Zum Hauptinhalt springen

"Wir müssen was dagegen tun"

Von Martyna Czarnowska

Politik

Den Frauen, die die Kraft und den Mut hatten, Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten, ist eine Ausstellung im Nestroyhof in Wien-Leopoldstadt gewidmet. Antonia Bruha hat die Verhöre der Gestapo und das KZ Ravensbrück überlebt. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erinnert sie sich.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sag Toni zu mir." Es dauert nicht lang, bis dieser Satz fällt. Antonia Bruha mag junge Menschen. Sie hat viel mit ihnen zu tun, mit Studentinnen, Schülern. Bis vor einem Monat war die 90-Jährige Kassierin im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, bis heute geht sie in Schulen, um von ihren Erlebnissen zu erzählen. "Wir haben uns geschworen: Alle, die überleben, werden nie aufhören, über das zu berichten, was geschehen ist, damit junge Menschen gewarnt sind", erklärt sie.

Und Antonia Bruha berichtet. Von Grete, der Kommunistin, die 1942 hingerichtet wurde. Von einer Bäuerin, die nach Ravensbrück kam, weil sie einem russischen Häftlingssoldaten ein Stück Brot gegeben hat und die im KZ von einer Aufseherin totgeprügelt wurde. Von elfjährigen Roma-Mädchen, die vor Schmerz heulten, als ihnen bei Zwangssterilisationen die Eierstöcke ausgebrannt wurden. Von polnischen Frauen, an denen so genannte Versuchsoperationen durchgeführt wurden, denen Füße abgetrennt oder Sehnen durchschnitten wurden. Ohne Narkose.

Während Toni erzählt, wird ihr Kaffee kalt. Sie trinkt ihn schwarz. Wir sitzen im Kaffeehaus des Pensionistenheims in Wien-Donaustadt und rauchen eine Zigarette. "Ich sollte nicht so viel rauchen", meint Toni. Sie ist eine zierliche Frau, wiegt 40 Kilo. Als sie sich nach der Befreiung von Ravensbrück zu Fuß auf den Weg nach Hause machte, hatte sie 20 Kilo.

Zum Widerstand kam Antonia Bruha über den Tschechischen Arbeiterturnverein. Ihr schwedischer Großvater kaufte in Tschechien einen Gutshof, heiratete eine Tschechin. Ihre Tochter schickte das Paar nach Wien, damit sie "gute Manieren" lernt. Kennen gelernt hat sie dort auch ihren künftigen Mann, den Sohn eines Erdberger Fiakers. Tochter Toni wuchs mit Deutsch und Tschechisch auf, später lernte sie Russisch.

Schon Mitte der 30er-Jahre schmuggelte die gelernte Frisörin und Schönheitspflegerin Flugblätter und Zeitungen. "Wir fuhren mit dem Fahrrad nach Preßburg und wieder zurück. Auf der einen Lenkstange hatte ich die Arbeiterzeitung - die in Preßburg gedruckt wurde -, auf der anderen kommunistische Flugblätter."

Nur wenige Jahre später, als sie schon mit ihrem Mann Josef im Arbeiterturnverein aktiv war, sah sie, wie ein paar 16-, 17-Jährige in schwarzen Hemden eine Gruppe von Juden misshandelten. Unter den knieenden Menschen, deren Gesichter in Drecklachen getaucht wurden, war ein Arzt, der - selber arbeitslos - Bedürftige kostenlos behandelte. Antonia Bruha herrschte die Jungen an: "Was macht ihr da? Wisst ihr überhaupt, wer das ist? Sie sagten zu mir: "Wennst a Jüdin bist, kannst dich gleich dazuknien." Da wusste ich, dass die Burschen keine Deutschen, sondern Österreicher waren." Sie drohten, die Gestapo zu holen, wenn sich die Frau weiter einmische.

"Wir müssen was dagegen tun", erklärte Toni bei der nächsten Versammlung des Turnvereins: "Sonst machen wir uns mitschuldig." Also Widerstand. Kampf "für ein freies Österreich". Die Gruppe, eine von vier tschechischen Widerstandsgruppen, umfasste bis zu 200 Menschen: "Es waren ganz unterschiedliche Leute dabei: Katholiken, Kommunisten, ehemalige Schutzbund-Angehörige, gemischte Ehen."

