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"Wir konnten kein Risiko eingehen"

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

"Kriegsverbrecher": Ex-Premier wurde für viele Briten zum Feindbild. | Blair weist alle Vorwürfe zurück. | London/Wien. "Tony ins Gefängnis. Blair log, Tausende starben": Eine wütende Menschenmenge war vor dem Eingang des "Queen Elisabeth-II-Konferenzzentrums" in London angetreten, um dem britischen Ex-Premier einen unfreundlichen Empfang zu bereiten. Doch Blair mied die Konfrontation und betrat das Gebäude durch den Hintereingang.


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Als ehemaliger Verbündeter George W. Bushs musste der Labour-Mann am Freitag vor einem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Sieben Jahre nach dem Irak-Einmarsch Seite an Seite mit dem großen US-Bruder sah sich der pensionierte Politiker mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Im Zentrum standen Vorwürfe, wonach er Geheimdienstinformationen über angeblich existierende irakische Massenvernichtungswaffen übertrieben weitergegeben haben soll. Tatsächlich sind im Irak Massenvernichtungswaffen nie gefunden worden. Auch, so der Vorwurf, soll Blair den skeptischen Generalstaatsanwalt vor Kriegsbeginn bedrängt haben, den Krieg als völkerrechtlich zulässig zu bezeichnen.

Sechs Stunden wurde der Ex-Premier von der Kommission "gegrillt", sechs Stunden war ihm kein Schuldeingeständnis zu entlocken. Nach 9/11 - Blair hob die Anschläge immer wieder als Wendepunkt hervor - habe es keine andere Möglichkeit gegeben, als Saddam Hussein zu entwaffnen oder zu stürzen. Damals seien 3000 Menschen gestorben, zweifels-ohne hätten die Attentäter "auch 30.000 Menschen getötet, wenn sie dazu in der Lage gewesen wären", so Blair. Man habe im März 2003 den Krieg gestartet, um einen weiteren Terrorangriff zu verhindern.

"Deutliche Hinweiseauf versteckte Waffen"

Das Risiko, dass Saddam Hussein seine Bestände an Massenvernichtungswaffen wieder aufbaue, sei groß und die Politik der friedlichen Eindämmung der irakischen Gefahr nach 9/11 nicht mehr aufrecht erhaltbar gewesen, so Blair. Der Diktator habe danach getrachtet, ein Arsenal an Massenvernichtungswaffen aufzubauen.

Im Dezember hatte der Ex-Premier noch mit der Aussage für Empörung gesorgt, er hätte sich auch ohne das Argument der Massenvernichtungswaffen für den Krieg im Irak entschieden. Jetzt sagte Blair, dass es deutliche Hinweise darauf gegeben habe, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen versteckt gehalten hätte. Zwar wäre klar gewesen, dass es keine direkte Verbindung Saddams mit der Al Kaida gegeben habe. Dennoch sei das Risiko, dass irakische Massenvernichtungswaffen in die Hände der Terrororganisation geraten könnten, als beträchtlich einzustufen gewesen.

Der Ex-Premier wirkte anfangs nervös, dann zunehmend entspannt. Das hatte Gründe, denn immerhin stand Blair nicht vor Gericht, wie der Vorsitzende des Ausschusses, John Chilcot, gleich eingangs betonte. Blair, der ohne einen Eid abzulegen aussagte, muss eine Verurteilung nicht befürchten. Kritiker bezeichnen das Verfahren deshalb als Augenauswischerei. Tatsächlich handelte es sich in erster Linie um ein großes Medien-Spektakel, die BBC und andere TV-Kanäle übertrugen live. Im Publikum saßen Angehörige britischer Soldaten, die im Irak-Krieg ums Leben gekommen sind. Insgesamt sind 179 britische Militärangehörige gefallen.

Den Vorwurf, den britischen Generalstaatsanwalt gegen dessen Willen gedrängt zu haben, den Krieg als legal darzustellen, wies Blair wie alle anderen Vorwürfe von sich. Fehler gestand Blair im Bereich der Planung für die Zeit nach der Invasion ein. Mit dem heutigen Wissen hätte man die Situation gewiss anders einschätzen müssen.

Ob Tony Blair die Briten mit seinem Auftritt überzeugt hat, ist zu bezweifeln. Immerhin wurde der Ex-Premier in den vergangenen Jahren für viele Landsleute zum Feindbild. Eine große Zahl an Briten hält ihn mittlerweile für einen Kriegsverbrecher. Der Ärger schaukelte sich weiter hoch, weil der 56-Jährige seit seinem Abtritt als Premierminister im Juni 2007 zahlreiche Jobs bei Banken und Unternehmen angenommen hat, die ihm Millionen einbringen.