Expertin Gelbmann im Interview über Nachhaltigkeit in Österreich.
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"Wiener Zeitung": "Wenn alle so leben würden wie die Österreicher, bräuchte es drei Planeten", haben die Grünen im Vorfeld von Rio+20 erklärt. Ist das überdramatisiert oder können Sie das so unterschreiben?Ulrike Gelbmann: Weder noch. Hier geht es um die Frage des ökologischen Fußabdrucks, und die ist wissenschaftlich schwer zu interpretieren. Tatsache ist aber, dass wir Österreicher in Sachen Nachhaltigkeit definitiv über unsere Verhältnisse leben.
In welchen Bereichen?
Im Bereich der individuellen Mobilität - also beim Autofahren - nehmen wir zu viele ökologischen Kapazitäten in Anspruch. Das gilt auch für den Wohnkomfort: Wir konsumieren hier überproportional viel zum Beispiel für Heizen und Warmwasser.
Es gibt aber doch viele Förderungen für Althaussanierung, Pelletsheizungen oder Solarkraftwerke.
Wir verbrauchen aber bei weitem noch zu viel. Mit Sanierungen oder dem Umstieg auf biogene Kraftstoffe kann man zwar sehr viel einsparen. Aber wir verbrauchen ja auch immer mehr.
Aber bedeutet nicht wirtschaftlicher Fortschritt automatisch einen Mehrverbrauch an Ressourcen?
Es gibt schon sehr viele Technologien und Überlegungen, mehr aus den Ressourcen herauszuholen. Trotzdem liegt zum Beispiel der Wirkungsgrad von einem modernen Kohlekraftwerk bei 30 Prozent. Ähnliches gilt in der Abfallwirtschaft: Wir sind so stolz darauf, Trennweltmeister zu sein - Österreich liegt hier gemeinsam mit Belgien europaweit an der Spitze - aber bei der "thermischen Verwertung", also Müllverbrennung, geht viel Energie verloren. Es passiert viel in dem Bereich, aber auch unglaublich viel Blödsinn. Zum Beispiel werden aus Nahrungsmitteln Bioplastiksackerl und Einweggeschirr produziert, während eine Milliarde Menschen hungert. Nachhaltigkeit kann man eben nicht nur an ökologischen Kriterien festmachen. Sie muss auf drei Säulen aufbauen: Neben der ökonomischen und der Umweltkomponente muss man auch die soziale Komponente mitdenken. Die Rio-Dokumente sehen Nachhaltigkeit in allererster Linie als Gerechtigkeitskonzept und nicht nur als Ökologisches.
Wie ist dieses Dilemma zu lösen?
Das Hauptproblem ist, dass die Nutzung von Energie nicht umkehrbar ist. Ziel muss es sein, Energie besser zur Verfügung zu stellen, ohne dass es Nebeneffekte wie Treibhausgase und atomare Gefahren gibt. Da ist man auf einem guten Weg, aber die Entwicklung läuft sehr langsam.
Sie haben erwähnt, dass Österreich bei der Abfalltrennung sehr gut ist. In welchen Bereichen hinken wir denn hinterher?
CO2-Ausstoß ist ein altbekanntes Problem. Das ist ein globales Phänomen, aber Österreich wird die Kyotoziele massiv verfehlen. Sehr gut steht Österreich aber bei den sozialen Zielen da. Das Land gilt als eines der Länder mit dem höchsten Lebensstandard, auch wenn die Schere in Sachen Verteilungsgerechtigkeit aufgeht.
Was kann Österreich in Rio tun?
Der politische Einfluss Österreichs in der Welt ist enden wollend. Das Land kann gar nichts direkt bewirken, aber es geht darum, sich hinter Ziele wie mehr Nachhaltigkeit zu stellen. Auch muss der technologische Ausbau in Bezug auf erneuerbare Energien vorangetrieben werden.
Sehen Sie realistische Chancen, dass am Ende des Gipfels verbindliche Ziele stehen?
Nein. Denn es fehlt das Commitment. In Österreich schaffen wir es ja auch nicht, zum Beispiel eine Verwaltungsreform umzusetzen, weil immer jemand draufzahlt. Genauso wird es in Rio sein. Sowohl die großen reichen Länder wie auch jene, die in Nachhaltigkeitsbelangen Defizite haben, werden kein wirkliches Interesse an einer Lösung haben. Aber auch das ist zum Teil legitim: Warum sollten sich die Chinesen mit einem niedrigeren Lebensstandard begnügen als wir das tun, wenn wir nicht im Stande sind, etwas Vernünftiges vorzuleben? Das Problem ist, dass die weltweite Verteilungsgerechtigkeit nicht einmal annähernd erreicht ist. Und diese Verzerrung wird den Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit immer hemmen.
Zur Person
Ulrike
Gelbmann
Die studierte Betriebswirtin ist Expertin für Abfallmanagement am Institut für Systemwissenschaften, Innovations- & Nachhaltigkeitsforschung der Karl Franzens Uni Graz.