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Iren fühlen sich schlecht informiert. | Ja-Befürworter frustriert. | Dublin. Knapp vor der Volksabstimmung zum EU-Reformvertrag werden in Irland die Messer gewetzt. Tag für Tag nimmt die Konfrontation zwischen den Befürwortern und Gegnern an Schärfe zu und zieht dabei die Blicke des restlichen Europas auf sich. Jene EU-Bürger, die gerne selbst über den Lissabon-Vertrag abgestimmt hätten, verfolgen die Debatte ebenso aufmerksam wie jene, die froh darüber sind, dass es in ihrem Land nicht zu einem Referendum gekommen ist. Unterstützt von den Anfeuerungen aus Resteuropa, ist die Stimmung in Irland vor dem Referendum am Donnerstag aufgeheizt wie selten zuvor.
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"Politiker aus Irland und ganz Europa warnen laufend, dass es extreme Nachteile für Irland brächte, wenn wir Nein sagen. Wie krank ist das denn?", sagt Pádraig, Hafenarbeiter in Dublin. "Von uns fordern sie, dass wir aufpassen sollen, dass unsere Kinder in der Schule nicht verängstigt oder genötigt werden und selbst fahren sie mit den größten Einschüchterungen auf! Aber das eine kann ich Ihnen sagen: Wir Iren lassen uns von niemandem drohen."
So wie Pádraig denken viele. Wenn man die Büros verlässt und das Ohr auf die Straßen Dublins legt, hört man kaum eine Stimme, die ein Ja unterstützt. Doch das politische Establishment Irlands setzt alles daran, die Bürger doch noch von dem Vertrag zu überzeugen, durch den ab 2009 unter anderem ein EU-Außenminister und ein fixer EU-Ratspräsident geschaffen würde sowie die EU-Grundrechtecharta in Kraft treten könnte. Alle irischen Parteien haben sich für ein Ja zum Vertrag von Lissabon stark gemacht. Einzige Ausnahme sind ein sozialistischer Abgeordneter und die nationalistische Sinn Fein, die nach dem schlechten Abschneiden bei den letzten Wahlen über das Referendum wieder versucht, an Profil zu gewinnen. Unterstützt wird sie vom Institut Libertas, der größten Organisation des Nein-Lagers.
Schätzungen der Regierung zufolge haben die Befürworter bereits eineinviertel Millionen Euro in ihre Kampagne investiert. Doch auch das Nein-Lager lässt sich seine Werbung einiges kosten. 1,3 Millionen Euro hat Libertas, eigenen Angaben zufolge, in die Schlacht geworfen. Geld, das die Organisation für einen harten Kampf verwendet. Libertas spricht die Ängste der Bevölkerung an, kaum ein Schreckgespenst wird ausgelassen, um den Lissabon-Vertrag ganz in Schwarz zu zeichnen.
Angst vor einerÜbermacht Brüssels
Dass künftig alle 15 Jahre jeder EU-Staat fünf Jahre auf die Entsendung eines EU-Kommissars verzichten soll, reduziert Libertas auf die Formel: Seht zu, dass Irland seinen Kommissar behält, wählt Nein. Libertas-Chef Declan Ganley warnt davor, dass es der Reformvertrag künftig möglich machen könnte, dreijährige Kinder zu verhaften, oder dass Brüssel Irland Abtreibungsfristen vorschreibt. Das sind Ängste, die sich ins Bewusstsein der Bevölkerung einbrennen, egal ob sie stimmen oder nicht.
Der Auslands-Chef der irischen Industriellen-Vereinigung ibec, Brendan Butler, ist verzweifelt: "Diese Sachen bekommen Sie nicht mehr aus den Köpfen der Menschen: Abtreibung, der Verlust eines EU-Kommissars, die Möglichkeit, Dreijährige zu verhaften. Da können Sie den Menschen tausend Mal sagen: Der Lissabon-Vertrag hat damit nichts am Hut; das hat nicht nur die Regierung bestätigt, sondern auch die unabhängige Kommission zum Reformvertrag, ja sogar auch die Kirche. Viele Menschen glauben es trotzdem. Das ist wirklich frustrierend."
Eine Übermacht Brüssels ist die größte Sorge der Lissabon-Gegner. "Die EU soll einen Hohen Vertreter für Außenpolitik bekommen. Aber wissen Sie wer den wählt? Nicht das Volk", sagt Caroline Simons, Anwältin und Sprecherin von Libertas. Dass in keinem EU-Land der Außenminister persönlich gewählt wird, stört sie bei der Überlegung nicht. "Der Posten des Hohen Vertreters und des Ratspräsidenten könnten von ein und derselben Person ausgeübt werden. Jemand, der soviel Macht hat, sollte vom Volk gewählt werden", fordert Simons.
Meist drehen sich Diskussionen über den Lissabon-Vertrag im Kreis. Gerade einmal fünf Prozent der Iren fühlen sich gut informiert, die Zahl der Menschen, die den Vertrag nicht gelesen haben, tendiert gegen 100 Prozent - an deren Spitze Premierminister Brian Cowen. "Der Cowen hat selber zugegeben, dass er den Text nicht gelesen hat. Jetzt frage ich Sie: Wie soll ich einem Politiker trauen, der mir etwas empfiehlt, ohne es selbst zu kennen?" Taxifahrer Christopher treibt so etwas in die Arme des Nein-Lagers. "Ich gehe am Donnerstag wählen und ich werde Nein wählen, meine Frau nehme ich auch mit, die wird auch Nein wählen, sonst lasse ich mich scheiden."
