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War die Bildung der schwarz-blauen Bundesregierung im Februar 2000 jene einschneidende Zäsur in die österreichische politische Kultur, als die sie die Parteien und so mancher Kommentator in ihrer alltäglichen Arbeit so gerne beschreiben? Die Ergebnisse einer kürzlich präsentierten Studie der beiden Politikwissenschafter Fritz Plasser und Peter Ulram zum österreichischen Politikverständnis belegen diese Interpretation nur zum Teil: Zwar habe die neue Konstellation den Wettbewerb zwischen den Parteien deutlich verschärft und den Einfluss der Sozialpartner beschnitten, an der grundsätzlich konsensorientierten Einstellung der Österreicher habe sich jedoch kaum etwas geändert.
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Der Koalitions- und Regierungswechsel im Februar 2000 markiert ohne Zweifel eine Zäsur in der politischen Kultur Österreichs. Offen ist lediglich, wie nachhaltig die sich aus der "Wende" ergebenden Veränderungen tatsächlich sein werden. Plasser/Ulram stellen hier zwar "eine erhöhte Konfliktintensität auf der Ebene der politisch-institutionellen Eliten" fest, doch den politischen Wettbewerb sehen sie von einer polarisierten Zuspitzung weit entfernt.
Auch die politische Alltagskultur in Österreich scheint über ein gut entwickeltes Immunsystem zu verfügen, jedenfalls zeigt es - entgegen so manchem Leitartikel und Politikerinterview - kaum Tendenzen, sich von der steigenden Fieberkurve der Parteien und Politiker anstecken zu lassen. Plasser/Ulram stellen nüchtern fest: "Im auffallenden Kontrast zur polarisierenden Schärfe des massenmedialen und intellektuellen Diskurses im In- und Ausland fiel die Reaktion auf die politische Wende der Mehrheit der österreichischen Stimmbürger vergleichsweise moderat aus". 21 Prozent der Bürger haben im Rückblick auf eine eineinhalbjährige Amtszeit der VP-FP-Koalition das Gefühl, dass sich sehr viel, 36 Prozent, dass sich ziemlich viel in der heimischen Innenpolitik verändert habe. Demgegenüber erblicken 23 Prozent geringe und 14 Prozent keine Veränderungen.
Moderate "Wende"-Folgen
Interessanterweise nahmen insbesondere Beamte und Akademiker starke Veränderungen wahr, während Beschäftigte in der Privatwirtschaft, Angehörige der unteren Bildungsschicht und die Unter-30-Jährigen weit weniger Änderungen registrierten. Ein sehr viel uneinheitlicheres Bild ergibt sich, fragt man nach der Bewertung der festgestellten Veränderung: Hier meinen jeweils 36 Prozent, die Veränderung gereiche dem Land zum Vorteil bzw. zum Nachteil, 29 Prozent können sich weder für das einen noch das andere entscheiden. Ausschlaggebend für diese Einschätzung sind in erster Linie politische Einstellungen: Erwartungsgemäß beurteilten Anhänger von ÖVP und FPÖ die Veränderungen überwiegend positiv, Anhänger von SPÖ und Grünen negativ; wer dezidiert ideologisch links oder rechts stehend steht, sah mehr Veränderungen, als jemand, der sich selbst der Mitte zuordnet.
Apropos Mitte: Hierin drängen die Parteien, so sie mehr im Sinne führen als ein politisches Schattendasein. Kein Wunder also, dass sich alle Parteien diesen exklusiven Platz sichern wollen, wissen sie sich hier doch auf Tuchfühlung mit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Noch 1976 definierten sich 19 Prozent als sehr/eher links, 26 Prozent als sehr/eher rechts und 40 Prozent als in der Mitte stehend. 25 Jahre später sind die ideologischen Ränder von links wie rechts eindeutig geschrumpft und die Mitte noch stärker: Nur mehr 15 Prozent bzw. 11 Prozent bezeichnen sich heute als eindeutig links bzw. rechts, 57 Prozent dagegen deklarieren sich als Mitte.
Dabei zeigt sich, dass insbesondere die Anhänger der beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP in die Mitte wanderten, während Grün-Anhänger von Mitte-links kommend weiter nach links abdrifteten, und FPÖ-Wähler - ursprünglich stärker in der Mitte verortet als ÖVP-Anhänger - sich seit 1996 deutlich nach rechts bewegten.
Demokratiezufriedenheit
Tatsächlich scheint der Regierungswechsel - trotz der durchaus turbulenten Begleitumstände - den Eindruck der Funktionstüchtigkeit der österreichischen Demokratie bei den Bürgern noch weiter verstärkt zu haben. Waren 1999 64 Prozent mit dem Funktionieren der Demokratie sehr bzw. ziemlich zufrieden, waren es im Frühjahr 2000, also unmittelbar nach Bildung der schwarz-blauen Koalition, 61 Prozent und im Sommer 2001 70 Prozent. Damit liegt Österreich bei der Demokratiezufriedenheit über dem europäischen Durchschnitt von 60 Prozent.
Konsens und Konflikt
Die Sehnsucht nach Harmonie und Konsens galt geradezu als klassisches Charakteristikum der österreichischen politischen Kultur. Im Laufe der Zeit erhöhte sich aber die Konfliktakzeptanz der Bevölkerung kontinuierlich, blieb jedoch nicht frei von Ambivalenzen: So wünschen sich zwar 93 Prozent weniger Streit zwischen den Parteien, dennoch plädieren 76 Prozent für eine offene und harte Konfliktaustragung, wobei wiederum 57 Prozent in diesem Fall Schaden für die Allgemeinheit befürchten.
Plasser/Ulram ziehen daraus folgenden Schluss: "So wie die traditionelle Konsenskultur überschätzt und vielfach überzogen als internalisierte 'Konfliktvermeidung' interpretiert wurde, wäre es ebenso irreführend, die erhöhte Konfliktakzeptanz der österreichischen Bevölkerung vorschnell als politischen 'Kulturbruch' zu werten."