Indem die Mythen der Antike die Brücke schlugen zwischen Göttern, Mensch und Natur, lehrten sie, was gut und was falsch war. Mit den monotheistischen Religionen rückte das Verhältnis von Gott und Mensch als Waagschale der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Die unselige Allianz von Religion und Macht führte im Mittelalter zu den Kreuzzügen und im 17. Jahrhundert zum Dreißigjährigen Krieg. Wurde in der Renaissance der Mensch als sinnliches Wesen wiedergeboren, so entfaltete er mit Aufklärung, Französischer und technologischer Revolution seine volle Geschichtswirksamkeit in ständig sich beschleunigender Eigendynamik.
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Und heute? Angesichts der Explosion des Wissens ist Weisheit jenseits bloßer Quantität zu suchen. Der technologische Fortschritt erhöhte die Effizienz in einem Maße, dass wir dabei sind, uns die eigene Lebensgrundlage abzugraben. Je mehr der Mensch sich selbst zu verstehen versucht, desto rätselhafter wird er sich.
Doch gerade diese Begrenztheit macht frei, das Nicht-Wissen eröffnet mit jedem Tag neuen Sinn, das Verschwimmen der Grenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos verbindet den Menschen noch enger mit dem Universum. Und Gott schmunzelt, während der Mensch verwirrt nach Luft schnappt nach zwei Jahrhunderten voller Extreme.
Solange die Erde scheinbar grenzenlos zur Verfügung stand, hatte der Mensch Raum und Freiheit, um gegen sich selbst Kriege zu führen. Im Globalisierungszeitalter erlebt er erstmals die Erde als begrenzt und noch dazu als bedroht, und zwar durch ihn selbst. Die Menschheit wird zur Schicksalsgemeinschaft und damit jeder Krieg zum Widerspruch in sich.
Das marktwirtschaftliche Prinzip steht zwar nicht in Frage, weil es knappe Ressourcen bestmöglich ausschöpft; sehr wohl aber jene Parameter, an denen es auszurichten ist. Was die soziale Dimension anbelangt, so sind jene, die als arm oder reich gelten, eng aneinander gebunden und voneinander abhängig. Fortschritt ist uns in Anbetracht der Allumfassendheit unseres Nicht-Wissens wesensimmanent und grundsätzlich nach allen Richtungen offen.
Sinn jedes Lebens ist es, sein Leben zu entfalten. Die Wesensaufgabe jeglicher Politik liegt darin, es in diesem seinem Werden zu befördern - das, was als "Naturrecht" erscheint, in einen sozialen Prozess überzuführen. Bildung umschreibt nicht länger enzyklopädisch angeeignetes Wissen, sondern besinnt sich wieder der Synthese von Offenheit, Erfahrung und Interaktion. Was bisher als nach Disziplinen geordnetes Faktenwissen interpretiert wurde, erweist sich als Sprachenwissen, mittels dessen wir die Brücken zu anderem Leben schlagen und verfeinern - sei es zur Vielfalt der Natur, sei es zu jener der Kulturen und dem Reichtum ihrer Erfahrungen.
"Bios" - das Leben. "Logos" - das Wort. Das "biologische" Zeitalter - im Zeichen des Miteinanders von Mensch, Natur und Kulturen kraft des Wortes in Respekt vor dem Leben in und um uns.
* Karl Pangerl ist BBS-Lehrer für Geographie und Deutsch und
gehört dem Forum Alpbach an.