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Pieter Spinder hat in Amsterdam mit "Knowmads" eine Handelsschule gegründet, die Spiritualität, Kreativität und Gewerbe verbindet. Im Gespräch erläutert er, wie das funktioniert.
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"Wiener Zeitung": Herr Spinder, wie kommt man darauf, seine eigene Schule zu gründen?Pieter Spinder: Vor zwanzig Jahren leitete ich an einer Fachhochschule einen Marketingkurs mit 320 Overheadfolien und einer Beschreibung, wann, welche Folie aufzulegen ist. Als ich die vielen traurigen, abgekapselten Studenten sah, wusste ich, dass ich einen alternativen Bildungsweg entwickeln musste. Ich bat meine Studenten, das Lehrbuch selbst zu lesen und entschied, die Gruppe zu meinen Firmenklienten zu führen, um dort Marketing praxisnah zu erleben. Da allerdings nur vier Prozent der Studenten die Prüfung schafften, wurde mein Vertrag nicht verlängert.
Zwei Monate später teilte mir der Institutsvorstand mit, dass ich auf einer Skala von 1 bis 10 mit 8,7 bewertet wurde. Da das normalerweise mit guten Noten einhergeht, konnten sie sich das nicht erklären. Schließlich boten sie mir an, eine Bildungsreform an ihrer Hochschule durchzuführen. Dadurch entdeckte ich alternative Systeme außerhalb der Bildungsnorm, wie etwa das dänische Projekt "KaosPilots". 2007 trat ich dem Schwesterprojekt in Rotterdam bei und arbeitete dort zwei Jahre als Lektor und Teamleader. Als "KaosPilots" in Dänemark ein offizieller Bildungsweg wurde, beendeten wir unser Programm in Rotterdam.
Warum?
Wir wollten kein regulärer Lehrgang sein, da Kreativbildung nur funktioniert, wenn man die Studenten ins Zentrum rückt. Die Universitäten behaupten, die Studenten seien im Zentrum, aber dann stopfen sie ihnen ein fertiges Programm nach dem anderen in den Rachen. Mein Sohn brachte mich darauf, meine eigene Schule zu gründen. Ich nahm eine zusätzliche Hypothek auf mein Haus auf und startete im August 2009 mit einem Blatt Papier, auf dem nur "Knowmads" stand. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte.
Fürchteten Sie zu Beginn, es würden sich nicht genügend Kandidaten finden?
Nein, da das Kernteam aus ehemaligen "KaosPilots" bestand, die den Drang verspürten, eine neue Form von Bildung in die Welt zu setzen. Es gab also jede Menge Schwung. Außerdem bin ich kein ängstlicher Typ. Wir planten ursprünglich für 35 Studenten - und letztlich waren es nur ein Dutzend im ersten Tribe. Wären es zehn gewesen, hätten wir das Projekt aufgrund unserer finanziellen und inhaltlichen Kalkulationen abgebrochen. Heute sind wir bei Tribe 11 mit zwanzig Studenten angelangt.
Wie definieren Sie "Knowmads"?
Der Begriff "Knowmads" wurde von John Moravec geprägt und bezeichnet Leute, die keinen fixen Platz brauchen, um zu lernen und zu arbeiten. Echte Nomaden lernen überall und bauen auf das Gelernte, wo immer sie auch hingehen. Vielleicht sind wir technisch gesehen Nomaden, aber wir sind auch ein bisschen "mad", also verrückt. Wir geben unseren Studenten einen Schlüssel und sagen: "Das ist euer Gebäude, kreiert euer eigenes Lernumfeld." Das geht an der Universität mit zigtausenden Studenten natürlich nicht.
Was bedeutet der Slogan "Welcome Home"?
Wenn du in einer Gemeinschaft etwas lernen möchtest, brauchst du einen Ort, wo du dich wohl und sicher fühlst. Knowmads versucht diesen Raum zu schaffen, damit die Studenten einen natürlichen und keinen wettbewerbsorientierten Weg gehen. "Welcome Home" bedeutet: "Du bist gut genug, wenn du zu uns kommst." Im regulären Bildungsweg ist man das nicht, darum wollen sie dich ja auch ständig verbessern. Bei Knowmads finden wir heraus, wer die Leute wirklich sind und wer sie gerne sein möchten. Was ist deine Geschichte - und welche Geschichte möchtest du in die Welt hinaustragen? Und wie können wir dir dabei helfen?
