)
Irans überwiegend junge Bevölkerung freut sich nach der Wahl des moderaten Pragmatikers Hassan Rohani auf eine baldige Lockerung der Zensur und auf mehr Freiheiten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Der Scheich der Hoffnung wird es richten, da bin ich überzeugt. Es gibt etwas Positives in der Luft seit seiner Wahl im Juni. Einiges ist schon besser geworden, die jungen Menschen trauen sich wieder, ein wenig lockerer zu sein. Es war ganz klar, dass ein Umbruch nicht von heute auf morgen stattfinden kann und der Widerstand der Hardliner verwundert mich auch nicht. Aber mit dem neuen Präsidenten Hassan Rohani gibt es endlich wieder jemanden auf unserer Seite. Er hat uns im Wahlkampf versprochen, die versperrten Schlösser und Riegel zu unseren täglichen Freiheiten zu öffnen, nun muss er dies auch einlösen, darum haben wir ihn gewählt".
So erzählt Arvin A. sichtlich euphorisch. Das Fenster seines Peugeot 206 ist offen und er hört die im Iran eigentlich verbotene Popmusik des im Exil lebenden Sängers Ebi. Er rückt seine Diesel-Armbanduhr zurecht und schimpft über den Verkehr. "Das ist eines der großen Probleme dieser Stadt: der Smog, die schlechte Luft, die zehntausende Autos und die damit zusammenhängende krebserregende Luft. Wir brauchen mehr öffentliche Verkehrsmittel. Mal sehen, ob wir die angekündigten fünf zusätzlichen U-Bahnlinien innerhalb der nächsten vier Jahre bekommen. Das könnte die Situation entschärfen", murmelt er.
Soziale Unterschiede
Den Unmut Arvins teilen viele. Auf den Straßen der Millionenmetropole fährt ein großer Teil der über sieben Millionen iranischen Autos. Jedes Jahr kommen landesweit Hunderttausende dazu. Es ist auch ziemlich leicht, anhand der Fahrzeuge zu lokalisieren, wo man sich in Teheran befindet. Im ärmlichen Süden der Stadt dominiert das sparsame iranische Nationalvehikel, eine Art Pendant zum ostdeutschen Trabi, namens Peykan (Pfeil); in den Nobelvierteln des Nordens hingegen drängen sich deutsche und französische Limousinen, die unter Lizenz im Iran selbst montiert werden, neben japanischen Geländewagen und Porsche Cabrios.
In dieselbe Kerbe wie Arvin schlägt auch sein bester Freund Ramin. "Wir brauchen dringend mehr Bürgerrechte. Wir hoffen auf Rohani. Ich bin ja gespannt, wann die Bürgerrechtscharta kommt. Rohani hat gesagt, dass man nicht alles kontrollieren muss und die Menschen in ihren eigenen vier Wänden frei leben dürfen sollen. Ohne Einschränkungen. Einige Tropfen auf den heißen Stein sind mit der Lockerung der Pressezensur und der Freilassung einiger politischen Gefangenen ja schon gefallen. Aber das kann allenfalls nur ein Anfang sein. Die rasche Lockerung der Zensur heißt für mich, dass ich in einem Internetcafé kein Protokoll über meine besuchten Seiten angeben muss. Dass ich nach Lust und Laune in den sozialen Netzwerken surfen kann, ohne gezwungen zu sein, teure Filterbrecher zu installieren, und dass wir jungen Menschen endlich wieder lächelnd und ohne Angst vor irgendwelchen Sicherheitskräften in einem Café sitzen können und uns amüsieren", fordert er.
Junge Menschen wie Arvin und Ramin haben einen großen Trumpf in der Hand, gegen die sogar die Hardliner, die mächtigen Revolutionsgarden und ultrakonservativen Kräfte, die nun ständig auf die Bremse des Reformeifers des neuen Präsidenten steigen wollen: Sie sind so viele. Allein im Großraum Teheran sind über 12 von 16 Millionen Einwohnern unter 28 Jahre alt. Überhaupt sind zwei Drittel der iranischen Bevölkerung (rund 75 Millionen Menschen) unter 35 Jahre alt und müssen mit den Restriktionen des islamischen Alltages zurechtkommen. Beispielsweise sind Facebook, Twitter und YouTube offiziell, sprich über das iranische Internet, nicht abrufbar. Man braucht sogenannte Filterbrecher (VPN-Systeme), um diese sozialen Netzwerke nutzen zu können. Trotz der Verbote verwenden 20 Millionen Iraner regelmäßig Twitter, Facebook und YouTube.
Soziale Netzwerke
Der Iran ist also eines jener Länder im Nahen und Mittleren Osten, die soziale Netzwerke massiv in ihren Alltag eingebunden haben. Sogar Rohani, sein Regierungsteam und auch sein mächtiger politischer Ziehvater, Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani haben Twitter bzw. Facebook-Accounts. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif wird durch seine zahlreichen Tweets und Postings in sozialen Netzwerken gar als "Vorreiter" unter den Nutzern der sozialen Netzwerke gehandelt.
Die langsame Öffnung in Richtung Westen und die damit einhergehende Lockerung der Zensur kann natürlich nicht ohne den "Segen von oben" erfolgen. Mit dem Obersten Führer des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, soll Rohani die Lockerung der Zensur bereits arrangiert haben. Khamenei soll sich nicht ablehnend dazu geäußert haben.
