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"Wir haben Aufholbedarf"

Von Ina Weber

Politik

Was denkt eigentlich ein Wiener Beamter über Integration?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Knapp ein Viertel der Wiener dürfen nicht wählen. Sie warten lange auf eine österreichische Staatsbürgerschaft. Die Rot-Weiß-Rot-Card ist unerreichbar. Der Anteil mit höherer Bildung ist groß und auch die Zahlen der Bildungsabschlüsse steigen. Einzig bei Jugendlichen aus Drittstaaten gibt es Anschlussprobleme.

Die Bildung dürfte laut "3. Wiener Integrations- und Diversitätsmonitor", der gestern, Donnerstag, veröffentlicht wurde, nicht das Problem sein. Vielmehr sei das Feld der Beschäftigung "die größte strukturelle Herausforderung", heißt es dort. Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Migrationshintergrund hat Auswirkungen: geringeres Haushaltseinkommen, weniger Wohnraum als Wiener und schlechterer Gesundheitszustand. Der soziale Zusammenhalt stehe damit stärker unter Druck. Kurt Luger, Leiter des Diversitätsmanagements der MA 17 für Integration und Diversität, erzählt, wie Wiens Verwaltung mit Migration umgeht.

"Wiener Zeitung": Mit dem Monitor erstmals erhoben wurde der Personalstand in der Wiener Verwaltung. Der Anteil der Beschäftigten mit ausländischer Herkunft liegt bei 25 Prozent. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?

Kurt Luger: Wir haben Aufholbedarf, wenn die Stadt als Arbeitgeberin Spiegelbild der Bevölkerung sein will, es ist aber kein schlechtes Ergebnis. Die Stadt Wien hat im Jahr 2008 begonnen, ein Integrations- und Diversitätsmonitoring einzuführen. Sie will den Stand des Diversitätsmanagements ihrer Abteilungen, sowie Integrationsprozesse messen. Warum? Wir haben eine neue Kundenstruktur. Hier einen kritischen Blick darauf zu werfen, macht Sinn, und soll zur Versachlichung der politischen Debatten beitragen.

Worin liegt der Unterschied zwischen Integration und Diversität?

Integration verfolgt das Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am gesellschaftlichen Geschehen in all seinen Facetten. Wenn wir von Diversität in Wien sprechen, meinen wir die soziokulturell vielfältige Bevölkerung. Dabei geht es darum, diese Vielfalt wahrzunehmen und wertschätzen zu können. Tatsache ist, dass die beschleunigte demografische Entwicklung auch Auswirkungen auf die Verwaltung hat. Jährlich kommen ungefähr 80.000 Wiener dazu, 50.000 gehen wieder. Das bedeutet mehr Arbeit für die Verwaltung. Uns geht es nicht nur um das Wanderungssaldo.

Wen haben Sie genau erfasst?

Wir haben uns angesehen, wie viele Bedienstete der Stadt eigentlich einen Migrationshintergrund haben, genauer gesagt, ausländischer Herkunft sind. Von den rund 42.000 erfassten Beschäftigten mit Wohnsitz in Wien sind ein Viertel entweder im Ausland geboren oder haben eine fremde Staatsangehörigkeit. Wir haben damit eine Basis für mögliche weitere Maßnahmen geschaffen.

Welche Maßnahmen meinen Sie?

Interessant zu sehen war, dass je höher die untersuchte Altersgruppe war, desto höher war auch der Anteil der Personen mit ausländischer Herkunft. Diese Personen werden in den nächsten Jahren in Pension gehen. Bei der jüngeren Altersgruppe haben wir geringere Anteile. Hier müsste man etwas tun, etwa durch aktives Werben für bestimmte Berufsgruppen.

In einem Bezirksamt, sagen wir Hietzing, hieß es: "Wir sprechen hier ausschließlich deutsch". Die Menschen fühlen sich von der Verwaltung im Stich gelassen. Die Beamten wiederum sind überfordert.

