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Irlands Europaminister Dara Murphy sorgt sich nach dem Brexit um Irlands Wirtschaft. Sollten Teile der City of London nach Dublin ziehen, sei man darauf vorbereitet.
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"Wiener Zeitung": Wie können die anderen 26 EU-Mitgliedstaaten von den enormen Auswirkungen eines Brexit auf ihr Land überzeugt werden?Dara Murphy: Der Europäische Rat trifft die Entscheidungen. Premierminister Enda Kenny wird unseren Fall dort erklären. Das ist aber nicht nur Kennys Aufgabe, auch unser Außenminister und ich selbst arbeiten daran. Ich war in den letzten vier Wochen in acht EU-Hauptstädten, unser Premier hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Berlin getroffen und die britische Premierministerin Theresa May in London. Frankreichs Präsident François Hollande und Ratspräsident Donald Tusk waren hier in Dublin. Sie sehen, wir tun alles, um unseren Standpunkt klarzumachen. Uns alle besorgt, wie es mit dem Handel weitergeht. Großbritannien ist der größte Handelspartner Irlands. Für viele Staaten, darunter Polen, ist Großbritannien der zweitgrößte. Das Thema Handel sorgt demnach nicht nur die Nachbarländer Großbritanniens - sondern alle Europäer.
Mit dem Brexit dürfte ein Teil des Finanzsektors von der City of London nach Dublin übersiedeln. Könnte der Brexit demnach auch eine Chance für Irland sein?
Eines ist klar: Der Brexit ist schlecht für die EU, schlecht für Irland und schlecht für die globale Wirtschaft. Etwa 400.000 Menschen im Handelssektor auf beiden Seiten der Irischen See sind betroffen, jede Woche werden auf diesem Weg rund 1,2 Milliarden Euro gehandelt. Wir sind ein kleines Land und haben immer gesagt, wie schlecht der Brexit für den Handel wäre. Nun, da die Briten diese Entscheidung gefällt haben, versuchen wir, den Schaden an der Wirtschaft kleinzuhalten. Wir werden unseren Weg weitergehen: Wir haben die am stärksten wachsende Wirtschaft in der OECD. Wir haben einige strategische Vorteile: Wir sind in der Eurozone und verfügen im europäischen Vergleich über überdurchschnittlich viele junge gut ausgebildete Menschen. Wenn Firmen in Irland investieren wollen, dann können wir attraktive Angebote machen. Wir haben neben Dublin noch zwei weitere Städte mit Unis und Flughäfen. Wir wollten den Brexit nicht. Aber da er geschehen wird, müssen wir bereit sein. Wir sind offen für Unternehmen.
Irland hat eine Charme-Offensive gestartet, um Teile des Finanzwesens von London nach Dublin zu locken. Als Konkurrenten gelten Frankfurt, Paris, Luxemburg und Amsterdam. Ist es auch denkbar, dass man zusammenarbeitet?
Es ist wichtig, dass ganz Europa zusammenarbeitet, ob nun im Finanzsektor oder beim Export von Nahrungsmitteln. Ich war vor kurzem in Kopenhagen - zwei der größten Lebensmittelexporteure nach Großbritannien sind Irland und Dänemark. Wir müssen, obwohl wir Konkurrenten sind, zusammenarbeiten. Aus dem einfachen Grund, weil wir gemeinsame Interessen haben. Dasselbe gilt für den Finanzsektor. Die City of London wird ein wichtiger globaler Finanzplatz bleiben, doch es gibt Potenzial für einige Städte in der EU, einen Teil dort ansässiger Finanzdienstleister zu übernehmen. Wir sehen uns trotzdem nicht als Konkurrent zu Luxemburg oder Frankfurt. Wir müssen ambitioniert sein, aber realistisch bleiben.
Falls ein Teil des Finanzsektors nach Dublin umzieht, könnte das den Wohnungsmarkt belasten. Es gibt bereits eine Wohnungskrise, nun könnten bis zu 10.000 Menschen umziehen...
Was wir hier in Irland haben, ist Platz. Wir sind zwar ein kleines Land, aber trotzdem dünn besiedelt und darüber hinaus sehr dynamisch. Wir können schnell planen und tun das auch. Das gilt besonders im Wohnungsbau. Wir investieren nun 5,5 Milliarden Euro in Sozialwohnungen, 50.000 Wohnungen werden so in den kommenden Jahren entstehen. Der Mietsektor wird wachsen. Wir haben das Land und die Baugenehmigungen. Das Bauen hat sich für viele Investoren lange Zeit nicht ausgezahlt, aber das ändert sich nun mit unserem neuen Aktionsplan. Dabei liegt der Druck auf dem unteren Bereich, auf dem Sektor der Sozialwohnungen. Irland ist ein attraktiver Investitionsstandort. Wir bauen schneller Büros und Wohnungen als jeder andere. Es gibt Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt, das stimmt - aber wir haben einen Plan und werden sie sehr bald lösen.
