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"Wir kämpfen um einen höheren Preis"

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Czarek Sokolowski

In Polen will Spitzenkandidatin Barbara Nowacka der Vereinigten Linken zu neuem Aufschwung verhelfen.


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Warschau. Wenn die Polen in eineinhalb Wochen ein neues Parlament wählen, entscheiden sie auch über das Schicksal der Linken. Denn während die beiden größten Fraktionen, die regierende gemäßigt konservative Bürgerplattform (PO) und die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um die Vormacht im Staat ringen, kämpfen linke Gruppierungen um ihr Überleben. Dieses wollen sie mit einem neuen Bündnis, der Vereinigten Linken, mit Barbara Nowacka als Spitzenkandidatin sichern.

"Wiener Zeitung": In etlichen Ländern Europas ist die Macht der Sozialdemokratie geschwunden. Doch in Polen tun sich linke Gruppierungen besonders schwer. Selbst eine ehemalige Regierungspartei wie SLD (Bündnis der demokratischen Linken) musste teilweise bangen, ob sie den Wiedereinzug ins Parlament schafft. Konservative Fraktionen stellen sich mittlerweile als die besseren Arbeiterparteien dar. Was ist passiert?Barbara Nowacka: Nachdem die Sozialdemokratie so viele Rechte für die Menschen erkämpft hat, ist sie zu einer Hüterin dieser Ordnung geworden. Als Reaktion auf Prozesse der Globalisierung oder die Entwicklungen der Märkte ist sie, um diese Rechte zu erhalten, ins Zentrum gerückt und damit näher zum Mittelstand. Nachdem sie aber ihre revolutionäre Kraft verloren hat, ist sie für Arbeiter weniger attraktiv geworden. An diese Stelle sind rechte und radikale Parteien getreten, die sich auf Schlagwörter von Nation und Arbeit als einigendes Element berufen.

Solche Wählerverluste wie in Polen musste aber kaum eine andere sozialdemokratische Partei hinnehmen. Wo lagen die Fehler?

Einige von ihnen wurden während der Regierungszeit begangen. Die wurde von konservativen Parteien als postkommunistisches Übel dargestellt. Dabei war das Wirtschaftswachstum in dieser Zeit am höchsten, und Polen ist der Europäischen Union beigetreten. Doch trotz der Erfolge schien SLD sich selbst für seine Wurzeln im sozialistischen Regime zu schämen. Überhaupt hat sich Polen auch nach 25 Jahren noch nicht davon gelöst, in Gegensätzen "wir" gegen "sie" zu denken. Dieser Graben zwischen der ehemaligen Einheitspartei und der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc wird noch immer gezogen - obwohl junge Menschen nichts mehr damit anfangen können.

Mit den Grabenkämpfen in der Linken selbst aber wohl auch nicht viel...

Das war einer der größten Fehler: Bei der letzten Parlamentswahl hat SLD an die acht Prozent der Stimmen erhalten. Aber eine andere liberale Partei, die Bewegung von Janusz Palikot, hat auf Anhieb ein Zehntel der Wähler überzeugt. Zusammen wären es fast 19 Prozent. Doch statt Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu suchen, begannen die Fraktionen miteinander zu rivalisieren.

Mittlerweile haben sie sich zusammengerauft und treten mit einigen Kleinparteien - wie den Grünen - als Wahlbündnis Vereinigte Linke an. Den Wandel sollen nicht zuletzt Sie repräsentieren, indem Sie als Spitzenkandidatin vor die langjährigen Parteichefs treten. Ist die revolutionäre Kraft zurück?

Ihre Chancen sind auf jeden Fall gestiegen. Der Zusammenschluss bildet zwar auch ein Risiko, weil die Hürde für den Einzug ins Parlament auf acht Prozent steigt. Aber um zu gewinnen, braucht es Motivation. Die ist größer, wenn wir um einen höheren Preis kämpfen. Die Vereinigung war wegen der Auffassungsunterschiede nicht einfach, aber es geht nicht um Sympathie, sondern um politisches Kalkül, um die Wirkungskraft.

Viele Wähler, die einen - in Prognosen vorhergesagten - Wahlerfolg der nationalkonservativen Fraktion PiS verhindern wollen, setzen aber eher auf die Regierungspartei PO, die auch keine linke Gruppierung ist.

PO ist keine Alternative zu PiS. In ihrer Weltanschauung unterscheiden sich etliche PO-Abgeordnete nicht von ihren PiS-Kollegen. Das hat sich zuletzt im Parlament gezeigt, als ein Votum über die Zurückweisung eines präsidialen Einwands angesetzt war. Es ging um Erleichterungen bei der Prozedur einer Geschlechtsumwandlung, gegen die der Staatspräsident ein Veto eingelegt hat. Die Abstimmung wurde verschoben. Warum? Weil die Bürgerplattform gewusst hat, dass einige Mitglieder der gleichen Meinung sind wie PiS, aus deren Reihen der Präsident stammt.

Umgekehrt übernehmen diese Parteien etliche Forderungen, die eher der Sozialdemokratie zugeschrieben werden. Ein wichtiges Thema im Wahlkampf ist etwa die Anhebung des Mindestlohns, der derzeit bei rund 400 Euro liegt. Wie soll das finanziert werden?

Wir wollen die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen. Wir müssen überhaupt einige Steuern erhöhen, andere aber senken. Der Mehrwertsteuer-Satz von 23 Prozent ist zu hoch. Einkünfte müssen teilweise aber höher besteuert werden. Denn auch die meist Verdienenden zahlen nur 32 Prozent Steuern - genau so viel wie Menschen mit einem mittleren Einkommen. Umgekehrt sind Investitionen ins Humankapital nötig, auch wenn sich das für einen Staat erst zu einem späteren Zeitpunkt rentiert.

In der Zwischenzeit machen sich Menschen, die keine Perspektiven in ihrem Land sehen, woanders auf Arbeitssuche. Lange Zeit wurde diese Emigration nicht als politisches, soziales Problem aufgefasst, weil ja Geld in die Heimat geschickt wurde. Wird dies nun anders gesehen?

All jenen, die sich über die positiven Effekte der Emigration freuen, rate ich, in eines der verlassenen Dörfer in Polen zu reisen. Außerdem nehmen die Geldüberweisungen ab, je länger jemand im Ausland ist. Dort schlagen die Menschen Wurzeln, und mit ihren Familien in der Heimat haben sie meist nur noch über Skype Kontakt.

Als Spitzenkandidatin rivalisieren Sie mit zwei anderen Frauen, die um das Amt der Premierministerin kämpfen: Amtsinhaberin Ewa Kopacz und PiS-Vizevorsitzende Beata Szydlo. Ist Gleichberechtigung in der polnischen Politik wahr geworden?

Ich kenne keinen Mann, der eine Kandidatur ablehnen würde mit dem Argument, dass in den anderen Parteien bereits zwei Männer kandidieren. Wenn wir also noch solche Überlegungen anstellen, ist Gleichberechtigung noch nicht realisiert. Die wird es außerdem erst geben, wenn wir den gleichen Anteil an Lohn und den halben Anteil an Macht haben. Das ist derzeit weder in Polen noch in Österreich der Fall.

Barbara Nowacka
ist Ko-Vorsitzende der Partei "Deine Bewegung", die der linksliberale Politiker Janusz Palikot mitgegründet hat. Zuvor war die Informatikerin gut 20 Jahre lang in sozialen und sozialdemokratischen Organisationen sowie Parteien tätig.