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"Wir mussten viel herumschleppen"

Von Manfred Rebhandl

Reflexionen
Geborener Erzähler: Gerald Frey (l.) im Gespräch mit Manfred Rebhandl.
© Rebhandl

Seit 40 Jahren für den ORF tätig: Kameramann Gerald Frey erinnert sich an zahlreiche Begegnungen auf der ganzen Welt - von Bruno Kreisky bis Lady Diana.


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Als er 1975 für den ORF als Kamerassistent zu arbeiten begann, war das Drehen noch ein Riesenaufwand. "Wir waren immer mit zwei Autos unterwegs", sagt er, "zwei Fahrer, ein Kameramann, ein Assistent, der Tonmeister, ein Beleuchter und der Redakteur." Einer seiner ersten Einsätze führte ihn nach Lutzmannsburg, der Bürgermeister dort wartete mit der Blasmusik - und mit reichlich Wein. "Wenn der ORF kam, dann kamen die Götter."

Der das sagt, heißt Gerald Frey und ist heute eine ORF-Kameramannlegende. 1960 schaute der heute 61-Jährige selbst zum ersten Mal in eine Glotze: "Mein Vater kaufte so ein Holzkasterl mit ovalem Bildschirm. Die Großmutter hat dann gleich mal hinten nachgeschaut, wo denn da die Bilder herkommen." Frey erinnert sich sogar, was damals Aufregendes gelaufen ist: "Blumendoktor Eipeldauer". Kein Frühstücksfernsehen, sondern Vorabend. Und um 22 Uhr war schon wieder Schluss. Oh selige Zeiten.

Gerald Frey bei einem seiner früheren Einsätze.
© privat

Alles im Rahmen

Mit 13 bekam er die erste Kleinbildkamera, eine Voigtländer. Zusammen mit seinem Freund Hans Selikovsky, der später Niki Lists Kameramann werden sollte, sprachen sie Mädchen an, um sie zu fotografieren. Aber alles im Rahmen natürlich, denn die eigene Dunkelkammer, eingerichtet in einem Schrebergartenhäuschen, interessierte mehr. "Das war Magie", sagt Frey mit strahlenden Augen. "Zu sehen, wie sich das Bild entwickelte."

So einer musste natürlich auf die Wiener Filmakademie zu Regieprofessor Stummer, "dessen größte Leistung die Außenaufnahmen für den ,Förster vom Silbertannenwald‘ waren" (so Freys vernichtendes Urteil). Daher wechselte er zum Fach Kamera, das er aber nicht abschloss. Stattdessen heuerte er bei der Firma Televis an, die dem ORF zuarbeitete, und filmte während der ersten sechs seiner nun 40 Jahre dauernden Karriere Beiträge für den Aktuellen Dienst.

"Das war die Zeit von Bruno Kreisky damals", erzählt Frey bei unserem Gespräch im Café Heumarkt über seine spannenden Anfangsjahre. "Wir waren viel mit Hans Benedict im Nahen Osten unterwegs." Von nun an fallen die Namen berühmter Menschen im Sekundentakt. Den damaligen Bundeskanzler Kreisky beschreibt Frey als "zwar volksnah, aber privat völlig unzugänglich".

Der ORF entwickelte sich in diesen Jahren vom Verkündigungssender zum Trendsetter, nicht zuletzt wegen des neuen Formats "ZIB 2". Bis dahin berichteten Zeitungen oft noch aktueller als das Fernsehen, weil der ORF die Beiträge nie am gleichen Tag senden konnte. Mit neuer Kameratechnik (Video!) änderte sich auch das.

Einer seiner prägenden Redakteure war Alfred Stamm. Zu dem fällt Frey auch gleich eine lustige Geschichte ein: "Stamm wollte eine Geschichte über Saunagäste drehen. Der erste Drehtag war in einer privaten Sauna anberaumt, die Dame des Hauses hatte anfangs ein Handtuch um ihre Brüste gewickelt, Stamm sagte: ,Das Handtuch gehört aber auf die Liege!‘ Die Dame wollte wissen, wann denn der Beitrag gesendet werden würde. Als Stamm sagte: ,Um 22 Uhr‘, meinte sie: ,Na gut, dann wird mein Mann um 22 Uhr halt etwas anderes machen müssen als Fernsehen.‘ Und legte das Handtuch ab."

