Für Jugendliche wirkt die EU oft unnahbar und bürokratisch. Junge Aktivisten wollen das ändern. Eine Spurensuche.
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Wien. Große Europafahnen wehen im Wiener Wind, kleine Papierfahnen werden an alle Teilnehmer verteilt, eine Fahne wurde sogar in einem Europafahnenworkshop selbst genäht. Es ist warm an diesem ersten Sonntag im März, an dem sich eine Gruppe von ungefähr 40 Europafans vor der Karlskirche zur monatlichen Pulse of Europe Aktion treffen. "What doesn’t kill you, makes you stronger" dröhnt es aus den Boxen, daneben werden an einem Stand Europapässe mit selbstgeknipsten Polaroidfotos ausgestellt. Ein offenes Mikrofon steht zur Verfügung, alle sind eingeladen, ihr Anliegen zum Thema Europa einzubringen. In 180 Städten europaweit finden Veranstaltungen von Pulse of Europe statt.
Mit über 500 Teilnehmern war die Aktion schon besser besucht. Sie stellt einen Versuch dar, parteiunabhängig Europa sichtbar zu machen. Die Teilnehmer wollen auch eines: Europa vorwärtsbringen und verändern. "Dieses Mal wähle ich", lautet der Werbeslogan der aktuellen Kampagne. Bei der Europawahl am 26. Mai, die alle fünf Jahre stattfindet, werden die österreichischen Vertreter für das Europäische Parlament bestimmt. Insgesamt 19 Parlamentarier werden von Österreich nach Straßburg entsandt, sechs Spitzenkandidaten stehen zur Auswahl. Laut einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) wollen immerhin 55 Prozent der österreichischen Jugendlichen "sicher" ihre Stimme abgeben, 30 Prozent "eher schon".
Nini Tsiklauri, Schauspielerin, Initiatorin von Pulse of Europe und Parlamentarierin der Neos, erkennt in ihrem Alltag einen positiven Trend: "Ich sehe, dass mehr und mehr junge Menschen versuchen, sich zu engagieren und darauf aufmerksam zu machen, dass Wahlen wahnsinnig viel bedeuten. Die Demokratie hängt davon ab, dass die Menschen zur Wahlurne gehen. Das allein reicht aber noch nicht aus."
Freilich: Mehr zu machen, als zu wählen, ist nicht gerade leicht. Denn oft wirkt die EU mit ihrem Sitz im fernen Brüssel wie ein großer Apparat, an dem man gerade als junger Mensch nicht heranzukommen glaubt.
Initiativen und Petitionen
Dabei bietet die EU durchaus Möglichkeiten für Personen jedes Alters, sich aktiv einzubringen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Der 26-jährige Dominik J. Berghofer nutzt das offene Mikrofon am Karlsplatz, um für seine Bürgerinitiative zu werben. Mit der in Österreich eingereichten Initiative will er es schaffen, die Empfehlung des Europäischen Parlaments an die Mitgliedsstaaten, den 9. Mai zum gesetzlichen europäischen Feiertag zu machen, auch im österreichischen Parlament zur Diskussion zu bringen. Berghofer sieht die Bürgerinitiative dabei als passendes Instrument: "Sie ist eine Möglichkeit, die wir Bürgerinnen und Bürger haben, unsere Anliegen ans Parlament zu adressieren, wenn Politikern ein Thema egal ist", meint er. Am 9. Mai 1950 hat der französische Außenminister Robert Schuman in einer Rede die Gründung einer europäischen Produktionsgemeinschaft für Kohle und Stahl vorgeschlagen - und damit die Keimzelle der für die heutige EU gelegt.
