahren viele Maßnahmen gesetzt, um es Frauen leichter zu machen, erwerbstätig zu werden, etwa durch die 24-Stunden-Pflege oder den Ausbau der Kinderbetreuung. Das sind sicher richtige Ansatzpunkte. Aber Österreich ist in Bezug auf die Rolle der Frau immer noch ein konservatives Land. Diese Einstellung macht es Frauen nicht unbedingt leichter, genügend Erwerbseinkommen zu erzielen. Man könnte daher beispielsweise auch überlegen, ob es Sinn macht, von einem sozialversicherungsdominierten System abzuweichen und, etwa im Zusammenhang mit dem Pensionssystem, in Richtung einer Grundpension zu gehen.

Wenn man aber auch Zeit mit seinen Kindern verbringen will: Wie geht sich das mit dem hohen Druck, erwerbstätig sein zu müssen, aus?

Hier kann man durchaus das Beispiel der skandinavischen Länder bemühen. Diese haben Familien durch Sozialmaßnahmen stark "defamilialisiert", d.h. Familienarbeit, vor allem die Pflege- und Betreuungsarbeit wurde zu einem großen Teil ausgelagert, damit Frauen durch Erwerbsarbeit ökonomisch unabhängig werden können. Ich gebe zu, dieses Thema ist natürlich eine starke Wertehaltungsfrage.

Viel zu arbeiten bedeutet aber nicht, dass man viel verdient.

Eine ganz wichtige Rolle spielt dabei die Bildung. Gut wäre es, wenn Frauen möglichst hochqualifiziert und damit auch möglichst gut bezahlt werden.

Die Wiener SPÖ-Frauen verweisen auf ihre Homepage "www.frauenhelfenfrauenhelfen.at". Dort werden ehrenamtliche Jobs, wie Tagesmütter bei Ausflügen begleiten, angeboten. Finden Sie das hilfreich?

Na ja; wir leben in einer Wissensgesellschaft. Mit einem Ehrenamt kann ich sehr gut Kompetenzen aufbauen oder Netzwerke bilden, die ich bei einer Erwerbsarbeit gut nutzen kann.

Die Konferenz der Wiener SPÖ-Frauen findet jedes Jahr statt. Heute, Samstag, steht sie unter dem Motto "Wir halten zusammen. Frauen helfen Frauen helfen". Die wichtigsten Leitantragsthemen sind Arbeits(zeit) & Einkommen - "fair und gerecht!", "Sozialabbau nicht mit uns!", die unbeleuchtete Seite des Asyls - Frauen auf der Flucht und Nein zur sexualisierten Gewalt - "Maßnahmen statt rassistischer Hetze!". Ein Schwerpunkt ist ein Gespräch zur sozialen Lage von Frauen und Feminismus heute. Mit Wiens Frauenvorsitzenden und Vizebürgermeisterin Renate Brauner diskutieren die Initiatorin von #aufschrei, Anne Wizorek und die Sozial- und Armutsforscherin Karin Heitzmann.

Zur Person
Karin Heitzmann
1970 geboren, ist Sozial- und Armutsforscherin am Institut für Sozialpolitik und am Forschungsinstitut "Economics of Inequality- Ineq" der Wirtschaftsuniversität Wien.

Der Livestream: www.facebook.com/wienspoefrauen