Auch auf dem Land herrscht negative Stimmung. Lange hatte sich der Bauernbund gegen den Lissabon-Vertrag gestemmt. Erst nach Zugeständnissen der Regierung für die Verhandlungen mit der Welthandelsorganisation gab der mächtige Agrar-Dachverband eine Wahlempfehlung für das Ja. Trotzdem sind viele Bauern noch nicht davon überzeugt. "Ich gehe gar nicht erst wählen. Ich habe ja doch keine Ahnung, worum es geht", sagt beispielsweise Gavin, Bauer aus der Umgebung von Limerick.
Informationsmangel trotz Werbehagels
Das Gefühl, nur mangelhaft informiert zu sein, ist umso erstaunlicher, als Tag für Tag ein regelrechter Werbehagel auf die irische Bevölkerung prasselt. Jede irische Zeitung, die etwas auf sich hält, hat schon seit Wochen täglich mindestens vier Seiten für die Berichterstattung über das Referendum eingeräumt. Täglich finden Dutzende Informationsveranstaltungen quer durch das Land statt, sogar die Minister gehen persönlich von Tür zu Tür in Sachen Lissabon-Vertrag.
Ruairi Quinn, Labour-Abgeordneter und Chef einer "Yes to Lisbon"-Kampagne, sieht das Problem in der Komplexität des Themas: "Wenn Sie die Schachregeln nicht kennen, und ich präsentiere Ihnen eine Reform des Schachspiels, wird es für Sie schwer sein, diese Änderungen nachzuvollziehen. Viele Menschen in der EU haben keine Ahnung, wie europäisches Recht gesetzt wird, den Weg einer Richtlinie vom Entwurf der Kommission über das Parlament zum Ministerrat und die anschließende Ratifizierung in den 27 Mitgliedstaaten." Einem Ja zum EU-Vertrag steht das seiner Meinung nach aber nicht entgegen: "Viele Menschen kaufen ein Auto, das ihnen gefällt, aber sie wissen dabei nicht notwendigerweise, wie der Motor funktioniert, oder wie man ihn repariert, wenn er stottert."
Im Gegensatz zu anderen EU-Referenden fehlt den Befürwortern diesmal eine kurze, mobilisierende Nachricht. So brachte Maastricht den Euro als gemeinsame Währung und Nizza die Osterweiterung mit hundert Millionen Menschen, die sich neuen Märkten öffnen. Doch Lissabon? "Mit Erklärungen über gesteigerte Effektivität und Effizienz der EU lockt man niemanden hinter dem Ofen hervor", sagt Butler.
Referendum wird zur Vertrauensfrage
Auch die Jugend ist äußerst skeptisch. "Unser größtes Problem sind die 20- bis 30-Jährigen", erklärt Dick Roche, Irlands Europa-Staatssekretär. Die seien fast alle gegen den Lissabon-Vertrag. Hört man sich unter Studenten um, so halten viele von ihnen vor allem die Aufrüstungserklärung im Vertrag für unangebracht.
Den letzten Umfragen zufolge zeichnet sich bei der Volksabstimmung ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Fakten dürften letztlich aber nicht entscheiden, welches Lager schließlich den Sieg davontragen wird, glaubt Butler: "Niemand wird bis zur Abstimmung den Vertrag lesen, daher ist es am Ende eine Vertrauenssache. Wem glaubst du eher, den Leuten von Sinn Fein und anderen notorischen EU-Gegnern oder der Regierung, gemeinsam mit ihrer Opposition, den Unternehmerverbänden, den Gewerkschaften, dem Bauernverband und den Akademikern?"
Viel Platz für Optimismus hat die Ja-Seite nicht, schließlich haben sich die Iren schon einmal vor einem EU-Referendum schlecht informiert gefühlt. Mit dem Slogan "If you don´t know, vote No" ("Wenn du keine Ahnung hast, wähle Nein") wurde 2001 der Vertrag von Nizza zu Fall gebracht und erst mit einem Ja in einer zweiten Abstimmung auf den Weg gebracht. Doch die hat die Regierung diesmal ausgeschlossen.
Der Vertrag von Lissabon
Die irischen Gegner des EU-Vertrags führen ins Treffen, dass das Reformwerk* einen ungewählten Präsidenten und Außenminister schaffe.
* Irlands Einfluss bei den Abstimmungen halbiere während das Gewicht der Deutschen verdoppelt würde.
* Die Souveränität in Fragen der Steuer- und Wirtschaftspolitik an die Europäische Union abgegeben würde.
* 60 Politikfelder an die Brüsseler Autorität übergeben würden.
Die Befürworter des Vertrags halten dem entgegen, dass
* das Reformwerk den Zugang zu den europäischen Märkten erweitere.
* Irland ein Vetorecht in den Kernbereichen der Wirtschaftspolitik behält.
* die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt werden.
* die Rolle des EU-Parlamentes gestärkt werde.
* den kleineren EU-Staaten ein größeres Gewicht eingeräumt werde.
* die Entscheidungsmechanismen transparenter gestaltet werden.
* die EU-Staaten in Zukunft auf der internationalen Bühne geschlossener auftreten könnten.
Mehr zum Thema:
WZOnline-Dossier: EU-Reformvertrag