Klingt heute lustig, war aber damals ein Skandal. Der "Kurier" zeigte Stamm in einer Karikatur nackt mit einem Kamerakabel um sein Gemächt gewickelt. Dem Arbeitsklima innerhalb des ZIB2- Teams schadete der Skandal allerdings nicht, im Gegenteil: "Die Stimmung war großartig! Da wurden Fesseln abgelegt, es herrschte Aufbruch." Frey verbrachte fast seine gesamte Freizeit mit den ORF-Leuten; Herbert Hamersky, der später bei einem Lawinenunglück ums Leben kam, war "eine Art Guru" für ihn.

Kreuzers Musikverbot

Sie sollten damals immer mit einer Filmrolle einen Beitrag gestalten, das waren 10 bis 12 Minuten Material, beschreibt Frey die strengen Vorgaben. "Von der ersten Arbeit mit Hamersky kam ich aber mit sieben Rollen zurück! Da musste er zu der Frau, die hausintern ,John Wayne‘ genannt wurde und auf die Finanzen aufpasste. Beim nächsten Mal waren es dann nur noch fünf Rollen. . ."

Im Gegensatz zu heute, wo alle Beiträge viel kürzer sind und "in sich ausgewogen" sein müssen, durfte damals ein Beitrag auch nur "Pro" sein, andere dafür nur "Kontra". Zum Beispiel Zwentendorf, als die Volksabstimmung gerade ins Haus stand. Da legte ein Redakteur als Musik das mahnende "Lied vom Tod" über Freys "Kontra"-Bilder, woraufhin Franz Kreuzer, damals Intendant von FS2 und absolut fortschrittsgläubig, "Musikverbot!" für alle Filmbeiträge des Aktuellen Dienstes durchsetzte.

Gefährlich war die Arbeit manchmal auch. In Saudi-Arabien - während einer Reise mit Wirtschaftsbundchef Rudolf Sallinger zur Eröffnung einer Raffinerie - hatte Frey eine Polaroid mit dabei und fotografierte einen von der Leibgarde des Königs. "Der war ganz aus dem Häuschen, als er sah, wie sich das Bild vor seinen Augen entwickelte", erzählt Frey. "Er wollte es unbedingt haben. Da kam schon der Zweite, der auch eines haben wollte, und dann kamen alle anderen auch. Ich machte ein Foto von der ganzen Gruppe und gab es einem, dann verschwand ich, so schnell ich konnte. Ich glaube, die streiten heute noch um das Foto!" Verhaftet wurden sie aber erst, als sie an einem Feiertag unerlaubt eine Moschee filmten. Und nur weil zufällig gerade Österreicher dort auf der Polizeistation waren, die für sie übersetzen konnten, kamen sie wieder frei.

Karl Löbl, der berühmte Opernkritiker, holte Frey 1982 in die Hauptabteilung Kultur. Löbl berichtete mit seiner Sendung "Nach der Premiere" immer live aus der Oper und war damit allen ans Herz gewachsen - oder auch nicht. "Er hatte ja ein Glasauge", plaudert Frey aus dem Nähkästchen, "und mit dem anderen schaute er schief. Und dann noch diese riesige Brille!" Manche Kameraleute packten also das Weitwinkel aus, filmten 20 cm vor seiner Nase herum und hielten noch einen Riesenscheinwerfer auf ihn drauf. "Da schaute er schon manchmal zum Fürchten aus!" Frey hingegen filmte ihn dezent mit wenig Licht und ohne Weitwinkel, und das gefiel Löbl deutlich besser.

