Fünf Jahre nach dem Sturz Ben Alis besuchte Bundespräsident Heinz Fischer Tunesien. | Das nordafrikanische Land kämpft vor allem gegen Perspektivenlosigkeit und Terrorismus.
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Tunis. "Wir haben hier eine sehr schwierige Situation." Tunesiens Präsident Benji Caid Essebsi fand bei der Pressekonferenz mit seinem österreichischen Amtskollegen Heinz Fischer im Präsidentenplast in Tunis deutliche Worte zur Beschreibung der Lage in seinem Land. Zuvor hatten die beiden in einem Vieraugengespräch über Terrorismus, Bildung und die stagnierende Wirtschaft gesprochen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15,4 Prozent, die Exporte sinken, die Importe stagnieren. "Wir hoffen auf die Unterstützung Europas bei wirtschaftlichen Reformen", so Essebsi weiter. Und Fischer wies auf die positive Handelsbilanz Tunesiens mit Österreich hin: "Es ist die Absicht der österreichischen Delegation, die wirtschaftlichen Beziehungen weiter zu verbessern." Mit dabei waren rund 40 Wirtschaftstreibende aus Österreich - vor allem aus den Bereichen Energie, Bewässerung und Gesundheit. Fischers Besuch kommt fast auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Sturz des Diktators Zine El Abide Ben Ali. Auslöser für die Proteste in Tunesien war die Selbstverbrennung des Obsthändlers Muhammad Bonazizi Mitte Dezember 2010 in der zentraltunesischen Stadt Sidi Bouzid. Bonazizis Suizid folgte einer Schikane örtlicher Behörden, nun richteten sich die Proteste gegen Korruption, Polizeiwillkür und Chancenlosigkeit.
Tunesien als Positivbeispiel
Die Bilder des raschen Sturzes inspirierten die Nachbarländer und markierten den Beginn des Arabischen Frühlings. Heute gilt Tunesien als Positivbeispiel in der Region: 2014 wurde eine Verfassung verabschiedet, danach wählten die Tunesier Parlament und Präsidenten. 2015 wurde dem "Quartett für den nationalen Dialog", das Tunesien aus der Krise führte und den Weg zur Verfassung ebnete, der Friedensnobelpreis verliehen. Der demokratische Geist hatte die Revolution überlebt - ohne viel Blutvergießen. Doch Tunesien kämpft - mit seiner schleichenden Konjunktur und hoher Arbeitslosigkeit, mit Terror und Perspektivenlosigkeit. Geld lässt sich vor allem in den Küstenregionen verdienen, in den Bergen des verarmten Zentraltunesiens verstecken sich Islamisten. Laut UN kämpfen mehr als 5500 Tunesier auf der Seite islamistischer Milizen in Syrien und im Irak.
Gerade deshalb brauche es Unterstützung, sagt auch Fischer - um den Islamisten den Nährboden zu entziehen, aber auch, um den Migrationsdruck zu nehmen. "Unsere Aufgaben gehen über den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Wir können helfen, die Arbeitslosigkeit zu senken, etwa durch modernen Technologien in Wissenschaft und Bildung." Dass Extremisten an Zulauf gewinnen, zeigt sich auch im eigenen Land: Im Juni 2014 erschoss ein Attentäter 38 Touristen an einem Stand in Sousse, vor zwei Monaten sprengte ein Islamist den Bus der Präsidentengarde in die Luft. Das schadet dem Tourismus und verschreckt ausländische Investoren. "Wir kämpfen gegen große Armut und Marginalisierung", sagte dazu Präsident Essebsi "doch dieses Problem kann man nicht von heute auf morgen lösen." Viele Tunesier seien arbeitslos und daher für Islamisten leicht zu ködern. Dabei habe sich viel getan, der Staat akzeptiere die Freiheiten seiner Bürger - die aktuellen Proteste in der Stadt Kasserine seien ein Beweis dafür, so Essebsi, doch: "Diese Rechte werden manchmal exzessiv genutzt, auch von den Medien." Der politische Frieden, so scheint es, steht in Tunesien nach wie vor auf wackeligen Beinen. Bei den letzten Wahlen im Oktober 2014 gewann die Partei Nidaa Tounes, in der sich viele alte Freunde Ben Alis sammeln. Präsident Béji Caid Essebsi etwa war einst Innenminister der Diktatur. Zwar sind die früheren Erzfeinde, die säkulare Nidaa Tounes und die islamische Ennahdha, eine Koalition eingegangen, doch Kritiker sprechen von einem faulen Kompromiss und fürchten, dass es früher oder später vorbei sein wird mit der augenscheinlichen politischen Stabilität. Viele Tunesier befürchten, dass das Land bald wieder dort sein könnte, wo es vor der Selbstverbrennung war - oder längst wieder ist. Gelingt es nicht, den Terrorismus zu bekämpfen und dabei die Grundrechte der Menschen zu wahren, dann könnte der fragile Frieden in Tunesien tatsächlich gefährdet sein.