Künstler stemmen sich gegen Einschüchterung durch Islamisten.
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"Alle erzählen schreckliche Sachen, aber nur vom Hörensagen. Keiner war dort", posaunt der Hauptdarsteller des Theaterstücks "Blickackte" von der Bühne des Theaters Drachengasse in Wien. Die Rede ist von der kriegsgeplagten Hauptstadt Somalias, Mogadischu. Jabril Abdulle hingegen war nicht nur dort, er lebt zumeist in Mogadischu. Am Montag nahm er die Premiere des Stücks, in dem die Geschichte des Nationaltaltheaters Somalias eine wichtige Rolle spielt, als Anlass für einen Besuch in Wien. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm über die Rolle der Kultur in Somalia, den Aufbau der Zivilgesellschaft und die Zukunftsaussichten des Landes am Horn von Afrika, in dem islamistische Milizen eine schwache Zentralregierung bekämpfen.
"Wiener Zeitung":Sie waren maßgeblich an der Wiedereröffnung des Nationaltheaters in Mogadischu beteiligt. Wie wichtig ist diese Institution für Somalia?Jabril Abdulle: Überaus. Die Anfänge waren schwierig, viele Menschen meinten, wir hätten andere Probleme als ein Theater. Kultur ist aber ein sehr schlagkräftiges Instrument, wenn man Bürgern Macht geben will. In Mogadischu wurden das Nationalmuseum, die Nationalbibliothek und das Nationaltheater zerstört. 21 Jahre lang hat das niemanden gekümmert, aber wir haben gemerkt, dass etwas fehlt. Als das Nationaltheater dann schließlich seinen Dienst wieder aufnahm, schöpften die Menschen das erste Mal wieder Hoffnung und begannen, an eine Wende zu glauben.
Gibt es einen regulären Spielplan?
Nein. Das Nationaltheater ist noch nicht in einer Art renoviert, dass man regulär Aufführungen durchführen könnte. Es gibt noch kein Dach und keine Stühle, die müssen die Besucher selbst mitbringen. Aber zumindest gibt es eine Bühne und die Menschen haben den Wert des Theaters bereits erkannt. Die letzte Performance war zu Neujahr und 1000 Menschen kamen! Das ist ein Zeichen der Begierde der Menschen auf Kultur. Stellen Sie sich das vor - sie sagen den Menschen: "Kommen Sie zu uns ins Theater, aber bringen Sie ihre eigenen Stühle mit." Wir können, weil es keinen Strom gibt, auch keine Abendvorführungen machen, daher beginnen wir um 16 Uhr. Sobald die Renovierungen erledigt sind - das wird aber noch dauern, die Finanzierung fehlt -, soll aber regelmäßig gespielt werden.
Man kann sich vorstellen, dass die radikalislamischen Milizen wie Al-Shabaab und Al-Kaida, die Somalia plagen, keine Kulturfreunde sind. Erhalten Sie Drohungen?
Ja. Als das Theater eröffnet wurde, machten sich die Radikalen in Somalia große Sorgen. Sie nannten es das "Haus des Bösen", wir hingegen nennen es Haus der Inspiration und der Hoffnung, des Ausdrucks dessen, was wir sind. Die Radikalen wussten schon, dass die Bekämpfung des Nationaltheaters für sie schwieriger und schmerzvoller sein würde als der Kampf gegen eine berechenbare Armee. Das Theater und sein Tun entziehen sich ihrer Kontrolle, denn die dort produzierte Kultur landet auch in den Heimen der Somalier. Es gab bereits drei Mordanschläge, der Direktor des Nationaltheaters kann sich nicht frei bewegen, wir leben alle in Angst. Aber in einer sehr seltsamen Angst - einer fröhlichen, denn wir wissen, dass wir Gutes schaffen.
Alle Vorstellungen sind gratis, die Künstler erhalten kein Gehalt, nur kleine Anreize, etwa dass sie das musikalische Equipment nutzen können. Für die Künstler ist alleine die Rückkehr zu ihrer Tätigkeit und der Respekt der Öffentlichkeit eine große Sache, da denken sie noch gar nicht an ein Gehalt. Leider müssen viele von ihnen auf der Straße um Essen betteln.
Wie sieht das tägliche Leben in Mogadischu aus, die Sicherheitslage?
Es verändert sich leicht zum Besseren, man kann sich etwas mehr bewegen. Mogadischu ist aber nach wie vor ein hartes Pflaster - man kann nicht einfach am Nachmittag auf einen Kaffee gehen, und schon gar nicht am Abend. Es gibt keine Polizei, keine Abendunterhaltung wie etwa Kinos. Das in einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern!
Kann man von einer aktiven Zivilgesellschaft sprechen?
Sie taucht langsam wieder auf, ist aber noch sehr schwach und verletzlich. Die traditionellen Älteren, Journalisten, Künstler, die gebildete Klasse - sie melden sich langsam zurück. Der Großteil der somalischen Intelligenz hat ja das Land verlassen.
Welche weiteren positiven Entwicklungen beobachten Sie?
Die somalische Diaspora beginnt zurückzukehren, das ist sehr positiv, denn das belebt auch die Wirtschaft, da sie investieren. Zudem interessieren sich andere Länder an Somalia, wie etwa die Türkei. Auch einige Ölfirmen kehren nach Somalia zurück, die Büros in Mogadischu eröffnen, etwa Shell oder Total. Die Amerikaner matchen sich mit den Chinesen um Explorationen. Dieses Interesse wird von den Menschen in Somalia zumeist als positiv gewertet. Nicht zuletzt sind die Somalier stolz auf die im September erfolgreich durchgeführten Wahlen, auch wenn die Regierung bisher kaum Erfolge vorweisen kann.
Wo liegen die Herausforderungen?
Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass fast 70 Prozent der Somalier unter 30 Jahren sind und es für diese Gruppe weder einen Plan der Regierung gibt, noch Mittel zur Verfügung stehen. Zudem haben wir neben den radikalen religiösen Gruppen noch Warlords und Piraten, die zur Instabilität beitragen und ein Interesse an einer schwachen Zentralregierung haben. Und nicht zuletzt hemmt das in Somalia vorherrschende Wirtschaftssystem, das auf Krieg aufgebaut ist, die Entwicklung.
Ist ein innersomalischer Versöhnungsprozess in Sicht?
Die Regierung sagt, dass vor einer Versöhnung Al-Shabaab erst geschlagen werden muss. Bloß - wie lange wird das dauern? In Somalia wird seit so vielen Jahren gekämpft. Das Böse aus den Somaliern herauszubekommen wird nicht einfach, dazu reichen Waffen alleine nicht aus. Es muss ein bestimmtes Niveau an Versöhnung geben, und es muss klar sein, was etwa mit Menschen geschehen soll, die Al-Shabaab verlassen wollen.
Zur Person
Jabril Abdulle
ist der Leiter des Center of Research and Dialogue of Somalia in Mogadischu. Dieses dient der Förderung von Demokratie durch die Ermutigung und Unterstützung von Bürgern, an friedlichen Entscheidungsfindungsprozessen teilzunehmen.
Das mit dem Jurypreis des Nachwuchs-Theater-Wettbewerbes 2012 ausgezeichnete Theaterstück "Blickakte" wird im Theater Drachengasse noch Di-Sa bis 2. Februar 2013 um 20 Uhr aufgeführt.
Link: drachengasse.at