Die Netrebko

So gab es in der Folge gewissermaßen als Belohnung viel Oper im Leben des Gerald Frey. Er war dabei, als in Salzburg 2005 die berühmte "La Traviata" gezeigt wurde, mit der "die Netrebko" groß herauskam. "Bei den Proben lief die aber damals noch herum wie die Raumpflegerin, völlig unscheinbar. Sie brachte kein Wort heraus, alles drehte sich nur um Villazon." Damals hätte also vielleicht auch ein einfacher Kameramann noch eine Chance bei ihr gehabt? "Vielleicht", lacht Frey. Aber er war damals und ist noch immer glücklich verheiratet.

Am schönsten waren für Frey stets die Proben zu den Neujahrskonzerten im Musikverein, und dort beeindruckte ihn vor allem Nikolaus Harnoncourt. "Wie der die Proben unterbrach, um eine Viertelstunde oder länger zu erklären, wie das Stück entstanden ist, wie es vom Komponisten gedacht war, und warum man das jetzt so und so spielen muss . . ." Davon schwärmt Frey noch heute, und er wird selbst ganz andächtig, als er weiter erzählt, wie dann "alle ganz andächtig lauschten, bis sie wieder anfingen zu spielen".

Seine vielen Reisen führten Gerald Frey ein paar Mal um die Welt, und dabei auch bis auf die Fidji-Inseln, wo er mit ORF-Kulturmann Martin Traxl Ellen Umlauf, die "Frau Kaiser" aus dem "Kaisermühlenblues", besuchte. "Alleine die Erdäpfel dort waren die weite Reise wert, herrliche Trümmer!" Die gute Frau Umlauf ist dann einen Monat später in Neuseeland leider an einer Kohlenmonoxydvergiftung verstorben. Und er selbst wäre auch fast nicht mehr zurückgekehrt, denn kurz vor Abflug ereilte ihn der erste von drei Bandscheibenvorfällen.

Kameramannschicksal?

"Vermutlich schon", sagt er. "Wir mussten ja wirklich sehr oft sehr viel herumschleppen." Einmal waren sie mit den Philharmonikern in Tokio, bei einem der umjubelten Gastspiele. Sie schleppten ihr Equipement durch die Stadt, aber diesmal mit dem scheinbar unprätentiösen Opernstar Thomas Hampson an ihrer Seite. Irgendwann sagte der: "Geben Sie mir doch eine Tasche und das Stativ!"

Die Prinzessin

Weniger erfreulich war die Begegnung mit Claude Lanzmann, der seinen Film "Shoah" auf der Berlinale zeigte. Frey war mit Koschka Hetzer dort. "Der Film dauerte zwölf Stunden. Wir blieben die ersten drei und kamen dann wieder in der Früh zum Schluss des Films und zum Gespräch mit dem Regisseur." Koschka Hetzer fragte, ob denn zwölf Stunden nicht zu lange wären, und Lanzmann fing an, sie fürchterlich zu beschimpfen. Und das Publikum, das zwölf Stunden durchgehalten hatte, schimpfte gleich mit.

Ein Höhepunkt in seiner an Höhepunkten reichen Karriere?

Es war in Venedig bei der Biennale, Frey stand beim Eingang. Er sah eine riesige Traube an Fotografen und Kameraleuten auf sich zukommen. Plötzlich stand Prinzessin Diana vor ihm, schnappte sich ein Kind und knuddelte es, und alle wollten sie dabei fotografieren. Die hinter ihr drängten in seine Richtung, die hinter ihm schoben in Richtung der Lady. Und er mitten drin.

Kann er sagen, wieviele Beiträge er insgesamt gedreht hat?

"Ungefähr 15.000", sagt er.

Nun schimmert leise Wehmut in seinen Augen, die er sich kürzlich lasern ließ. Und dann reden wir noch stundenlang weiter. Denn wer viel erlebt hat, der hat auch viel zu erzählen

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Manfred Rebhandl, geb. 1966, lebt als Autor in Wien. Zuletzt ist von ihm der Krimi "Töpfern auf Kreta" (Czernin, 2015) erschienen.