Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nikosia. Während beim neuen Euro-Sorgenkind Zypern der Schock der jüngst in Brüssel beschlossenen Zwangsabgabe für Spareinlagen beim einheimischen Bankenprimus Bank of Cyprus und der Aufspaltung und Abwicklung der Laiki Bank noch tief sitzt, ist das Abkommen zur Gewährung eines Zehn-Milliarden-Kredits zwischen der potentiellen Geldgeber-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) und dem pleitebedrohten Land immer noch nicht unter Dach und Fach.
In der Präsidialdemokratie Zypern hat der neugewählte Staats- und Regierungschef Nikos Anastasiadis nicht die Mehrheit im Parlament. Im Interview erklärt Zyperns Parlamentspräsident Jannakis Omirou, 61, die Folgen der Eurogruppenbeschlüsse für den Inselstaat und wie sich das Repräsentantenhaus künftig verhalten wird. Der renommierte Jurist aus der südzypriotischen Hafenstadt Paphos ist seit 2001 Vorsitzender der oppositionellen EDEK-Sozialisten. Die Omirou-Partei verfügt über fünf Mandate in Zyperns 56 Sitze zählendem Parlament - und gilt damit für die Bildung von Parlamentsmehrheiten als "Zünglein an der Waage".
Herr Präsident Omirou, wie ist Zypern in die augenblicklich missliche Lage geraten?
Das hatte zwei Gründe: Erstens hatten wir ein Defizit bei den Staatsfinanzen. Dies war aber nicht so hoch, um die heutige Krise zu erklären. Zweitens waren unsere Banken von Griechenlands Schuldenschnitt für private Gläubiger im vorigen Frühjahr betroffen. Dies war jedenfalls ein schwerer Schlag für Zyperns Bankensektor. Dabei fehlten im Gegenzug Maßnahmen zur Stützung von Zyperns Banken. Im Gegensatz dazu helfen unsere EU-Partner die griechischen Banken bei deren nötigen Rekapitalisierung. Daher sah sich Zypern im vorigen Juni dazu gezwungen, einen Antrag auf die Gewährung eines Kredits aus dem EU-Rettungsmechanismus zu stellen. Zypern hat dabei auf die Solidarität seiner Partner gesetzt, zumal uns seit der Invasion der türkischen Armee in den Inselnorden im Jahre 1974 und der fortgesetzten Besatzung ein volkswirtschaftlicher Schaden in Höhe von Hunderten Millionen Euro pro Jahr zugefügt wird. Statt Solidarität haben uns unsere EU-Partner erpresst. Um hier aus der Bibel zu zitieren: Sie haben uns Galle und Essig gegeben.
Das Wort "Erpressung" ist seit Beginn der Euro-Krise auch oft auf der Seite der Geldgeber in Richtung Nehmer zu hören.
Das ist richtig. Ich weiß aber auch: In der langen Verhandlungsnacht im Fall Zypern am 16. März stellte die Eurogruppe etwa um 4 Uhr ihre Forderung nach einer Zwangsabgabe für die Sparer in Zypern. Zyperns Präsident Nikos Anastasiadis hat sofort entgegnet, dass Zypern eine Präsidialdemokratie ist, er also kein Premierminister mit einer Parlamentsmehrheit ist. Folglich werde er, ohne zu unterschreiben, nach Nikosia zurückfliegen, um die anderen Parteiführer darüber zu unterrichten. Daraufhin hat Jörg Asmussen von der EZB zu Anastasiadis gesagt: 'Wenn Du jetzt zurückfliegst, gebe ich sofort die Anweisung an die EZB, die Liquiditätsversorgung euer Banken zu beenden. Dann bricht eure ganze Wirtschaft zusammen.' Wie würden Sie solche Verhaltensweisen bezeichnen? Das ist Erpressung gegen einen Staat. Hat so etwas mit Demokratie zu tun?
Welche Auswirkungen hat die Zwangsabgabe auf Sparguthaben für Zypern?
Die Republik Zypern hat in den Augen ihrer Bürger und ausländischen Sparer ihre Glaubwürdigkeit verloren. Das erzeugt nicht nur einen ökonomischen Schaden, sondern hat auch politische Folgen. Alleine der Umstand, dass sowohl die zypriotischen als auch die ausländischen Sparer sich hier in Sachen Bankensektor nach einem Beschluss eines europäischen Organs nicht sicher fühlen können, führt zu einer politischen Unglaubwürdigkeit von Zypern. Das wahre Ziel der Brüsseler Beschlüsse war es, Zyperns Banken- und Finanzsektor zu zerstören. Überdies ist die Entscheidung der Eurogruppe, wonach die Spareinlagen in Zypern mit einer Zwangsabgabe belegt werden, ein Präzedenzfall. Wie der Präsident der Eurogruppe (der Niederländer Jeroen Dijsselbloem, Anm.) erklärt hat, könne dieses Experiment auch in anderen Ländern, die ähnliche Probleme wie wir haben, durchgeführt werden. Sicher ist: Derartige Praktiken vertiefen die Krise in der Eurozone, und darüber hinaus in der Europäischen Union, nur noch weiter.