Wie läuft ein Studienjahr bei Knowmads ab?
Es beginnt mit einer mehrwöchigen Teambuilding-Phase. Danach fordern wir die Leute heraus, basierend auf dem, was sie bereits gelernt haben in ihrem Leben - und damit meine ich nicht in der Schule oder an einer Uni. Was war brauchbar und was nicht? Und dann kommt das Schwierigste: das Verlernen oder Umlernen diverser Muster. Da fließen oft Tränen und es braucht jede Menge spirituelles und persönliches Coaching. Danach beginnt die Lernphase, die für manche einen Monat, für andere sieben Monate dauert. Wir stellen Fragen wie "Wer bist du?", "Wo willst du hin?" usw. und ermöglichen Workshops, abhängig davon, was die Studenten brauchen und machen wollen, sei es Social Media, Crowdfunding oder Gewaltfreie Kommunikation.
Welche Menschen besuchen Knowmads?
Die Studenten sind zwischen 19 und 35 Jahre alt und kommen aus der ganzen Welt, von Korea bis Brasilien. Manche haben bei großen Unternehmen wie Apple oder der Europäischen Union gearbeitet, andere in kleinen Familienbetrieben oder an Universitäten. Sie alle haben sich irgendwann die gleiche Frage gestellt: "Ist das nun mein Leben oder wartet da draußen noch etwas anderes auf mich?" Es gibt drei Menschentypen, die zu uns kommen. Erstens: "Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber das reguläre Bildungssystem ist nichts für mich." Zweitens: Menschen, die den regulären Weg gegangen sind und/oder noch oder bereits arbeiten. Sie fühlen sich im System verloren. Und drittens: Leute, die ihre eigene Idee anwenden und in die Welt bringen wollen, auf eine alternativ-unternehmerische Art.
Ihre Studenten entscheiden selbst über den Stundenplan. Wie sieht das in der Praxis aus?
In einem 12-wöchigen Schnupperkurs bieten wir tageweise Programmhinweise an, beispielsweise über Marketing, Projektmanagement oder Nachhaltigkeit. Nach diesen zwölf Wochen diskutieren wir mit den Studenten, wo sie sich eine Vertiefung wünschen, um ihre Projekte voranzutreiben. So bekommen sie einen Vorgeschmack und können abschätzen, welches Wissen benötigt wird, um die persönliche Entwicklung, aber auch die Gruppenentwicklung voranzutreiben.
Anstelle eines Abschlusszeugnisses erhält man bei Knowmads auf Wunsch eine Tätowierung. Was nehmen die Absolventen noch mit?
Wenn du nach dem Jahr weißt, dass du gut genug bist, hast du gewonnen. Das ist das Entscheidende. Mit diesem Wissen als Ausgangspunkt wirst du es überall in der Welt schaffen. Manchmal funktionert das - und manchmal auch nicht.
Sind 7000 Euro und ein Jahr nicht ein hoher Preis, um sich selbst zu finden?
Im Idealfall wäre Bildung frei, aber wir können keine Schule führen, die kostenlos ist. Wenn man uns mit anderen demokratischen Schulen vergleicht, sind wir sogar günstig. An der Fachhochschule frage ich die Studenten, ob sie ihr Studium wirklich mögen, woraufhin nicht mehr als 25 Prozent von ihnen die Hände heben. Dann sage ich zu den anderen 75 Prozent: "Ihr investiert rund 50.000 Euro und mindestens vier Jahre eures Lebens für ein Studium, das ihr eigentlich nicht so richtig machen wollt." Ist es also viel Geld oder nicht, 7000 Euro in sich selbst zu investieren, um herauszufinden, wer man ist und was man wirklich aus seinem Leben machen möchte?
Die Gebühren inkludieren ja nicht nur die Lektoren, das Gebäude und Exkursionen, sondern die Studenten bekommen auch einen Teil davon zurück, um damit selbst zu entscheiden, welche Kurse sie haben möchten. An der Uni zahlst du Studiengebühren und wirst in ein bestehendes Programm gesteckt, wo dich niemand fragt, ob es dir gefällt oder nicht.
