Regimekritiker Milinkewitsch ruft weißrussische Opposition zu mehr Zusammenhalt auf. | "Wiener Zeitung": Wie sieht der Alltag eines weißrussischen Oppositionellen seit den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember des Vorjahres aus?
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Alexander Milinkewitsch: Offen gestanden nicht gut. Ich bange um meine Freunde, die verhaftet wurden und denen Prozesse drohen, um ihre Familien. In der ersten Zeit im Gefängnis waren sie offenbar tagelang vollkommen von der Außenwelt abgeschottet und wussten überhaupt nicht, was ihnen blüht. Wir können nur vermuten, wie es ihnen geht, weil wir keinerlei Kontakt zu ihnen haben. Briefe werden nicht zugestellt.
Ich selbst fühle mich isoliert. Der Staat hat die volle Kontrolle. Vor allem dieser psychische Druck, die ständigen Zersetzungsversuche sind nur schwer zu ertragen.
Wie fahren Sie nun in Ihrer politischen Arbeit fort?
Wenn viele Menschen protestieren würden, könnte sich etwas ändern. Aber die meisten fürchten sich. Und vielen ist in erster Linie wichtig, dass sie in stabilen Verhältnissen leben. Ein entscheidendes Druckmittel der Regierung ist, Menschen Arbeit zu entziehen oder auch nur mit Arbeitsentzug zu drohen. Offiziell haben wir fast Vollbeschäftigung, tatsächlich haben aber etliche Menschen nicht das, was man wirklich Arbeit nennt. Aufzustehen heißt dann eben vor allem: sich zuerst die Frage zu stellen, ob man weiterarbeiten will oder nicht. Immerhin: Es waren viele, die bei den Demonstrationen ihre Würde gezeigt haben.
Was sollte das westliche Ausland tun?
Im Grunde genommen sollten Unternehmen ihr Business in Weißrussland liquidieren und gar keines mehr etablieren. Damit brächte man Präsident Alexander Lukaschenko in eine sehr schwierige Situation, er könnte dann nicht mehr behaupten, wir seien ein attraktives Land.
Ich halte für problematisch, dass das Ausland gegenüber Weißrussland nicht unbedingt ein gemeinsames Vorgehen hat. Dabei müsste eine Strategie sein, dass Europa größer und demokratischer wird - und dass Weißrussland unabdingbar zu diesem größeren und demokratischeren Europa gehört. Denn es ist auch wichtig, uns in Weißrussland innerlich zu stärken, der innere Rückhalt ist sogar eigentlich das Wichtigste, wenn wir uns durchsetzen wollen.
Gibt es positive Beispiele?
Polen fährt schon einen guten Kurs, wenn es weißrussischen Bürgern den Rücken zu stärken versucht. Es ist schwer zu sagen, wie lange Lukaschenko noch an der Macht bleibt. Aber ich glaube, für uns könnte ein Vorbild sein, wie die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc die totalitären Strukturen im eigenen Land allmählich ausgehöhlt hat.
Was ist das größte Problem der Oppositionsbewegung?
Grundsätzlich gibt es viele Persönlichkeiten, die zu Oppositionsführern werden könnten. Genau das ist aber auch unser Problem: Die Opposition ist zersplittert. Es gibt keine gemeinsame Diskussionsplattform. Teilweise weiß man auch nicht, welche Ziele eine Organisation wirklich verfolgt. Wir müssten uns endlich auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Der übrigens erst einmal damit leben müsste, stets nur der Zweite nach Lukaschenko zu sein. Darüber muss man sich im Klaren sein.
Zur Person
Alexander Milinkewitsch, Jahrgang 1947, ist als Präsident der "Bewegung für Freiheit" eine der Schlüsselfiguren der weißrussischen Opposition. Bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2006 kandidierte der Sacharow-Preisträger gegen Amtsinhaber Alexander Lukaschenko.