Die Hälfte aller von uns untersuchten Abteilungen - das waren 42 - bietet Kundenverkehr auch in anderen Sprachen an. Die Stadt sieht Mehrsprachigkeit grundsätzlich als eine Kompetenz an, die auch weiter in der Verwaltung ausgebaut wird. Hier gibt es einige positive Beispiele, etwa die Wiener Büchereien. Dort werden Kindern Geschichten in elf verschiedenen Sprachen erzählt, in Deutsch und in der Sprache ihrer Eltern. Wir haben im Bericht angemerkt, dass es keine einheitliche Vorgaben für alle Abteilungen der Stadt gibt.

Im Gesundheitsbereich spielt Mehrsprachigkeit eine große Rolle . . .

Ja, die Zeit, als Kinder als Dolmetscher eingesetzt werden, sollte vorbei sein. Aber hier brauchen wir medizinisch geschulte Dolmetscher, unter anderem auch mit kulturspezifischem Wissen. Hier gibt es jetzt das Pilotprojekt Videodolmetschen, welches ein Lösungsansatz bietet.

Gleichzeitig kann eine schwarze Ärztin (die "Wiener Zeitung" hat berichtet, Anm.) nicht bei uns arbeiten, weil ihr Abschluss nicht anerkannt wird.

Das bleibt eine große Herausforderung. Wir brauchen schnellere Anerkennungsabschlüsse. Hier müsste man Know-how wie in Deutschland aufbauen, wo das Anerkennungsgesetz des Bundes einen Rechtsanspruch auf Überprüfung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit dem deutschen Referenzberuf geschaffen hat. Heute ist es so, dass diese Menschen ihr Wissen und Fähigkeiten einbringen und schlecht bezahlt werden, etwa wenn eine Ärztin als Pflegerin arbeiten muss. Wir profitieren davon, keine Frage. Wir würden aber noch viel mehr davon profitieren, wenn sie an richtiger Stelle eingesetzt werden würde. Aber das muss sich erst im Denken der Bevölkerung und der politisch Verantwortlichen, in dem Fall im Bund, festsetzen.

Wie sind die Hierarchien der Verwaltung besetzt?

In Leitungsfunktionen bei den Akademikern gibt es 7,1 Prozent mit ausländischer Herkunft, 3,8 aus den EU-Ländern, 3,3 Prozent kommen aus Drittstaaten. Bei den Beschäftigten mit Matura in Leitungsfunktionen sind es 2,5 Prozent. In den Verwendungsgruppen (wobei 1 am besten bezahlt, 4 am wenigsten) gibt es etwa in der Verwendungsgruppe 4 den höchsten Anteil an Personen mit ausländischer Herkunft.

Oft heißt es, wir sind in Österreich und unsere Sprache ist Deutsch.

Da muss man sich fragen, was dahintersteckt. Ist es, um zu zeigen, wer hier das Sagen hat? Geht es da um Machtverhältnisse? Es ist eine Tatsache, dass jeder zweite Wiener einen Migrationshintergrund hat. Wir müssen alle zusammenleben und gut auskommen. Das tagtäglich leben zu wollen, ist harte Arbeit. Denn es geht dabei auch um Vorurteile, verdeckte Aspekte von Diskriminierungen, die jeder von uns in sich trägt, die aber selten bearbeitet werden.

Wissen

24 Prozent der Wiener im wahlfähigen Alter waren 2013 von Wahlen ausgeschlossen. Die Einbürgerungsrate betrug 2012 rund 0,66 Prozent, das heißt pro 1000 Wiener erlangten nicht einmal 7 Personen die österreichische Staatsbürgerschaft.

Seit 1998 Neuzugewanderte bewohnen durchschnittlich 26 Quadratmeter pro Person und zahlen 7,8 Euro/Quadratmeter. Mehr als 50 Prozent der seit Mitte der 1990er Jahre Zugewanderten haben einen Maturaabschluss aus dem Ausland mitgebracht. 34 Prozent der Beschäftigung von höher Gebildeten mit Abschlüssen aus Drittstaaten findet in Hilfs- und Anlerntätigkeiten statt. Info: www.wien.gv.at/menschen/integration