Auch innerhalb der EU gibt es die Möglichkeit, über Bürgerinitiativen und Petitionen aktiv zu werden. Die Europafans vom Karlsplatz betonen aber auch, wie wichtig es ist, andere Möglichkeiten des Engagements zu nutzen. Nini Tsiklauri, die aus "Die wilden Kerle" oder der beliebten Serie "Schloss Einstein" bekannt ist, meint, dass junge Menschen selbstbewusster und mutiger werden müssen, um für Themen öffentlich einzustehen: "Ich habe angefangen, Zeitungsartikel zu schreiben. Ich habe angefangen, Bücher zu schreiben. Aber mir ist dann aufgefallen, dass all diese Sachen in einer Bubble landen. Wir sind heutzutage alle in einer Filterblase unterwegs. Das ist das Gefährliche. Viele Menschen von außen kriegen diese interessanten EU-Fragen gar nicht mit. Deshalb ist es wichtig, genau diese Leute zu erreichen."
Ein positives Vorbild sei Greta Thunberg, die trotz viel Gegenwind öffentlich für den Klimaschutz kämpft. Auch in Österreich beginnt die nächste Generation durch Demonstrationen wie "Fridays for Future" politisch aktiv zu werden. Aufgewachsen mit sozialen Medien seien sich die Jugendlichen zudem näher und hätten die Mittel, sich zusammenzuschließen, so Tsiklauri. Das müsse man ausnützen: "Wir haben heute diese gute Möglichkeit, miteinander vernetzt zu sein, es ist egal, wo wir wohnen. Wir können mobilisieren, was das Zeug hält."
Martin Herr, der mit seinem Kollegen Vincent Speer die Idee für das Gratis-Interrailticket #DiscoverEU hatte, schrieb das Buch "Tun wir was", ein Appell an junge Menschen, politisch aktiv zu werden. Gegenüber der "Wiener Zeitung" betont er, wie wichtig es ist, sich nicht entmutigen zu lassen: "Es ist natürlich verführerisch, zu sagen, die Welt ist eh schon verdorben, ich zieh mich zurück in mein Kämmerchen und mache mein Ding. Aber es gibt auch die Möglichkeit, zu sagen, es ist nicht alles gut, aber wir sind hier, um es besser zu machen. Wir können uns nicht mehr leisten, uns ins Private zurückzuziehen."
Das Aktivistenduo Herr und Speer begann damit, seine Idee vom Gratis-Interrailticket in Zeitungsartikeln zu veröffentlichen. Als erste Parlamentarier der EU darauf aufmerksam wurden, begann das Duo, persönlich Überzeugungsarbeit für seine Idee zu betreiben. Dabei erlebten die beiden die EU als nahbar, erklärt Herr: "Was uns immer wieder überrascht hat, war die Offenheit der politischen Institutionen und von politischen Akteuren. Die Politik ist genauso auf der Suche nach Antworten wie wir selbst, sie hat auch Fragen wie wir selbst. Die Scheu vor Institutionen, die viele haben, soll uns deshalb nicht daran hindern, an sie heranzutreten."
"Europa wird so nicht überleben"
Von der Notwendigkeit politischen Engagements weiß auch Tsiklauri. Sie erklärt, warum ein Wandel unumgänglich ist: "Wir müssen eine Revolution starten, weil Europa wird nicht überleben, so wie es jetzt ist. Es muss zwar auf diesem Projekt aufgebaut werden. Wir Jungen sind dankbar dafür, was die Gründer geschaffen haben. Dieses geile Projekt ist das Beste, was sie machen konnten. Aber jetzt ist es an uns, daraus etwas Zukunftsfähiges zu basteln. Und ich glaube, dass das möglich ist. Weil ich einfach dieses Strahlen in den Augen sehe von den Leuten, die sich einsetzen."
Future Challenge
Bereits zum dritten Mal veranstaltet die "Wiener Zeitung" den Schüler-Video-Wettbewerb #futurechallenge. Dieses Mal sucht die "Wiener Zeitung" den besten EU-Wahlspot, der auch die größten Skeptiker dazu bringt, bei der EU-Wahl im Mai 2019 teilzunehmen. Zugleich bietet die "Wiener Zeitung" den Leserinnen und Lesern einen Blick auf Europa aus einer dezidiert jungen Perspektive: In einer achtteiligen Serie werden jugendrelevante Europathemen behandelt. Alle weiteren Informationen plus das Video zur Story auf: www.wienerzeitung.at/futurechallenge