"Ich sehe die kulturelle Vielfalt als Chance, nicht als Problem für alle Schülerinnen und Schüler", so Maria Hauer, Lehrerin am BRG Waltergasse, Wien 4, im Interview mit der "Wiener Zeitung". Diesen Grundsatz hat Hauer auch in die Tat umgesetzt. Sie rief den österreichweit bisher einzigartigen Schulversuch "Interkulturelle Kommunikation" ins Leben, um den Schülerinnen und Schülern, die aus allen Teilen der Erde in ihrer Klasse zusammengekommen zu sein scheinen, zu helfen. Die Kinder sollen über ihre eigene Identität, über Toleranz, Vorurteile und kulturelle Vielfalt möglichst viel erfahren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Angesichts eines schönen Herbstnachmittags ist die Aufmerksamkeitsschwelle der etwa 20 Jugendlichen einer 3. Klasse, die am Schulversuch "Interkulturelle Kommunikation" teilnehmen, zunächst gering. Ihnen wird die Aufgabe gestellt, sich über diverse Metropolen in der Welt zu informieren und vor allem die baulichen, klimatischen und kulturellen Unterschiede herauszuarbeiten. Erstaunlich schnell senkt sich der Lärmpegel und die Schülerinnen und Schüler vertiefen sich in die Lektüre.
Viele von ihnen scheinen wirklich interessiert zu sein an der Aufgabenstellung. In vorangegangenen Stunden haben die Kinder an Spielen gearbeitet, die etwa Fragen über verschiedene Länder beinhalten oder sich mit kultureller Identität im Allgemeinen beschäftigen.
Eines der wichtigsten Medien in der Vermittlung interkultureller Kommunikation ist für die Lehrerin Kunst. Eine Ausstellung von Arbeiten der Kinder zum Thema Identität konnte vor kurzem im Südbahnhof bewundert werden. Eines der ersten interkulturellen Projekte, das von ihr gestartet wurde war gemeinsames Trommeln aller Schüler mit einem afrikanischen Musiker.
Melanie und Jelena erläutern der "Wiener Zeitung", dass im Schulversuch "Interkulturelle Kommunikation" vor allem über die verschiedenen Kulturen gesprochen wird. Marjam, Marija, Michaela und Lily an einem anderen Tisch erklären das genauer: "Wir lernen, dass man zusammenarbeiten soll." "Dass man andere nicht ausschließen soll." "Und nicht auf sie schimpfen." "Wir lernen, andere zu tolerieren." Alle sind sich einig, dass die Unterrichtsstunde "Interkulturelles Lernen" eine gute Sache ist. "Es gibt halt schon immer wieder Streitereien", so eine der Schülerinnen.
"Ich hätte so nicht weiter unterrichten können"
An österreichischen Pflichtschulen liegt der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch laut Statistik bei etwa 38 Prozent, in den AHS bei etwa 16 Prozent.
Als Maria Hauer eine erste Klasse am BRG Waltergasse in Geographie zu unterrichten begann, stellte sie fest, dass 50 Prozent der anwesenden Kinder Deutsch nicht als Muttersprache hatten, oder dass zumindest von und mit den Eltern zu Hause eine andere Sprache gesprochen wurde.
"Ich hatte Schülerinnen und Schüler aus 11 Nationen", schildert Hauer. Verteilt über den ganzen Erdball. Aus China, Persien, der Türkei, und vielen anderen Ländern. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Migrantenkinder aus schwierigen Familienverhältnissen kommen. Elternteile sind getötet worden oder sie mussten im Heimatland zurückbleiben. Probleme waren so vorprogrammiert.
"Ich hatte zum Beispiel ein Kind aus Bosnien und eines aus Serbien", erzählt Hauer. "Von den zwei Kindern, deren Eltern aus Ägypten stammen, hatte eines koptisches Bekenntnis und das andere war islamischen Glaubens". Die Lehrerin bestätigt auch, dass sie zu Anfang sehr mit Rassismus unter den Schülerinnen und Schülern, aber auch unter den Eltern zu kämpfen hatte. "Ich hätte so auf keinen Fall weiter unterrichten können."
Durch die schwierigen Voraussetzungen kam der Lehrerin die Idee, eine unverbindliche Übung für interkulturelle Kommunikation einzurichten. Dort sollten die Schülerinnen und Schüler die jeweils anderen Kulturen kennen und respektieren lernen. Vor allem aber sollten sie zunächst über ihre eigene Kultur Bescheid wissen. "Ohne eigene Identität ist es schwierig mit anderen auszukommen", so Hauer.