Er billigte sogar die mediale Großkampagne für mehr Freiheiten der Perser, die seit dem 14. Juni läuft - dem Tag, an dem Rohani zum siebenten Präsidenten der Islamischen Republik gewählt wurde. Rohani wagt sich ziemlich weit aus dem Fenster und nimmt die offene Kritik der Hardliner bewusst in Kauf und bietet ihnen immer wieder die Stirn. Die Welt habe sich geändert und das müsse man hinnehmen, so die Warnung Rohanis an die Geistlichen im Iran. Die Menschen seien weltweit über Internet oder Satellitenfernsehen miteinander verbunden. "Daher sollte man auch nicht länger engstirnig mit der Gesellschaft umgehen und Türen zur Toleranz öffnen", so sein Credo.
Parallel zur Lockerung der Zensur will Rohani die Übermacht der Revolutionsgarden eindämmen. "Der Revolutionsvater Ruhollah Khomeini hat ganz klar und deutlich gesagt, dass die Streitkräfte nichts in der Politik zu suchen haben", so sein Seitenhieb auf den politischen Einfluss der Revolutionsgarden unter seinem Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad. Unter Ahmadinejad machten die täglichen Restriktionen der Jugend sehr zu schaffen.
Ein weiteres "heißes Eisen", das Rohani angehen will, sind die Frauenrechte. "Es gibt bei uns einige Frauen, die ihre Männer umgebracht haben, weil sie sich nicht von ihnen scheiden lassen konnten. Hinzu kommt, dass diese Frauen keine Unterstützung von ihren Männern erhalten. Sie wollten die Scheidung, aber sie konnten sie nicht erhalten, also schritten sie zu einer Verzweiflungstat", echauffiert sich die Jusstudentin Afsaneh A.
Männliche Justiz
Im männlich dominierten iranischen Justizsystem ist es für Frauen sehr schwierig, eine Scheidung durchzusetzen. Sie müssen sich in einem oft jahrelang dauernden Prozess rechtfertigen. Viele Richter berufen sich auf zwei Suren im Koran, die nur die Männer zur rechtsgültigen Scheidung ermächtigen. Sie brauchen dafür nur dreimal eine bestimmte Scheidungsformel auszusprechen.
Die Liste der Probleme ist lang: Mädchen gelten ab neun Jahren als strafmündig, Jungen erst ab fünfzehn. Die Stimme oder Zeugenaussage eines Mannes zählt vor Gericht so viel wie die von zwei Frauen. Töchter erben nur die Hälfte von dem, was der Sohn erbt. Zudem erhalten Frauen so gut wie nie das Sorgerecht für ihre Kinder. Wenn sie arbeiten oder ins Ausland reisen wollen, müssen sie die Erlaubnis ihres Mannes einholen. Gemäß dem im Iran geltenden islamischen Recht dürfen Männer vier Ehefrauen haben. "Das sind dann genau die Bereiche, die Frauen im Sinn haben, wenn sie sagen, dass dieses Rechtssystem sie in ihrem Land zu Menschen zweiter Klasse macht", ergänzt Afsaneh.
Die systematische und im System verankerte Diskriminierung hat fatale Folgen für die Gesellschaft. "Wenn ein Rechtssystem so aufgebaut ist, dass diese Dinge den jungen Männern bereits in der Volksschule und im Gymnasium eingetrichtert werden, dann wachsen sie mit dem Bild auf, dass die Frau weniger wert sei als sie. Rohani hat versprochen, sich diese Dinge anzusehen. Schauen wir einmal, ob seinen blumenreichen und schönen Worten Taten folgen", relativiert die Jusstudentin.
Rückendeckung bekommt Rohani bei seinen ambitionierten Vorhaben vom politischen Erzfeind Ahmadinejads, Rafsanjani. Der wegen seiner Wendigkeit und seinem politischen Geschick als "Irans Kardinal Richelieu" bezeichnete Chef des Schlichtungsrates war es, der nach Absprache mit seinem politischen Ziehsohn Rohani zu Khamenei ging und die Freilassung der politischen Gefangenen und die Lockerung der Zensur vehement einforderte. Offenbar mit Erfolg, denn die ersten Schritte in dieser Richtung sind bereits erfolgt.
Neues Vertrauen
"Die Zeit der positiven Veränderung ist angebrochen", sagte Rafsanjani. "Wir müssen nicht alles verbieten. Die Menschen müssen neues Vertrauen in die Politik im Iran gewinnen. Lassen wir sie atmen und sich austauschen. Ein neuer politischer Wind der Hoffnung weht nun und ich bin zuversichtlich, dass Präsident Rohani die Probleme des Landes mit Sorgfalt lösen wird, wenn man ihn denn auch lässt", so Rafsanjanis Seitenhieb auf die Revolutionsgarden.
Parallel dazu stellte er Ausschnitte seiner Reden auf seine Homepage, um seiner Forderung nach mehr Freiheit für die Opposition und für die Menschenrechte Nachdruck zu verleihen.
"Ich sage euch ganz klar, dass kulturelle Angelegenheiten fortan in die Hände von Experten gelegt werden müssen. Wir dürfen nicht erlauben, dass eine Zeitung ihre Produktion einstellen muss, ein Buch nicht gedruckt werden kann oder ein Film nicht vorgeführt werden darf, nur wegen einer ex-tremistischen Expertise eines Nicht-Experten", stellte Rafsanjani klar.
300.000 Perser verlassen den Iran jedes Jahr, weil sie genug von dem Leben unter Zwängen haben. Das zwingt die Führung, zu handeln. Dass Khamenei nun erstmals grünes Licht für eine liberalere Zensurpolitik gibt, zeigt, dass auch der oberste Führungszirkel durch die schmerzhaften westlichen Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomstreit offenbar zu inneren Zugeständnissen bereit ist, um die Bevölkerung bei Laune zu halten.
Arian Faal, geboren 1977, ist freier Mitarbeiter bei der "Wiener Zeitung" und auch bei der apa. Er ist spezialisiert auf den Iran und den Nahen Osten.