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"Wir müssen möglichst viel Kostenwahrheit erzeugen"

Von Simon Rosner

Klimawandel

Österreich muss sich auf den Pfad in Richtung Klimaneutralität begeben. Nur wie? Mit Geboten und/oder Verboten? Jürgen Schneider, Leiter der Klimasektion des Umweltministeriums, mit einem Blick zurück und nach vorne.


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Wien. Im Vorjahr wurden in Österreich 79,1 Millionen Tonnen Treibhausgase emittiert, der Großteil davon CO2. In der Klima- und Energiestrategie der Bundesregierung ("Mission 2030") ist festgeschrieben, dass die Emissionen außerhalb des Emissionshandels von 2005 bis 2030 um mindestens 36 Prozent sinken sollen. Das betrifft vor allem den Gebäude- und Verkehrssektor. Die energieintensive Industrie und die Elektrizitätswirtschaft, ebenfalls Großemittenten, befinden sich im Regime des Emissionshandels. "Hier muss europäisch gedacht werden", sagt Jürgen Schneider, Leiter der Klima-Sektion im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, im Interview mit der "Wiener Zeitung". Es wird an der nächsten Regierung liegen, den genauen Pfad in Richtung klimaneutrales Österreich zu definieren. Welche Möglichkeiten hat die Politik und welcher bediente sie sich bei früheren Maßnahmen im Sinn des Umweltschutzes?

"Wiener Zeitung": Wir müssen uns von fossilen Energieträgern verabschieden. Fragt sich nur wie? Politisch gibt es da zwei Ansätze: Ein freiwilliger Wandel, meist mit Anreizen versehen. Oder Ordnungsrecht und Verteuerungen. Wird es ohne Verbote gehen?

Jürgen Schneider: Es ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe und wird nicht von alleine passieren. Man wird verschiedene Instrumente brauchen. Politisch ist es verständlich, möglichst gelinde Mittel einzusetzen. Wenn diese erfolgreich sind, ist das gut. Wenn es aber Bereiche gibt, in denen es nicht ausreichend ist, wird man zusätzliche Instrumente brauchen.

Zum Beispiel?

Wir haben mit dem europäischen Emissionshandel schon jetzt ein System, das immerhin 40 Prozent aller Emissionen in der EU bepreist. Der Preis hat sich zwischen 25 und 30 Euro pro Tonne eingependelt. Und wir sehen, dass dieses System nach etlichen Kinderkrankheiten immer wirksamer wird und dazu führen wird, dass fossile Stromerzeugung teurer wird. Das ist ein gewollter Effekt. Es geht darum, möglichst viel Kostenwahrheit zu erzeugen.

Es geht um die externen Kosten. Doch wie internalisiert man diese konkret? Das ist ja auch ein Thema beim Transit in Tirol, der externe Kosten wie Stau, Lärm und Abgase erzeugt.

Die EU-Wegekostenrichtlinie hat genau das Prinzip, dass solche externen Kosten in die Maut eingepreist werden dürfen. Der Emissionshandel ist auch ein System, in dem CO2 einen Preis bekommt. Letztendlich ist die sehr billige Verwendung von fossiler Energie eine Art Marktversagen. Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, hat gesagt: Die Klimakrise ist das größte Marktversagen, das es je gegeben hat.

Das jüngste Beispiel eines Verbotes aus Umweltschutzgründen war jenes für bestimmte Plastikprodukte. Wirklich groß war die Aufregung darüber nicht.

Nein, es ist von der Bevölkerung nicht negativ aufgenommen worden. Damit eine Maßnahme akzeptiert wird, muss sie klar kommuniziert und erklärt werden, und es braucht gute Alternativen. Dann gibt es hohe Zustimmungsraten. Wir wissen aus der Verhaltensforschung: Wenn zwar gesagt wird, Plastiksackerl seien schlecht. Aber bei der Supermarktkassa liegen kostenlose Plastiksackerl, dann nehmen wir sie trotzdem. Da helfen dann einfach auch Verbote.

Gehen wir zeitlich zurück. Vor ein paar Jahren wurde die alte Glühbirne verboten. Das war schon von Debatten begleitet, zumal die Alternativen anfänglich nicht so gut waren. Mittlerweile hat sich technisch viel getan. Ist die Glühbirne ein gutes Beispiel, dass sich die Politik vor Verboten nicht fürchten muss?