Können die Studenten während des Studiums durch Projektarbeiten auch Geld verdienen?
Es geht bei Knowmads mehr ums Lernen als ums Verdienen, aber das eine schließt das andere natürlich nicht aus. Viele Studenten arbeiten nebenbei und versuchen ihr Wissen in die Welt zu bringen. Verschiedene Firmen beauftragen uns, Marketing- oder Nachhaltigkeitspläne zu erstellen, da sie hier einen großen Pool an unterschiedlichen Hintergründen, diversen Fähigkeiten, Wissen und Lebenserfahrungen vorfinden. Das ist für Firmen äußerst interessant. Nach drei Jahren habe ich "Knowmads Greenhouse" gegründet, einen Ausgangspunkt für Absolventen, die in die Welt des Unternehmertums hinaus wollen. Heutzutage braucht es viel Kreativität, um seinen Weg und ein Geschäftsmodell zu finden, die zu einem passen und funktionieren. Letzten Endes müssen wir auch als Knowmads mit Geld bezahlen.
Oft hört man, dass das Bildungssystem veraltet ist. Wie kann Bildung fruchtbarer gestaltet werden?
Sowohl wir als auch 175 Schulen weltweit, die ähnlich funktionieren, versuchen aufzuzeigen, dass es noch etwas anderes gibt als das existierende System, das wie eine Excel-Tabelle funktioniert. Sobald die Klassentür geschlossen ist, kann man tun, was man will, auch wenn es einen Folder gibt, der ein Programm vorschreibt. Die Studenten werden einen dafür lieben und begeistert mitmachen. Auch innerhalb des Bildungssystems gibt es Menschen, die Veränderung wollen. Das Probem dabei ist, dass Studenten in diese Excel-Tabellen gepackt werden, da viele Institute unsicher sind und dadurch die Kontrolle über alles haben.
Wäre Knowmads ein geeignetetes Universalsystem?
Es gibt uns in Amsterdam, in Hanoi, in Berlin, in Sevilla, bald auch in Italien und Argentinien. Überall herrschen unterschiedliche Bedingungen, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Energien und unterschiedliche Wege, wie man an Dinge herangeht. Mein Freund Jacob Hecht hat in Israel demokratische Schulen eingeführt. Bald schon hat ihn der Bildungsminister gefragt, ob er nicht seinem Team beitreten möchte, um alle israelischen Schulen in einen demokratischen Bildungsweg umzufunktionieren. Jacob zögerte und dachte: "Damit ersetze ich ein System mit einem anderen System. Nur, ist dieses System geeignet für alle?" Viele demokratische Bildungswege wurden irgendwann reguläre Systeme, aber das ist nicht unser Ziel.
Warum gibt es heutzutage viele junge Menschen, die sich verloren fühlen und nicht wissen, was sie mit ihrem Leben tun sollen?
Der Bildungsreformer Ivan Illich hat bereits in den 1970er Jahren gesagt, dass Universitäten dich glauben lassen, dass die Welt so ist, wie sie ist - ähnlich wie bei Werbefirmen. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was die Jugend sieht, und was ihnen präsentiert wird. Sie sehen, dass die Welt den Bach hinuntergeht und gleichzeitig werden sie im Bildungssystem in eine Seifenblase gesteckt, wo nach einem völlig weltfremden Lehrbuch unterrichtet wird. An der Uni sind 75 Prozent der Studenten tatsächlich verloren, erleben es aber nicht so. Junge Menschen, die nicht über ihr Wissen, Verlangen und Sein mächtig sind. Meiner Meinung nach sollte Bildung Studenten dazu befähigen und es ihnen ermöglichen, weiter zu gehen als bisher. Aber das passiert nicht.
Was ist der Schlüssel, um sich selbst zu finden?