Antonia Bruha hat Flugschriften geschrieben, sich dann an Sabotage-Akten beteiligt - "ohne Menschen verletzen zu wollen". Schon schwanger, holte sie aus einer Fabrik herausgeschmuggelte Chemikalien, führte sie mit dem Fahrrad durch halb Wien. In der Lobau sprengte die Gruppe zehn Wehrmachtsdepots, wo Uniformen, Waffen und Lebensmittel gelagert wurden, in die Luft. "Dafür bin ich zum Tode verurteilt worden", erzählt Bruha.

Ein Gestapo-Spitzel verriet die Widerstandskämpfer. 69 Menschen bezahlten dies kurz darauf mit ihrem Leben. Sie wurden erschossen oder geköpft. Als Antonia Bruha im Herbst 1941 verhaftet wurde, war ihre Tochter drei Monate alt. Die Gestapo holte sie mit ihrem Kind ab. Erst als eine NS-Fürsorgerin ihr den Säugling aus den Armen riss, fing das Mädchen zu weinen an. Später wurde Toni gesagt, dass ihre Tochter tot sei. Sie wusste nicht, dass das nicht stimmte.

Es folgten drei Monate Isolationshaft in der Rossauer Kaserne, wo die Gestapo ein ganzes Stockwerk einnahm. Keine Möglichkeit zum Waschen, kein Kontakt zur Familie. Immer wieder Verhöre, immer wieder Schläge, immer wieder Aufreißen der eiternden Wunde an der Brust.

Dann Verlegung in eine andere Haftanstalt, danach wieder Rossauer Kaserne. Und später der Transport. Zu siebent wurden die Frauen in einen Zug verfrachtet. Die Waggons wurden immer voller, auch auf dem Gang war kein Platz mehr. "Ein SS-Mann fragte: "Wollt ihr Ravensbrück erleben oder gleich erschossen werden?" Irma, damals noch unverheiratet und keck, antwortete: "Wir wollens noch erleben." Da erfuhren wir erstmals, wohin wir gebracht wurden."

Der schweren körperlichen Arbeit im Lager war Antonia Bruha nach einjähriger Haft kaum gewachsen. Mit Hilfe einer Wienerin, die in der Kanzlei arbeitete, wurde sie in Rosa Jochmanns Block verlegt und in den Krankenbaracken tätig. Dort hörte sie die Polinnen, die operiert wurden, sah die Roma-Mädchen und die Säuglinge, für die eine eigene Abteilung eingerichtet wurde. Die Kinder lagen auf Stroh, hatten keine Milch. 500 sind verhungert, erfroren, an Schwäche gestorben.

Toni vertauschte Karteikarten, um Frauen vor Operationen oder der Deportation in andere Lager zu bewahren. Sie überredete Roma-Frauen, sich nicht zu den Sterilisationen freiwillig zu melden und den Versprechen, nach sechs Monaten entlassen zu werden, nicht zu glauben. Sie dokumentierte die Ereignisse. Die Aufzeichnungen wurden entdeckt und vernichtet.

Doch nach dem Krieg, nachdem sie Ehemann und Tochter wiedergefunden hatte, schrieb Antonia Bruha wieder alles auf. "Ich war keine Heldin", betitelte sie ihr Buch. Sie schiebt den schmalen Band über den Tisch. "Also, das musst unbedingt schreiben", sagt sie. Es ist eine Notiz des Lagerarztes und SS-Obersturmführers Percival Treite: "Ich erinnere mich, dass viele Polinnen durch Genickschuss getötet wurden. Weil diese Schießerei völlig ungeordnet vonstatten ging und zu befürchten war, dass auch Unschuldige verletzt würden, habe ich unter dem Zwang der Verhältnisse für eine anständige Art der Tötung gesorgt. Das war die Gaskammer."

Nicht alles kann Toni erzählen, wenn sie in Schulen zu Vorträgen eingeladen wird. Doch einen Satz lässt sie nicht aus: "Auch wenn die Demokratie Fehler hat - man kann etwas dagegen machen, ohne getötet zu werden." Das ist Antonia Bruhas Mahnung.

Die Ausstellung "Women in the Holocaust - Frauen im Widerstand" - organisiert vom Österreichischen Freundeskreis von Givat Haviva - dokumentiert den Kampf von Frauen u.a. in Polen, Litauen, der Slowakei, Österreich. Sie ist noch bis 23. Juni im Nestroyhof (Nestroyplatz 1) zu sehen. Öffnungszeiten: Mo. bis Fr., 10 bis 19 Uhr.