Doch ein Freifach war ihr zu wenig. Fünf Monate lang bereitete die engagierte Lehrerin den Antrag, "Interkulturelle Kommunikation" als einen Schulversuch einzurichten, vor. Durch persönliche Beziehungen zur Universität Wien und zum Ludwig-Boltzmann-Institut erreichte sie auch akademische Unterstützung. Das Projekt wird nun vom Ludwig-Boltzmann-Institut evaluiert. Außerdem erhalten betroffene Lehrerinnen und Lehrer eine Kurzausbildung vom Pädagogischen Institut und der Universität Wien zum interkulturellen Lernen.
Das Hauptproblem war die Finanzierung, denn Schulversuche müssen kostenneutral sein und für einen derart betreuungsintensiven Unterricht brauchte Hauer Unterstützung von Lehrerinnen oder Lehrern, am besten von solchen, die in interkulturellem Lernen ausgebildet sind.
Kaum Unterstützung für AHS-Lehrer
Interkulturelles Lernen ist laut dem Lehrplan eines der didaktischen Ziele für die Unterstufe der AHS. Allerdings gibt es kaum Unterstützung für die Lehrer und Lehrerinnen, die dieses pädagogische Instrument nutzen wollen.
Im Pflichtschulbereich, also Volks- und Hauptschulen, wird laut Hauer wienweit Deutschunterricht für Schüler und Schülerinnen, deren Eltern nicht Deutsch sprechen oder die selbst noch nicht sattelfest in der Sprache sind, angeboten.
Lehrerinnen und Lehrer an Volks- und Hauptschulen erhalten mittlerweile auch eine Zusatzausbildung für interkulturelles Lernen und es gibt Geld für Begleitlehrer, berichtet Hauer. "Im AHS-Bereich gibt es das gar nicht." Doch der Trend zeige, dass immer mehr Migrantenkinder eine Allgemeinbildende Höhere Schule besuchten - "vor allem im vierten Bezirk", weiß die Lehrerin aus eigener Erfahrung.
Zur Erreichung ihres Ziels, "Interkulturelles Lernen" als Schulversuch einrichten zu können, wandte sich Hauer an eine Pflichtschule in der Schäffergasse, die gerade das Projekt "Kooperative Mittelschule" eingeführt hat. Dabei suchen sich Schulen einen Kooperationspartner. Im diesem Fall besteht die Kooperation darin, dass die Schäffergasse dem BRG zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer für die unterstützende Betreuung des Schulversuchs zur Verfügung stellt.
So konnte dieses Schuljahr der Schulversuch starten. Doch wie Hauer selbst sagt, hätte sie das alles ohne persönliche Kontakte und vor allem ohne Vorkenntnisse in der Öffentlichkeitsarbeit nicht geschafft.
Die Arbeit beginnt erst - mit einem Fest
"Die Schulen werden autonomer, aber die Lehrerinnen und Lehrer sind für viele Sachen, um die sie sich kümmern müssen, nicht ausgebildet", erläutert Hauer. So etwa für Öffentlichkeitsarbeit und Spendenakquisition. Genau das ist es aber, was sie für die Aufrechterhaltung ihres Schulversuchs tun muss.
Ende Oktober feierte das BRG Waltergasse den Start des Schulversuchs mit einem großen multikulturellen Fest. "Von Rappern über türkische Tänzerinnen bis hin zu afrikanischen Trommelrhythmen gab es da alles. Auch ein internationales Buffet", so Hauer. Alles wurde aus Spenden und durch die Mithilfe von Eltern und Schülern finanziert. "Mittlerweile unterstützen mich Eltern, die vorher sehr negativ eingestellt waren", erzählt die Lehrerin nicht ohne Stolz.
Ihr nächstes Großprojekt ist die Planung einer Reise in ein islamisches Land. Dabei sollen die Kinder vor Ort die Lebensgewohnheiten in einer anderen, aber unter Umständen auch in der eigenen Kultur erleben.
Die interkulturelle Kommunikation in der Waltergasse endet jedoch nicht in der einen Stunde, die wöchentlich für den Schulversuch zur Verfügung steht. "Wir versuchen, die Idee der interkulturellen Kommunikation in alle möglichen Fächer miteinzubeziehen", so Hauer. Nach anfänglicher Ablehnung durch einige Kollegen seien mittlerweile schon andere Lehrerinnen und Lehrer bemüht, interkulturelles Lernen zu forcieren.
Sie selbst macht das im Geographieunterricht. So bemüht sie sich etwa, das Vorwissen der Kinder um ihr Herkunftsland miteinzubeziehen. Allerdings stehen ihr für dieses Fach nach der Stundenkürzung auch nur mehr 50 Minuten pro Woche zur Verfügung. Dabei könnte gerade hier über Globalisierung und Interkulturalität viel unterrichtet werden, ist die Lehrerin überzeugt.