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"Wir haben die Nerven verloren"

Von Saskia Blatakes

Politik
Die Krise war schmerzhafter als nötig, sagt Ökonom und Ex-Minister Simeon Djankov.
© wiiv

Der ehemalige bulgarische Finanzminister und Weltbank-Ökonom Simeon Djankov über die Eurokrise und schmerzhafte Reformen.


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"Wiener Zeitung": Sie haben ein Buch über Ihre Erlebnisse während der Eurokrise geschrieben und sprechen darin von Ineffizienz und persönlichem Versagen. Was haben Ihre Kollegen falsch gemacht?Simeon Djankov: Es wurde immens viel Zeit verschwendet, obwohl die Entscheidungen, die es zu treffen galt, offensichtlich waren. Viele Ökonomen waren sich bereits vor der Krise einig, dass Sparmaßnahmen nötig sind. Es haperte aber vor allem in den ersten beiden Jahren der Krise an der richtigen Organisation und am politischen Willen.

Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), kündigte im Juli 2012 an, zu "tun, was nötig sei, um den Euro zu retten."Sie schreiben, diese eine Entscheidung habe die Eurozone gerettet.

Draghis Satz war absolut wichtig. Die Märkte hatten schon 2010 von der EZB einen solchen Schritt erwartet. Jean-Claude Trichet war aber der Meinung, das sei nicht deren Aufgabe. Und eigentlich hatte er recht, denn Rettungspakete sind nicht Aufgabe der EZB. Doch alle schielten auf die USA und nach Großbritannien, wo die Notenbanken sehr aktiv waren. Es hatte sich die Erwartung aufgebaut, dass die EZB intervenieren würde, und das tat sie unter Trichet einfach nicht. Dann kam Draghi und sagte diesen berühmten, simplen Satz. Wobei ich mir gar nicht sicher war, ob er es auch so meinte.

Aber er hatte dennoch eine sofortige Wirkung.

Absolut. Binnen zwei Wochen hatte sich die Lage entspannt. Teils auch, weil viele gar nicht wussten, wozu die EZB eigentlich befähigt ist. Viele dachten, sie könne sehr viel für den Euro tun, was ja gar nicht stimmte. Aber alle wollten Draghi glauben. Es gab ja sonst niemanden, an den sie glauben konnten. Außer vielleicht den damaligen Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker.

Trotz des Widerstandes der Briten ist er nun Kommissionspräsident. Wie haben sie Juncker in Brüssel erlebt?

Er hat während der Krise Stellung bezogen, als die anderen unschlüssig waren. Unter Juncker werden wir sicher eine aktivere Kommission haben. Ich kann mich an Verhandlungen im Ecofin-Rat erinnern. Es wurde gestritten und geschrien, viele Politiker verloren die Nerven. Ich - und übrigens auch die Österreicher - waren an einem Punkt angelangt, an dem wir ernsthaft überlegten, ob es nicht besser sei, Griechenland aus der EU auszuschließen. Aber Juncker sagte, wir seien eine Union und müssen zusammenhalten, um die Krise zu meistern. Im Rückblick hatte er natürlich recht.

Was können wir aus der Eurokrise noch lernen?

Wir brauchen dringend Reformen, denn diese Krise war viel schmerzhafter als eigentlich nötig. Vor allem die Entscheidungsfindung und die Strukturen auf europäischer Ebene müssen sich ändern. Die meisten Staatschefs waren zu sehr mit ihrer Wiederwahl zu Hause beschäftigt. Für mich war es frustrierend, dass wir in den vier Jahren in Brüssel nur die absolut dringenden Fragen besprechen konnten und dabei nie zu langfristigeren Themen kamen.

Bulgariens Bevölkerung ist eine der EU-freundlichsten. Hat sich die öffentliche Meinung durch die Krise verändert?

Wir haben sehr für den Eintritt in die EU gekämpft und lange gewartet. Es herrscht die Meinung, dass die EU eine großartige Sache ist. Es gibt die Tendenz, die Probleme der letzten Jahre eher einzelnen Ländern als der EU zuzuschreiben. Die Bulgaren waren der Meinung, die Griechen seien selbst schuld. Die härteren Maßnahmen wurden überwiegend positiv gesehen. Was Bulgarien sehr von anderen östlichen EU-Staaten unterscheidet.

Verlassen wir für einen Moment Europa. Vor allem in der amerikanischen Presse liest man derzeit über eine bevorstehende chinesische Finanzkrise. Das Magazin "New Yorker" fragt in einem Artikel: Ist China das neue Lehman Brothers?

Eine Krise in den kommenden Jahren ist sehr wahrscheinlich. China hat sich zu sehr auf extensives Wachstum verlassen und vor allem Arbeitskräfte von den Feldern in die Fabriken gebracht. Ein solcher Prozess kann nur eine gewisse Zeit dauern, denn er verlangt ein hohes Bevölkerungswachstum. Aber Chinas Bevölkerung schrumpft.

Wie bewerten Sie die aktuelle Entscheidung der EZB, den Leitzins auf ein Rekordtief zu senken?

Das war in jedem Fall ein notwendiger Schritt und die richtige Antwort auf die Konjunktur-Dämpfung, die ja auch Bulgarien erlebt. Es gab nicht viele andere Möglichkeiten. Ökonomisch gesehen war die Senkung verschwindend gering, psychologisch aber sehr wirksam. Wohin sie führt, wissen wir nicht.

Simeon Djankov war bulgarischer Finanzminister, nachdem er 14 Jahre für die Weltbank gearbeitet hatte. Sein politisches Amt musste er 2013 nach Protesten gegen stark gestiegene Strompreise niederlegen. In Wien sprach er zuletzt am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw).