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Wir haben verloren

Von Bernhard Baumgartner

© WZ-Illustration: Martina Hackenberg, Bildmaterial: stock.adobe.com / Czanner

Die Redaktion der "Wiener Zeitung" hat einen beinharten Überlebenskampf hinter sich. Was das mit uns macht.


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Manchmal ist es nicht das große Ganze, das zu viel ist, das die mühsam aufrechterhaltene Fassade der letzten Tage dann doch zerbricht. Es sind die kleinen, stillen Dinge, die es besonders schwer machen. Der Abschiedsbrief von Frau Helga etwa, deren Namen wir auf ihren Wunsch geändert haben. Handgeschrieben. Mit Stift und Papier, so wie früher. Denn digital ist die Pensionistin aus Niederösterreich nicht. Sie erzählt uns darin von ihrer Mindestpension, die nur selten den Kauf der Zeitung in der Trafik zuließ, wie sie fast entschuldigend schreibt. Aber das waren dann immer ganz besondere Tage, an denen wir durch unsere Arbeit ihr Fenster zur Welt sein durften. Doch das sei jetzt vorbei, sagt sie, dank "der Banausen in der Bundesregierung". Internet hat sie keines und eine andere Zeitung kann sie sich nicht leisten.

Wir, die Redaktion der "Wiener Zeitung", die Redaktion dieses Feuilletons, des "Extra", der "Zeitreisen" und des "Wiener Journals", wir haben den gemeinsamen Kampf um unser publizistisches Überleben verloren. Von uns wird leider kaum etwas bleiben, denn fast alle unsere Produkte werden nun eingestellt. Für viele Menschen hinter diesen Produkten gibt es leider keine Verwendung mehr. Nicht nur hier, sondern im Journalismus ganz generell nicht. Denn der ganzen Branche geht es schlecht, alle müssen bitter sparen. Das macht es für uns auch nicht leichter. Denn wer wird schon gerne von der Obrigkeit gezwungen, seinen Traumberuf aufzugeben.

Was es besonders schwer zu akzeptieren macht, ist, dass es sich um eine willkürliche Entscheidung der Volksvertreter handelt. Der Journalismus der "Wiener Zeitung" wurde mit sorgsam verwaltetem Steuergeld bezahlt. Alles, was in fast 320 Jahren aufgebaut wurde - es gehört nicht einer Person oder einer Gruppe, es gehört allen Österreicherinnen und Österreichern.

Dass nun eine Handvoll Menschen darüber entscheidet, dass das fast alles weg kann, ist schwer zu akzeptieren. Spricht man mit Vertretern der Politik, die nicht unmittelbar mit der Sache zu tun haben, wird einem bestätigt, wie unendlich falsch das alles ist. Dass niemand versteht, warum es da keine Alternative geben soll. Man darf vermuten: Auch die Handelnden wissen im Grunde ganz genau, dass ihre Entscheidung eigentlich falsch ist. Und eigentlich gar nicht zwingend nötig gewesen wäre. Zugeben tun sie das freilich nicht.

Akzeptieren? Niemals!

Dass macht die Akzeptanz der kommenden, für uns letzten Woche besonders schwer. Keine Frage, ein regulär beschlossenes Gesetz ist zur Kenntnis zu nehmen und umzusetzen. Aber akzeptieren? Kann man das wirklich verlangen, zu einem Zeitpunkt, an dem es darum geht, dass das Lebenswerk von vielen von uns einfach so entsorgt wird, und von den Eigentümern wider besseres Wissen so getan wird, als hätte es keinen Wert. Wäre reif für die Müllhalde der Geschichte.

Womit wir wieder zu den bohrenden Fragen zurückkommen? Hätte man nicht noch etwas tun können? Noch mehr Überzeugungsarbeit leisten können? Die Hilfeschreie dieser Redaktion, allen voran des ehemaligen Chefredakteurs Walter Hämmerle, waren ohnehin nicht zu überhören. Sie wurden auch nicht überhört. Sie wurden bloß ignoriert. Dass er daraus die Konsequenzen zog und das Haus vorzeitig verließ, war eine ganz besondere Niederlage.

Ein allerletztes Mal

Manchmal denke ich an die vielen Generationen an Journalistinnen und Journalisten, Autorinnen und Autoren, die vor uns an dieser Stelle tätig waren. Was würden sie über die Sache denken? Über uns denken? Hätten sie je gedacht, dass ihre Zeitung so lange überleben würde? Würden Sie sagen: "Kopf hoch! Fast 320 Jahre zu schaffen, darauf darf man durchaus auch stolz sein!" Oder würden sie auf uns herabblicken und unser Versagen missbilligen? Immerhin wurden selbst Chefredakteure hier bereits auf allerhöchste Weisung hin entsorgt. Aber gleich das ganze Blatt?

Wie wird sich das anfühlen, wenn wir nächste Woche die allerletzte Ausgabe fertig produziert haben? Ich will nicht zu viel verraten, aber wir arbeiten seit Wochen an der letzten Nummer. Sie wird eine Zeitung wahrhaft für die Geschichtsbücher sein. Wo wir noch ein letztes Mal zeigen, wer wir sind und was wir können. Sich selbst ein Denkmal zu bauen, ist ein Stück weit narzisstisch. Aber es liegt nun einmal an uns, den Abschied zu gestalten. Und unsere Leser, die mit uns in den letzten Jahren mitgelitten und mitgekämpft haben, haben sich eben das Allerbeste verdient. Und das wollen wir liefern.

Die außergewöhnlich anstrengende Arbeit dieser letzten Tage trägt uns ein Stück weit über die Traurigkeit, die ab und an aufflackert. Aber die dunklen Gedanken werden schnell überlagert, durch die Dinge, die jetzt alle noch ein letztes Mal passieren müssen. Wir haben uns nicht fürs Auslaufen lassen entschieden, sondern für einen letzten Sprint, eine letzte Show, eine Finissage.

Wie es dann sein wird, wenn die Büros geräumt, die Laptops zurückgegeben und die Schlüssel abgegeben sind? Man kann, aber man will es sich nicht vorstellen. Das dunkle Loch, es wartet schon.

Hätte man nicht noch mehr tun können? Nein. Hätte man nicht. Alle die konnten, haben wirklich alles gegeben. Menschen, wie Frau Helga, von denen wir gar nicht wussten, wie sehr sie unsere Zeitung wertschätzen, ja, fast kann man sagen: lieben. Plötzlich standen sie da an unserer Seite. Organisierten Proteste, intervenierten, schrieben E-Mails und Briefe, mobilisierten Mitstreiter. Ja, sie riefen sogar zu einer Demonstration mit mehr als tausend Menschen vor dem Bundeskanzleramt auf. Es war eine bunte und laute Schar, die sich dort traf und ihrer Wut freien Lauf ließ. Für viele Teilnehmer war es die erste Demo ihres Lebens. Aber das, was da lief, war für sie inakzeptabel. Menschen in Tweed-Sakko mit Krawatte oder in elegantem Kostüm auf der Demo. Es waren genau diese Momente, die uns als Redaktion da durchtrugen. Die Fülle der Hilfe, die tröstenden Worte, die von Hand verfassten Abschiedsbriefe. Wir werden uns immer an diese Wertschätzung erinnern.

Und wer weiß, was kommt? Politische Entscheidungen sind nie in Stein gemeißelt. Meinungen, Ansichten und Linien ändern sich auch. Auch Wahlen bringen Veränderung. Und manchmal kommen Dinge wieder zurück, weil man festgestellt hat, dass man sie doch noch braucht.