Präsidentschaftskandidat Benkoussa will Rosskur für Algeriens Wirtschaft.
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Paris. Im April finden in Algerien Präsidentenwahlen statt. Amtsinhaber Abdelaziz Bouteflika, gesundheitlich angeschlagen, hat noch nicht offiziell erklärt, ob er erneut antritt. Sechs Personen haben ihre Kandidatur angekündigt, unter ihnen Kamal Benkoussa.
"Wiener Zeitung": Was ist Ihr politisches Projekt?Kemal Benkoussa: Der Schwerpunkt meines Programms liegt in der Schaffung von Arbeit. Es geht mir auch um eine Diversifizierung der Wirtschaft. Wir brauchen eine Bildungsreform, die es erlaubt, Bürger auszubilden, die wettbewerbsfähig, kreativ und offen gegenüber der Welt sind. Wir brauchen eine bessere Gesundheitsvorsorge. Ich möchte die hohen Nahrungsmittelzuschüsse kürzen und dafür die lokale Produktivität in der Landwirtschaft ankurbeln. Und schließlich müssen wir den Staat als Ganzes renovieren in Sachen Governance, Handlungsfähigkeit der Behörden und Qualität öffentlicher Dienstleistungen. All das gehört auf den Prüfstand.
Ist das nicht sehr ehrgeizig?
Die Ziele meines Programms sind ambitioniert, aber realistisch. Wir wollen in fünf Jahren eine Wachstumsrate von zehn Prozent erzielen, zwei Millionen Arbeitsplätze in regulärer Beschäftigung schaffen, den Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt auf acht Prozent erhöhen sowie den Anteil der Exporte, die nicht aus dem Erdöl stammen, verdoppeln. So können wir die Korruption bekämpfen.
Präsident Bouteflika ist nun seit 15 Jahren an der Macht. Wie fällt Ihre Bilanz seiner Ära aus?
Sehr durchwachsen. Es gab vereinzelt Projekte, etwa im Bereich der Infrastruktur, aber die Wirtschaft wurde nicht entscheidend diversifiziert. Sie hängt immer noch in hohem Maße von den Erdölexporten ab. Das Wachstum speist sich allein aus öffentlichen Investitionen.
Sie meinten in einem Gespräch mit der Zeitung "El Watan", dass der soziale Frieden mithilfe von Subventionen und Postenbeschaffung für Günstlinge "erkauft" werde. Gab es deshalb keinen Arabischen Frühling in Algerien?
Die Algerier haben ein schweres Jahrzehnt im Bürgerkrieg erlebt. Sie möchten nicht, dass die Gewalt wiederkehrt. Das ist gleichsam unser Dilemma: Der Staat kann die Gesellschaft ruhigstellen, aber die Zuwendungen des Staates sind nicht mehr tragbar.
Algerien scheint ein erstarrtes Land zu sein. Staat und Wirtschaft sind eng verflochten.
Ja, das stimmt. Es bewegt sich wenig. Algerien ist ein schlecht geführtes Land, das in einem Rentenmodell gefangen ist. Das hat negative Auswirkungen auf die Regierungsfähigkeit.
Glauben Sie, dass es bei der Präsidentschaftswahl zu einem Erstarken der Islamisten kommt? Bei den Parlamentswahlen 2012 schnitt der "Mouvement de la Société et de la Paix" mit fast 10 Prozent der Stimmen überraschend gut ab.
Ich denke nicht, dass man sich über einen Anstieg des Extremismus in Algerien Sorgen machen müsste. Die Algerier haben ihre Erinnerungen an die 1990er Jahre (die Zeit des Bürgerkrieges, der insgesamt 200.000 Tote forderte). Sie wollen eine Staatsführung, die in der Lage ist, das Land zu modernisieren und auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Der Islam ist Staatsreligion, und die Bevölkerung ist mehrheitlich muslimisch. Doch die überwiegende Mehrheit fordert keine religiöse Moralinstanz, sondern Arbeit, bessere Spitäler und gute Schulen für ihre Kinder. Das hat in meinem Programm Priorität.
Sie fordern internationale Wahlbeobachter. Gibt es eine Garantie, dass die Wahlen im April frei und fair ablaufen werden?
Es ist wichtig, dass die nächste Wahl frei und transparent abläuft. Nur so hat Algerien eine Chance, den Status quo zu überwinden und neues Vertrauen zwischen dem Staat und dem Volk herzustellen. Geschieht dies nicht, wird sich die Fraktur zwischen den Institutionen und der Zivilgesellschaft weiter verschlimmern. Dann ist auch die Zukunft unseres Landes bedroht. Die Gefahr, dass die Wahl nicht demokratisch abläuft, ist reell. Aber wir zählen auf die Intelligenz aller Kräfte.
Zur Person
Kamal
Benkoussa
wurde 1972 in Charleville-Mézières im französischen Département Ardennes geboren. Seine Eltern stammen aus Algerien, sein Großvater fiel im Unabhängigkeitskrieg. 1993 gründete der studierte Finanz- und Wirtschaftsexperte die NGO "Algérie Urgence", die Medikamente an Spitäler in Algerien liefert.