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"Wir kaufen nicht mehr bei euch"

Von Alexia Weiss

Politik

Auch in Wien sind viele Juden mit Antisemitismus konfrontiert.


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Wien. Die Wiener jüdische Gemeinde stehe in engem Kontakt mit den Sicherheitsbehörden, "daher kommen alle Kinder in die Schulen und deshalb kommen alle, die kommen wollen, in die Synagogen", betont Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Anschläge auf Juden in Europa, aber auch die Sicherheitslage in Wien würden innerhalb der Gemeinde stark diskutiert, "mehr ist es aber zur Zeit nicht". Deutsch will aber auch nicht beschönigen: "Viele haben ein mulmiges Gefühl."

Das entspricht beispielsweise auch der Wahrnehmung von Julie Handman. Sie leitet das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung (JIFE), eine Einrichtung der Wiener Volkshochschulen. Persönlich sei sie nicht wirklich beunruhigt. "Aber es kommen viele Kursteilnehmer zu mir und fragen, wie ist das mit der Sicherheit. Ich fühle mich hier verantwortlich. Und ja, es fühlt sich derzeit einfach unsicher an. Man spürt, dass etwas in der Luft liegt." Das sei aber nicht erst seit den Anschlägen von Paris und Kopenhagen so. Im Sommer hätten immer wieder Vorbeigehende "Scheiß-Juden" durch die geöffneten Fenster des Instituts gerufen. "Es sind sehr angespannte Zeiten."

"Mit Erdogan hat sichalles verändert"

Der Alltag vieler Gemeindemitglieder ist aktuell von Antisemitismus geprägt, schildert Josef Sarikov. Er ist IKG-Vizepräsident und das Oberhaupt der bucharischen Juden Wiens (sie stammen ursprünglich aus Zentralasien, kamen großteils noch zu Sowjetzeiten nach Österreich und leben nun schon in zweiter und dritter Generation in Wien). Sarikov selbst wohnt seit Jahrzehnten im fünften Bezirk, die Familie betreibt dort mehrere Handygeschäfte. Wie lange das noch so sein wird, kann er nicht sagen. Der Sohn habe Angst, im Geschäft zu stehen. Mehrmals seien in den vergangenen Jahren Schaufenster eingeschlagen worden, der Antisemitismus schlage ihm und seiner Familie ganz offen entgegen, dann etwa, wenn Jugendliche türkischer Herkunft ins Geschäft kommen, herumpöbeln oder sogar den türkischen Angestellten (der es dann seinem Arbeitgeber übersetzt) fragen, warum er seine jüdischen Chefs nicht umbringe.

Von diesem Angestellten wisse er auch, wie sehr im türkischen Fernsehen gegen Juden gehetzt werde, erzählt Sarikov. "Und dann kommen sie zu uns ins Geschäft und sagen, wir kaufen nicht mehr bei euch." Das sei umso befremdlicher, als sein Sohn manche dieser Jugendlichen noch aus der Schulzeit kenne. "Es gibt offenbar so viel Propaganda. Diese jungen Männer sind ja alle hier aufgewachsen. Aber mit Erdogan hat sich alles verändert." Unschöne Begegnungen gebe es auch immer wieder mit Zuwanderern aus Tschetschenien.

Oberrabbiner denkt an Auswanderung

Unter den Leidtragenden seien inzwischen auch die Kinder. "Immer wieder erleben wir, dass Buben, die Kippa oder Tzitzit tragen, am Spielplatz hören: mit dir spielen wir nicht." Viele andere Familien der bucharischen Gemeinde würden Ähnliches erzählen. "Wir stehen in unseren kleinen Geschäften und wir bekommen da vielleicht mehr mit als andere, die im ersten oder 19. Bezirk leben", meint er.

Immer wieder würden sich auch unbekannte Personen vor dem Sefardischen Zentrum im zweiten Bezirk herumtreiben, was zusätzlich für Verunsicherung sorge. Erst kürzlich habe man die Polizei eingeschalten, als ein Mann, vermutlich türkischer Herkunft, sich geweigert habe, den Gehsteig vor dem Eingang der Synagoge in der Tempelgasse zu verlassen.

Auch Dezoni Dawaraschwili, ebenfalls IKG-Vizepräsident und Vertreter der georgischen Juden in Wien, betont, "die Sicherheitssorgen der Menschen sind sehr groß". Georgische Frauen würden sich zu Schiurim, also Tora-Lernstunden, nicht mehr im Sefardischen Zentrum, sondern lieber in Privatwohnungen treffen, "einfach, weil sie Angst haben". In Europa sei nach den wiederholten Anschlägen inzwischen "Gefahr in Verzug" - der islamistische Terror sei "eine tickende Zeitbombe". Verbale Unterstützung allein helfe da nicht. "Die Terroristen gehen derzeit sehr entschlossen vor. Europa muss ihnen noch entschlossener entgegen treten."

Sowohl Sarikov als auch Dawaraschwili sagen, dass es auch in Wien Familien gebe, die überlegen, Wien zu verlassen. "Die meisten tendieren dabei zu Israel", so Sarikov, "denn wenn es dort auch nicht absolut sicher ist: man kann mit der Kippa auf der Straße gehen". Dann gibt es da aber auch noch die andere Haltung: zu bleiben, um den Terroristen nicht in die Hände zu spielen. So meint Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg: "Meine Stimmung schwankt zwischen Wien oder Europa verlassen und dem Gedanken, dass wir damit unseren Feinden eine Freude machen würden, weil es womöglich genau das ist, was sie wollen."

Oskar Deutsch betont: er rate niemandem davon ab, in Wien als Jude erkennbar auf der Straße zu gehen. Er selbst gehe samstags auch weiterhin mit Hut in die Synagoge. Und die jüdischen Einrichtungen würden gut beschützt. Es sei begrüßenswert, dass die öffentliche Hand hier bei der Sicherheit helfe. Es sei andererseits aber auch traurig, dass 70 Jahre nach Ende des NS-Regimes jüdische Schulen und Gebetshäuser immer noch bewacht werden müssten. Die Politik müsse europaweit endlich entschlossen die Ursachen bekämpfen. Das heiße auch in Österreich: nicht zuzulassen, dass Hassprediger in Moscheen wirken können.