Das ist bei jedem anders. Unsere Grundidee baut auf dem Dreieck "Hirn, Herz und Hände" auf. Wenn jemand kopflastig ist, bringen wir mehr Herz hinein. Oder wenn es zuviel Handeln gibt, sagen wir, vielleicht braucht es ein bisschen mehr Wissen. Wir schauen also ständig, ob dieses Dreieck gleichschenkelig ist. Jeder wird mit einer Leidenschaft für etwas geboren. Aber durch Bildung und Lebenserfahrungen wird dieses Feuer immer kleiner, bis es nur mehr eine Glut ist. Was wir bei Knowmads machen, ist einmal kräftig in diese Glut hineinzublasen, um das Feuer wieder zu entfachen. Bei uns geht es um Menschen und nicht darum, ein neues Produkt in China auf den Markt zu bringen und das Geld der Chinesen in die eigenen Taschen wandern zu lassen. "Warum will ich das überhaupt?" ist die Frage. Was bringt es der Welt, wenn ich das Produkt X mit dem Kunden Y verbinde?
Wie denken Sie über die Kritik, dass Knowmads eine Gruppentherapie für reiche, verlorene Hippies ist?
Die Tatsache, dass man sich selbst die Zeit nimmt, um herauszufinden, wer man ist und wo man hin möchte, verdient jede Menge Respekt. Es ist viel einfacher, an der Uni einem fixen Studienplan zu folgen, wo man nichts hinterfragen muss und als fertiger Kommerz-Wirtschafter wieder herauskommt. Bei uns eskalieren manchmal Streitigkeiten, denn wenn man an seiner persönlichen Entwicklung arbeitet und gewisse Dinge umlernen oder verlernen muss, geht das einher mit Mühsal und Selbstkonfrontation. Darum geben wir ja auch sehr darauf Acht, was mit jedem Einzelnen in der Gruppe passiert - und wie alle zurechtkommen. Knowmads ist eine Schule fürs Leben - und das ist nicht einfach zu verstehen, darum akzeptiere ich jede Kritik. Ja, man braucht Geld, um hier mitzumachen, aber dennoch konfrontieren wir Menschen mit sich selbst - und das ist hart. Der Großteil der 80 Absolventen sagt, dass Knowmads ihr Leben verändert hat. Das Schöne daran ist, dass sie ihr Leben in Wahrheit selbst verändert haben - ermöglicht durch unsere Hilfe.
Wie weit können Sie und andere demokratische Schulen gegen den Strom schwimmen?
Wir schwimmen gegen die Strömung, aber das tun wir aus freien Stücken. Wenn sich Knowmads langfristig gesehen nicht weiterentwickelt, haben wir etwas falsch gemacht. Wir müssen uns sowohl an die Zeit als auch an die Bedürfnisse der Personen anpassen. Hauptsache, wir berühren die Menschen, oder schaffen es, dass sie sich selbst berühren.
Zu Beginn sagte ich zu meiner Frau: "Das ist alles Mist. Wir haben keinen Einfluss auf die Welt, es sind nur zwölf Studenten, das funktioniert nicht." Und sie antwortete: "Durch Knowmads hast du zwölf Menschen ermöglicht, einen Unterschied in ihrem Leben zu machen. Dadurch werden sie einen Unterschied im Leben zwölf anderer Menschen machen." Vielleicht ist es eine kleine Sache, vielleicht auch eine große - ich weiß es nicht. Oft fragt man uns, wie viel die Absolventen verdienen. In unseren Studien fragen wir lieber: "Bist du glücklich mit dem, was du gerade tust?"
Zur Person
Pieter Spinder wurde 1967 in Friesland geboren. Schon früh dachte er unternehmerisch, indem er Zeitungen auslieferte und bald zum Vertreter großer Tageszeitungen avancierte. Nach einer Handgreiflichkeit mit einem Lehrer musste er die Mittelschule verlassen und besuchte eine Handelsschule. Es folgte ein Marketingstudium, wo er sich fragte, warum seine Kollegen nach Lebenssicherheit suchten – und er nicht.
Danach bereiste er die Welt, arbeitete mit behinderten Kindern und verkaufte gebrauchte Kopiermaschinen. Er gründete eine Marketingfirma, wo er 70 Stunden pro Woche arbeitete, bis sein Sohn geboren wurde und er fortan zwei Jahre als Babysitter verbrachte. In dieser Phase begann Spinders Zeit als Dozent an einer Fachhochschule. 2009 startete er das Projekt "Knowmads", eine Business-School in Amsterdam, in der die Studenten selbst organisieren, was sie lernen.