Können Sie konkreter werden?
In Europa herrscht seit geraumer Zeit ein Gefälle, ja eine Spaltung, zwischen dem Norden und dem Süden. Europas Süden hatte schon vor dem Ausbruch der Euro-Krise bereits seinen Agrarsektor verloren. Ich fürchte, dass nunmehr dem sozialen Zusammenhalt in Europas Süden der Todesstoß versetzt wird. Zudem wird hier auch der politische Zusammenhalt gefährdet, falls diese Politik der eisernen Haushaltsdisziplin und des einseitigen Sparkurses fortgesetzt wird. Die Euro-Krisenländer büßen nicht nur ihre ökonomische, sondern auch ihre politische Souveränität ein. Die Europäische Union ist aber mit einer Vision geschaffen worden: Wir wollten und wollen ein Europa der Solidarität, der Rechte, der gleichen Chancen für alle. Wenn wir eine EU haben, in der die Ungleichgewichte zwischen Ländern, Völkern und Menschen sich stets vergrößern, stellt sich unweigerlich die große Frage: Wird Europa so überleben?
Fühlen Sie sich von den EU-Partnern verraten?
Vor fünf, sechs Monaten hat eine regelrechte Kampagne gegen Zypern begonnen. Es wurde behauptet, wir seien ein Steuerparadies und ein Ort, wo angeblich Geldwäscherei betrieben werde. Das stimmt aber nicht. Im Zuge unseres Euro-Beitritts hat sich Zypern allen betreffenden Kontrollen unterzogen. Internationale Institutionen haben uns bescheinigt, dass wir die Regularien und - ich betone das - auch deren Anwendung erfüllen. Übrigens erfüllt Deutschland in Sachen Geldwäschebekämpfung laut dieser Institutionen deutlich weniger Kriterien als Zypern. Dennoch sind wir Zeuge einer konzertierten Aktion ungerechtfertigter und verleumderischer Angriffe gegen Zypern geworden.
Aber auch führende deutsche Sozialdemokraten wie der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der immerhin der gleichen politischen Familie in Europa wie ihre Partei, die Edek-Sozialisten, angehört, haben Zypern wiederholt an den Pranger gestellt.
Das erfüllt mich mit Trauer. Ich habe Briefe an die SPD geschickt, in denen ich unter anderem meine Bereitschaft erklärt habe, Berlin einen Besuch abzustatten. Meine Schreiben blieben unbeantwortet. Wenige Tage vor den Brüsseler Beschlüssen am 16. und 25. März zur Causa Zypern haben uns Abgeordnete aller Parteien des Deutschen Bundestags in Zypern besucht. Wir haben ihnen Dokumente präsentiert, die stichhaltig beweisen, dass die Vorwürfe gegen Zypern haltlos sind. Die Bundestagsabgeordneten haben die Beweise einfach ignoriert. Daher sage ich mit aller Deutlichkeit: Ziel war es, Zyperns Banken- und Finanzsektor zu zerstören.
Sie klingen verbittert.
Das hat gute Gründe. Frau Merkel hat am Tag nach der Eurogruppensitzung verkündet, das Geschäftsmodell Zyperns sei nun tot. Aber wissen Sie: Für derartige Praktiken und Verhaltensweisen bekommt man im Leben auch die Rechnung. So gehen die Glaubwürdigkeit, Erwartungen und Visionen auch der EU im Ganzen verloren. Es kann sein, dass Zypern ein kleines, schwaches und im Norden besetztes Land ist. Wenn aber andere Schadenfreude dabei empfinden, was sie in Zypern geschafft, besser: angerichtet haben, um eine harte Lehre zu erteilen, indem ein Exempel statuiert wird, wird man bald sehen: Eine Hegemonie dieser Art wird katastrophale Folgen nach sich ziehen.
Ist Deutschland diese Hegemonialmacht in Europa? Protestierer in Nikosia zogen nach den Eurogruppenbeschlüssen schon Nazi-Vergleiche.
