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"Wir müssen unsere Politik vertreten können"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Warum einige EU-Staaten ihre Agrarförderungen nicht offenlegen wollen, versteht Kallas nicht. Foto: EU-Kommission

Siim Kallas im "WZ"-Interview: Informationen für Reformen notwendig. | Lobbying: Strenges Gesetz ist Illusion. | "Wiener Zeitung":Sie wollen die EU transparenter machen. Dafür sollen sich Lobbyisten in ein freiwilliges Register eintragen. Wozu?


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Siim Kallas: Lobbying ist ein legitimer und notwendiger Teil des politischen Entscheidungsprozesses. Aber es gibt viele Zweifel rund um die Einflüsse der Lobbyisten auf EU-Gesetze in der europäischen Öffentlichkeit. Daher brauchen wir klare Verhaltensregeln. Es muss im Interesse aller Beteiligten sein, Lobbying-Aktivitäten Legitimität zu verleihen.

Einer der Vorteile soll eine vorrangige Information der im Register eingetragenen Lobbyisten sein.

Wir wollen kein Informationsprivileg einführen. Informationen, die Lobbys erhalten, müssen auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Aber es könnte ein gewisser praktischer Vorteil sein, automatisch konsultiert zu werden. Das ist etwas anderes.

Sie hoffen also vor allem darauf, generelle Akzeptanz für Ihren Plan zu bekommen?

Das war unsere Grundidee von Anfang an. Wir wollen ein freiwilliges, selbstregulierendes System. Ein strenges Gesetz, das jeden möglichen Fall abdeckt, ist eine Illusion. Aber wir haben auch nicht endlos Zeit. Innerhalb eines Jahres muss klar sein, ob unser Vorschlag funktioniert. Wenn wichtige Partner nicht teilnehmen, müssen wir uns etwas anderes überlegen.

Sie wollen auch die Empfänger aller EU-Förderungen, also auch im Bereich Landwirtschaft und Strukturhilfen offen legen. Wieso passiert das nicht schon längst?

Diese Frage reicht in die 1960er-Jahre zurück, als das Förderungssystem geschaffen wurde. Damals hat der Rat beschlossen, dass es Sache der jeweiligen Mitgliedsstaaten ist, darüber zu entscheiden. Gründe wie Datenschutz oder Privatsphäre könnten ausschlaggebend gewesen sein. Aber die Zeiten haben sich geändert. Fast alle Regierungen sind offener geworden. Und es geht um 78 Prozent des europäischen Budgets. Da können wir den Bürgern nicht sagen, ihr dürft nicht wissen, wer das Geld bekommt. Denn das schafft viele Zweifel und Argwohn. Unsere Gehälter und die von den meisten europäischen Spitzenpolitikern sind öffentlich und werden ausführlich analysiert und kritisiert. Und die Förderungen aus dem gemeinsamen Budget sollen vertraulich sein? Ich verstehe wirklich nicht, was der Grund dafür sein soll.

Österreich und Deutschland gehören laut Ihren Unterlagen zu den am wenigsten transparenten Ländern, was die Offenlegung der Agrarförderungen betrifft.

Das ist wahr.

Gerade mit Argumenten wie Datenschutz oder auch zusätzlicher Bürokratie argumentieren diese Länder auch heute. Wie wollen Sie sie von Ihrem Plan überzeugen?

Ich kann hier nur einen politischen Rat geben. Wenn sie diese Daten weiter unter Verschluss halten, werden sie trotzdem irgendwann stückchenweise herauskommen. Das ist bereits in vielen Ländern passiert. Was sagen sie dann Journalisten, die Empfänger von Förderungen präsentieren? "Das ist nicht die ganze Wahrheit, das ist nicht das Gesamtbild, wir kommentieren das nicht"? Sie sind auf jeden Fall die Verlierer. Warum also nicht gleich alles offen legen? Und auch das Argument Bürokratie greift nicht. Schließlich gibt es das Internet.

Sie glauben also, wenn alle Informationen öffentlich sind, sehen die Bürger, dass gut gewirtschaftet wird?

Wir müssen unsere Politik vertreten können. Wenn jemand sagt, die Politik ist möglicherweise falsch, kann nicht die Antwort sein: Wir sagen nicht, wie sie sich auswirkt. Wenn Korrekturen nötig sind, ist darüber zu diskutieren. Das geht aber nicht, wenn die Vorwürfe auf Gerüchten basieren. Das macht alles nur noch viel schlimmer.

Glauben Sie wirklich, dass Sie zum Beispiel Frankreich überzeugen können, auf seine Landwirtschaftsförderungen zu verzichten, wenn sich etwa herausstellt, dass große Agrarkonzerne die Hauptnutznießer sind?

Die gemeinsame Landwirtschaftspolitik der EU hat sich nach den Reformen von Agrarkommissar Franz Fischler enorm verändert. Und dieser Veränderungsprozess geht weiter. Ich glaube, das ist vertretbar. Es wird hier keine Revolution geben, wenn mehr Informationen verfügbar sind.

Finanzvorschriften müssen alle EU-Staaten einstimmig beschließen. Ist das in diesem Fall realistisch?.

Die Zustimmung zu meinem Plan wächst. Am Anfang haben nur zwei Länder die Empfänger ihrer Agrarförderungen offen gelegt. Jetzt sind es schon elf - darunter Großbritannien, die Niederlande, Slowenien und Belgien. Die Finanzvorschriften werden derzeit im Rat diskutiert. Ein diesbezüglicher Änderungsantrag wurde bereits eingebracht.

Und wie hoch sehen Sie die Chancen für eine Annahme?

Naja, wir brauchen Einstimmigkeit.

Der österreichische EU-Vorsitz geht zu Ende. Was halten Sie von der Arbeit der Österreicher in den letzten sechs Monaten?

Es war gut. Zumindest kann ich mich über nichts beschweren.

Zur Person

Siim Kallas (57) war in Estland Premier, Finanzminister, Außenminister und Zentralbankpräsident sowie langjähriger Vorsitzender des estnischen Radsportverbands. Seit 2004 ist der Wirtschaftswissenschafter als Mitglied der EU-Kommission für Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung verantwortlich. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.