Separatist spricht über historische Trennung und das Europa von heute.
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Am 1. Jänner 1993 war die Tschechoslowakei Geschichte, die Slowaken proklamierten stolz ihren eigenen Staat. Die Auflösung des 1918 gegründeten gemeinsamen Verbandes war vor allem von slowakischer Seite betrieben worden, an der Spitze der Separatisten stand der autokratisch regierende Nationalist Vladimir Meciar. Auf tschechischer Seite verhandelte der damalige Premier und heute Präsident Václav Klaus. Die "Wiener Zeitung" hat den slowakischen Ex-Premier, der seit Jahren kein Interview mehr gegeben hat, getroffen und zum Trennungsprozess der Jahre 1992/1993 befragt.
"Wiener Zeitung":Die Abspaltung der Slowakei 1993 war ein Prozess, aber können Sie einen Zeitpunkt nennen, ein Schlüsselereignis, als definitiv klar war, dass es keinen Weg mehr zurück gibt?
Vladimir Meciar: Der entscheidende Moment für uns war, als wir der Bevölkerung gesagt haben: "Jetzt kommt es zur Teilung" - das war im Oktober 1992. Vaclav Klaus und ich haben damals über das Ende der tschechisch-slowakischen Föderation gesprochen und was danach kommt. Dann haben wir die Frage der Teilung des Staatsbesitzes erörtert. Insgesamt haben wir 28 Verträge vorbereitet. Die sind bis jetzt gültig.
Was waren denn die heikelsten Momente der Abspaltung? Die Slowakei hat doch auch Angriffe der tschechischen Luftwaffe nicht ausschließen wollen, da ist es doch hart auf hart gegangen?
Wir konnten nicht ausschließen, dass diese Angelegenheit auch militärisch ausgetragen wird. Aber der Verteidigungsminister in Prag war ein Slowake, die Offiziere der tschechoslowakischen Luftstreitkräfte waren Slowaken. Und im November 1992 ist ein Teil der Kampfjets in die Slowakei verlegt worden. Es gab aber schon Extremisten auf beiden Seiten. Die tschechoslowakische Armee haben wir mit Mannschaft und Geräten in vier Monaten geteilt. Die Armeeführung wollte eine gemeinsame Armee bis zum Jahr 1995 halten.
Wieso ist die Trennung dann so glatt gegangen? War das Bedürfnis nach Unabhängigkeit auf slowakischer Seite so groß?
Wenn die Abspaltung nicht geklappt hätte, was wäre dann aus mir geworden? Ich habe damals schlecht geschlafen, ich bin auch nicht mehr nach Hause gegangen, bin im Büro geblieben.
Nach der Trennung waren Sie als Autokrat verschrien. Im Machtkampf mit Präsident Kovacs wurden Sie mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht. Da war auch die Entführung des Sohns von Präsident Kovacs, Michael Kovacs junior, nach Österreich, wo Sie Ihre Finger im Spiel gehabt haben sollen. Wie stehen Sie heute dazu, wo Sie der Politik endgültig den Rücken gekehrt haben?
Die Entführung war von Kovacs und den Leuten, die hinter ihm standen, inszeniert. Die wollten die Regierung unbedingt zu Fall bringen. Der Sohn von Kovacs wurde in Deutschland von der Polizei gesucht, seine Partner waren im Gefängnis. Er sollte auch in der Slowakei strafrechtlich verfolgt werden, das war schon in Vorbereitung. Kovacs ist nach Österreich gebracht worden; dass das unter Anwendung von Gewalt geschehen sein soll, ist nie bestätigt worden. Der Sohn von Kovacs bekam für seinen Aufenthalt in Österreich aus dem Ausland 100.000 Dollar. Der Präsident hat gewusst, dass sein Sohn in Österreich war. Noch in der Nacht hat er die slowakische Bevölkerung aufgefordert, die Regierung zu stürzen. Ich sehe das anders, als es die Zeitungen geschrieben haben: Das war ein Versuch, die Regierung zu stürzen.
Wenn man ein Bild wählen müsste für das, was 1992 geschah: War es wie eine gelungene Scheidung inklusive Gütertrennung?
Na ja. Die tschechischen Medien haben damals jedenfalls für eine sehr gehässige Stimmung gesorgt, täglich kamen 10 bis 15 negative Nachrichten, die alle nicht wahr waren.
Jetzt ist Trennung in Europa en vogue, Katalanen und Schotten wollen Unabhängigkeit. Können Sie diese Haltung gut verstehen?
Und in den USA sollte die spanischsprachige Bevölkerung einen eigenen Staat haben. Das wiederholt sich immer wieder, ich verstehe das. In Europa kommt es zur Föderalisierung, auch der Brüsseler Gedanke der Regionalisierung geht in diese Richtung. Europa ähnelt heute einem starken Sportler, der sich nicht mehr orientieren kann. Die zentralen Regierungen werden immer schwächer.
Würden Sie sich heute eigentlich als einen überzeugten Europäer bezeichnen?
Auf einer Bertelsmann-Konferenz 1993 habe ich gerufen: Lang leben die Vereinigten Staaten von Europa! Die Reaktion der Leute war: Wer ist das und wer hat den reingelassen? Damals so etwas laut zu sagen, war eine Sünde. Aber unter dem wirtschaftlichen Druck von China und USA bleibt der EU nichts anderes übrig.
Zur Person
Vladimir Meciar wurde 1942 in Zvolen geboren und studierte Jus. Der Amateurboxer war drei Mal Premier und zwei Mal Präsident der Slowakei. Er begann seine politische Laufbahn 1962 in der KP der CSSR, wurde nach dem Prager Frühling aber kaltgestellt. Sein Regierungsstil galt als autokratisch und ist als "Meciarismus" bekannt.