Zum Hauptinhalt springen

"Wir lernen, während wir segeln"

Von Alexandra Grass

Wissen
© via REUTERS

Welche Folgeschäden Covid-19 mit sich bringt, wird immer absehbarer. Wer wie schwer betroffen ist, wird sich erst zeigen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In erster Linie gilt Covid-19 als Lungenerkrankung. Doch mehren sich die Fälle, in denen Patienten nach einer durchgemachten Sars-CoV-2-Infektion über Beeinträchtigungen berichten, die sich nicht nur auf das Atemorgan beziehen. Hintergrund dafür dürfte sein, dass das Virus auch andere Organe schädigt. Und das kann möglicherweise auch zu langfristigen Folgen führen.

Mit Details zu seinem Befinden ist etwa der Seuchenmediziner Peter Piot, Direktor der "London School of Hygiene and Tropical Medicine" sowie Berater von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mehrfach an die Öffentlichkeit getreten. "Treppensteigen macht mich immer noch atemlos", sagt er etwa in einem Interview mit dem Fachmagazin "Science". Das ist aber nicht die einzige Spätfolge, die ihn noch immer quält, erzählt er auch gegenüber der "New York Times". Ein überschießendes Immunsystem, das versucht, dem Virus Herr zu werden, muss mit Cortison in Schach gehalten werden, um nicht noch mehr Schaden anzurichten. Auch Herzprobleme blieben nicht aus. Und so nimmt Piot Medikamente, um Blutgerinnseln vorzubeugen.

ACE-2 der Schlüssel?

"Manche denken, Covid-19 tötet ein Prozent der Patienten, und der Rest kommt mit grippeähnlichen Symptomen davon. Aber die Geschichte ist viel komplizierter", so der Virenforscher, der bisher seine gesamte Karriere dem Kampf gegen gefährliche Infektionskrankheiten wie HIV oder Ebola verschrieben hat. "Viele Menschen werden chronische Nieren- und Herzschäden davontragen", warnt er.

Die Vermutung kommt nicht von ungefähr und Berichte darüber sind keine Einzelfälle mehr. Dem Problem dürfte ein Eiweiß zugrunde liegen. Der Rezeptor ACE-2 (Angiotensin Converting Enzyme), der an der Oberfläche von Zellen sitzt, ist schon länger im Gespräch und auch als Ziel von Therapien im Fokus. Er macht dem Coronavirus Sars-CoV-2 den Weg ins Zellinnere frei, hatte der Wiener Genetiker und Immunologe Josef Penninger schon Mitte März in der  "Wiener Zeitung"  erläutert. Dort dockt es an den Rezeptor an und tritt gemeinsam mit ihm ein, um sich im Inneren zu vermehren und dort sein Unwesen zu treiben.

Lunge besonders betroffen

"Ich bin mir absolut sicher, dass Sars-CoV-2 auch andere Organe befällt. Wir haben menschliches Organgewebe gezüchtet und können es mit dem Virus infizieren", hatte Penninger berichtet und vor einem Multi-Organ-Versagen als Worst Case gesprochen.

In erster Linie scheint aber die Lunge vorerst verstärkt betroffen zu sein. Besonders auch dann, wenn eine künstliche Beatmung nötig war. Oftmals sei zwar nicht die Lungenfunktion eingeschränkt, doch hätten einige Patienten Probleme, ausreichend Sauerstoff aufzunehmen, betont Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, in der "Zeit". In der akuten Infektionsphase können Millionen Lungenbläschen kollabieren. Die Spuren sind auf CT-Untersuchungen von Infizierten erkennbar.

Ob solche Veränderungen langfristig erhalten bleiben, ist noch nicht klar. Auch nach schweren Lungenentzündungen regeneriert sich das Atemorgan zumeist erstaunlich gut.

Doch mittlerweile gibt es Hinweise, dass das Virus auch dem Herzen, den Gefäßen, den Nerven und den Nieren zusetzen kann. Als Beleg dafür, dass das Herz zu Schaden kommt, dient nicht nur die bei Weitem höhere Mortalität von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck. So gibt es Berichte über Entzündungen in den Blutgefäßen und die Bildung von Blutgerinnseln, die in den Gefäßen stecken bleiben können und dadurch zu Nierenversagen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen führen können. Auch wurden bei Patienten schon kleine Infarkte im Nierengewebe beobachtet.

Aufatmen für leicht Infizierte

Bei mehr als 80 Prozent der Covid-19-Patienten wurde eine Störung des Geschmacks- und Geruchssinn beobachtet. Das kann wochenlang andauern und ist Medizinern zufolge ein Hinweis darauf, dass Sars-CoV-2 auch das Nervensystem angreift.

Aufatmen dürften jene können, die nicht so schwerwiegende Verläufe durchgemacht haben, vermuten die Mediziner. "Wir gehen davon aus, dass die meisten von diesen Patienten die Krankheit sehr gut überstehen", betont Pfeifer. Bei ihnen seien auch keine Spätschäden zu erwarten - so die aktuelle Expertenansicht. Müdigkeit und Abgeschlagenheit können noch wochenlang andauern. Doch sei auch nicht klar, ob die Patienten, weil sie hier mit einer neuen Erkrankung konfrontiert sind, ihre Symptome nur besonders aufmerksam studieren, oder diese Auffälligkeiten tatsächlich Covid-19 zugrunde liegen. Zudem sind auch die Ärzte aktuell besonders hellhörig, was Symptomatiken anbelangt. Wer Folgen mit sich tragen wird, wird sich noch zeigen. "Wir lernen, während wir segeln", beschreibt es Piot.