Diese Hegemonie stößt ja auch in Deutschland auf Kritik. Wie gesagt: Diese Hegemonie fördert nicht den politischen Zusammenhalt, sondern vertieft die Kluft in der EU - und das kann Folgen haben. Das ist wie in einer Familie. Das kann früher und später zu Brüchen, gar zur Scheidung führen. Sehen Sie: Wir sind überzeugte Europäer. Meine Partei hat sich für den Beitritt zur EU und zur Eurozone eingesetzt. Unsere Vision ist aber ein Europa der Demokratie, Solidarität, des Zusammenhalts und der Erhöhung des Lebensstandards seiner Bewohner.
Warum haben es Länder wie Deutschland Ihrer Ansicht nach auf Zypern, eine abgelegene Insel mit 840.000 Einwohnern im südöstlichen Mittelmeer, abgesehen?
Weil Zypern offensichtlich eine leichte Zielscheibe ist. Zudem geht man davon aus, dass Zypern für die Eurozone nicht systemrelevant ist.
In jüngster Zeit vertreten Sie die Position, Zypern müsse sich "außerhalb der Troika und des EU-Rettungsmechanismus bewegen". Bedeutet "außerhalb der Troika" nicht automatisch auch "außerhalb der Eurozone"?
Nein. Warum? Wenn ein Land die Geldgeber-Troika und den EU-Rettungsmechanismus nicht braucht, muss man dann gezwungenermaßen unter den EU-Rettungsschirm schlüpfen? Ist Deutschland im EU-Rettungsmechanismus?
Deutschland braucht das Geld nicht. Deutschland ist Geldgeber.
Genau. Der entscheidende Punkt ist also, ob man sein finanzielles Problem auch mit eigenen Mitteln lösen kann. Dazu bedarf es anderer Geldquellen.
Gut. Warum will dann Zypern Geld von der Troika?
Weil Zypern zur Zeit ein finanzielles Problem hat. Wir müssen aber Wege finden, um dieses finanzielle Problem ohne die Troika zu lösen. Wir arbeiten schon an einem strategischen Plan.
Das hört sich aber wie ferne Zukunftsmusik an. Wann soll das passieren?
Unabhängig davon, ob das in einem Monat, in fünf oder in zehn Monaten oder später passiert: Wir müssen die Möglichkeit haben, uns der Troika und dem EU-Rettungsmechanismus so bald wie möglich zu entledigen.
Wie wird sich das Parlament in Sachen bevorstehender Sparkurs der Regierung samt Steuer- und Abgabenerhöhungen verhalten?
In Zypern herrscht eine strenge Gewaltenteilung. Wenn ich hier Parallelen ziehen darf: Wie in den USA. Was das Verhalten des Parlaments angeht, bedeutet das: Nichts ist sicher.
Werden die Edek-Sozialisten das Angebot von Präsident Anastasiadis annehmen, sich an der Regierung zu beteiligen?
Nein. Das wäre paradox. Wir lehnen das Regierungsprogramm von Anastasiadis ab.
Wird es eine politische Radikalisierung in Zypern geben?
Das sehe ich nicht. Das politische System in Zypern ist robust. Wir haben schon einige kritische Situationen, unter anderem die Invasion der türkischen Armee im Sommer 1974, überstanden. Aber ich will auch Selbstkritik üben: 1974 lebten die zypriotischen Flüchtlinge in Zelten, aber wir hatten unsere Seele bewahrt. In den letzten Jahrzehnten haben das schnell verdiente Geld, die Gier, der übermäßige Konsum dazu geführt, dass wir einen Teil unserer Seele verloren haben. Wir zypriotische Griechen, die hier seit Jahrtausenden leben, müssen unsere Seele wiederfinden.
Mit Europa, mit Deutschland?
Mit denjenigen Völkern, die bereit sind, mit uns den Weg zu den wirklichen Idealen der Europäischen Union zu bestreiten.
Die Kunden der Bank of Cyprus verlieren vermutlich mehr als der Hälfte ihrer Einlagen über 100.000 Euro. Wie der staatliche Rundfunk Zyperns am Sonntag berichtete, berechnen zurzeit Experten der Zentralbank des Landes und der Bank of Cyprus die genaue Höhe der Zwangsabgabe. Dabei geht es neben den ohnehin einbehaltenen 37,5 Prozent der Guthaben um weitere 21,5 Prozent, die als "Sicherheitspolster" blockiert wurden. Quellen aus der Zentralbank sagten dem Sender zufolge, dass die Kunden wohl mehr als die Hälfte dieser 21,5 Prozent abschreiben müssten. Unterm Strich bedeute das den Verlust von mehr als der Hälfte ihrer Gesamteinlagen.
Sozialkassen und Kommunen sollen geschont werden, um weitere Löcher im Haushalt zu vermeiden.