Politiker unterschiedlicher Parteien in Nordirland fordern nach dem Brexit einen Sonderstatus für das Land, die republikanische Sinn Féin will gar in der EU bleiben. Was sagt Dublin dazu?
Wir machen uns natürlich große Sorgen um unsere Beziehungen zu Nordirland. Wir wissen, dass eine Mehrheit der Nordiren, wie auch die Schotten, für einen Verbleib in der EU gestimmt haben. Klar ist aber auch: Das Thema eines vereinten Irlands liegt nicht auf dem Tisch - zumindest aus unserer Perspektive nicht. Die Zeit ist nicht reif dafür.
Wie soll es denn aus Ihrer Perspektive weitergehen?
Wir müssen mit dem Norden zusammenarbeiten, deshalb organisieren wir auch einen Bürgerdialog, den "Civic Dialogue", der am 2. November beginnt. Denn die Beziehungen zwischen Nord und Süd sind in der Tat einzigartig. Großbritannien und Irland sind zwar nicht Teil der Schengenzone, haben aber die gemeinsame Reisezone, die "Common Travel Area". Das ist etwas sehr Besonderes, das wir behalten wollen; und wir hoffen, dass die Schwierigkeiten für Irland bei einem Brexit auch für die anderen 26 Mitgliedsländer klar sind. Dabei denken wir auch an den Friedensprozess in Nordirland, der auf keinen Fall gefährdet werden darf.
Enda Kenny sagte vor dem Brexit-Referendum, der EU-Austritt Großbritanniens könne in Nordirland ein Referendum über die Wiedervereinigung mit Irland auslösen. Immerhin ist im Karfreitagsabkommen festgelegt, dass Nordirland sich an die Republik anschließen darf, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung dafür stimmt. Ist das nun wieder vom Tisch?
Aus unserer Sicht ist das vom Tisch. Und ich schätze, das gilt auch für die britische Regierung. In Nordirland setzen sich ja einige Parteien für eine Wiedervereinigung ein, andere halten mit aller Kraft dagegen und wollen im Vereinigten Königreich bleiben. In der Bevölkerung aber wächst die Ansicht, dass die Wiedervereinigung für niemanden Sinn ergibt, weder für den Norden noch für den Süden. Wir arbeiten ja so schon eng zusammen, beim Export von Nahrungsmitteln etwa oder indem wir Irland im Tourismus als Einheit vermarkten.
Was kann getan werden, um die gemeinsame Reisezone zu erhalten und eine harte Grenze zum Norden zu verhindern?
Ich hoffe, die Personenfreizügigkeit insgesamt erhalten zu können. Eine Einschränkung dieser Freiheit innerhalb Europas ist nicht akzeptabel. Sie gilt auch für Norwegen und die Schweiz. Es wäre in niemandes Interesse, diese Freiheit einzuschränken - auch nicht für Großbritannien. Trotzdem müssen wir nun abwarten, wie sich London in Bezug auf Arbeiter aus dem EU-Ausland entscheidet und wie Brüssel darauf reagiert. Der Binnenmarkt steht neben Arbeit auch für Waren.
Es scheint immer wahrscheinlicher zu werden, dass das britische Parlament in Westminster die Entscheidung zum EU-Austritt ratifizieren muss. Was meinen Sie: Heißt Brexit nun wirklich Brexit?
Wir, also die restlichen 27 Mitgliedstaaten, müssen nun das glauben, was uns London sagt - und damit arbeiten. Großbritanniens Premierministerin May hat sich ja sehr klar ausgedrückt: "Brexit heißt Brexit" - wir gehen. Damit müssen wir planen, im Sinne unserer Bürger. Jede andere Spekulation ist vergeudete Energie. Natürlich bedauern wir, dass das Vereinigte Königreich die EU verlässt. Und sollten sie es doch nicht tun, wären alle glücklich. Doch London sendet überhaupt keine Signale in diese Richtung. Dabei darf man nicht vergessen, dass drei Viertel der Menschen unter 35 Jahren für den Verbleib gestimmt haben. Ich denke, die Briten können auch in Zukunft sehr gute Freunde der EU bleiben. Wir können eng zusammenarbeiten, aber die EU muss nun zusammenrücken. Es muss klar sein, dass eskeinem Land, das die EU verlässt, danach besser geht.
Zur Person
Dara Murphy
geboren 1969, ist seit Juli 2014 Minister für Europäische Angelegenheiten und Datensicherheit. Seine konservativ-liberale Partei Fine Gael ("Stamm der Iren") ist Regierungspartei (Minderheitsregierung mit einigen Unabhängigen seit 2016) und stellt die meisten irischen Abgeordneten im EU-Parlament.