Streng genommen war es kein Verbot. Es wurden Mindeststandards für Beleuchtungskörper gesetzt. Diese Ökodesign-Richtlinie war aber eine echte Erfolgsstory, weil sie Innovation anreizte. Es führte dazu, dass die Unternehmen ihre besten Ingenieure dazu brachten, darüber nachzudenken, wie Produkte umweltfreundlicher werden. Nicht nur, wie mehr Geld verdient werden kann. Es ist eine Win-win-win-Situation: Der Konsument kann Kosten sparen, in der Industrie wird Innovation angereizt, und es gibt weniger Umweltverbrauch. Heute will niemand mehr eine alte Glühbirne, die eine Energieeffizienz von fünf Prozent hat. Das ist im Sommer ein kleiner Ofen.

Also rein auf Basis der Freiwilligkeit funktioniert es nicht?

Wir wissen aus vielen Beispielen, dass es mit freiwilligen Vereinbarungen oft nicht funktioniert. Es gibt auch Studien dazu. Sie funktionieren nur dann, wenn die Industrie bei Nicht-Erfüllung die Rute im Fenster hat, dass dann Ordnungsrecht kommt. Wir hatten so einen Fall in der Automobilindustrie. Da gab es Flächengrenzwerte für den CO2-Ausstoß, aber die freiwillige Vereinbarung hat keine messbare Verbesserung gebracht, sie ist sogar schlicht ignoriert worden. Jetzt gibt es eine ordnungsrechtliche Regelung. Und da ist dann auch noch getrickst worden. Auf dem Papier waren die Fahrzeuge effizienter, aber nicht in der Realität. Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft haben wir eine neue Vereinbarung federführend verhandelt - inklusive strengem Compliance-Regime, damit eben möglichst nicht getrickst wird. Und wir haben eine ähnliche Regelung auch bei den Lkw zustande gebracht. Die Autoindustrie spürt zum ersten Mal Druck durch die neue Regulierung. VW-Chef Herbert Diess hat auch schon gesagt, dass die Regelung eine der Haupttriebfedern ist, dass VW jetzt auf Elektromobilität setzt. Von sich heraus hat die Autoindustrie immer größere, schwerere Autos gebaut, die im Verbrauch stärker waren. Das ist mit forciertem Klimaschutz nicht zu vereinbaren.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Verbote und Vorschriften, etwa die Katalysatoren in Autos. Oder das Verbot von FCKW in Kühlschränken und Spraydosen. Wegen der Haarsprays gab es damals schon Aufregung, aber sie hat sich gelegt. Die Frisuren haben sich seit den 1980ern halt verändert.

Wichtig ist, dass es Alternativen gibt. Dann finden die Dinge ihre Akzeptanz. Zivilisation und Zusammenleben auf engstem Raum funktioniert nur dann, wenn es Regeln gibt. Dazu gehört es in Zukunft auch, das Klima zu schützen. Denn wenn wir es nicht schaffen, wird das Zusammenleben sehr schwierig werden. Bestimmte Dinge werden eben nicht mehr angewendet werden. Aber keiner, der auf eine Ölheizung verzichtet, muss in der kalten Jahreszeit frieren. Denn es gibt marktfähige Alternativen. Und niemand, der Mobilität haben will, wird in zehn oder zwanzig Jahren ein benzin- oder dieselgetriebenes Auto benötigen. In bestimmten Bereichen wird es schneller gehen, in anderen länger dauern.

Eigentlich zeigen die Beispiele aus der Vergangenheit, dass es die Technik mit den Alternativen immer hinbekommen hat. Wenn sie musste, ist es gegangen. Es gibt sogar wieder gute Haarsprays.

Genauso ist es. Und insofern braucht man nicht nur pessimistisch sein. Und was wirklich hilft, ist die Preisdegression bei den alternativen Stromerzeugungstechnologien, bei der Elektromobilität. Wäre das alles so teuer wie vor fünf Jahren, wäre es wirklich schwierig. Es gibt Bereiche, etwa in der Eisen- und Stahlproduktion, in denen man in den nächsten zehn Jahren vermutlich noch nicht so weit sein wird. Aber Ölheizungen braucht man heute schon nicht.

Dieses Interview fand im Vorfeld des Panels "Was lässt sich gegen die
Klimakrise tun?" des European Forum Alpbach statt (14. bis 30. August
2019). An dieser Podiumsdiskussion nimmt unter anderem die
Interims-Umweltministerin Maria Patek teil. Das Forum Alpbach beginnt
offiziell am Sonntag, 18. August, mit den Gesundheitsgesprächen.