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"Wir nivellieren nicht"

Von Eva Stanzl

Politik
"Müssen uns bei Unis an Kapazitäten orientieren": Bildungsministerin Hammerschmid.
© Andrei Pungovschi

Bildungsministerin Sonja Hammerschmid sieht in der Digitalisierung eine große Chance.


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"Wiener Zeitung": In den Schulen und Hochschulen gibt es einen Wechsel vom Leitmedium Buch zu Computer, Smartphones und Tablets. Ist das Bildungssystem und sind die Lehrkräfte auf die Digitalisierung ausreichend vorbereitet?

Sonja Hammerschmid: Wir sind mittendrin in einer Welle technologischer Neuerungen, die uns in eine neue Welt katapultieren. Heute können wir noch nicht erahnen, was das für junge Menschen und unseren Alltag in 15 bis 20 Jahren bedeuten wird. Wir sind in der Tat nicht ausreichend darauf vorbereitet. Das Bildungssystem muss der Herausforderung bis tief in den tertiären Sektor hinein begegnen. Im Ministerium erarbeiten wir derzeit eine Strategie für die Digitalisierung, um sie bestmöglich im System zu verankern. Dazu müssen wir nicht nur die Schulen mit iPads, Tablets, Smartphones oder Computer ausstatten, sondern auch Pädagoginnen und Pädagogen ausbilden, sodass sie mit der Digitalisierung und ihren neuen Logiken umgehen können. Die, die jetzt an pädagogischen Hochschulen beginnen, sind vielleicht schon "Digital Natives", aber jene, die seit 20 Jahren unterrichten, nicht. Zudem brauchen wir Infrastruktur und Lernmaterialien: Bloß ein PDF-formatiertes Lehrbuch ist ja nicht Digitalisierung. Wir müssen intelligente Lernmaterialien als Basis schaffen, die Kindern individuelles Lernen ermöglichen - etwa mit Systemen wie in Computer-Spielen. Dass sich jedes Kind seinem Potenzial entsprechend mit einem Thema auseinandersetzen kann, ist eine Riesenchance.

Wie meinen Sie das genau? Soll etwa jedes Kind etwas anderes lernen - wie bei Google, wo jeder Mensch andere Ergebnisse bei einer Suchabfrage bekommt?

Nein, man steuert den Lehrstoff über qualitätsgesicherte, geprüfte Lernmaterialien. Die Aufgaben kommen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zur Anwendung. Alle Schüler müssen die gleichen Grundkompetenzen erwerben und dieselben Standards beim Abschluss haben, aber je nach Potenzial können die Schüler darüber hinaus noch weitergehen. Damit nivellieren wir nicht auf einen Durchschnitt, sondern allen, die können und wollen, werden höhere Levels ermöglicht, und sie werden dabei unterstützt, mehr oder Vertiefendes zu machen.

Wann soll die Strategie zur Digitalisierung fertig sein und was soll die Umsetzung kosten?

Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass die Strategie im Herbst oder spätestens bis Ende des Jahres fertig ist, das Thema brennt unter den Nägeln. Schon jetzt gibt es eine Reihe von E-Learning-Plattformen mit qualitätsgeprüften Lernmaterialien, die sich Lehrer herunterladen können. Und wir haben ein Netzwerk geschaffen von mittlerweile 400 Schulen - bis 2020 sollte diese Zahl verfünffacht werden -, in dem solche Lernmaterialien entwickelt werden. Schulen, die sie einführen wollen, können sich abstimmen und einander bei den ersten Schritten helfen. Nun versuchen wir, alles zu bündeln und uns einen Überblick zu verschaffen, wo wir stehen und was noch nötig ist. Und dann müssen wir rechnen, schauen, was wir uns leisten können, und Mittel finden.

Sie bekommen 750 Millionen aus der Bankensteuer für die Ganztagsschulen. Haben Sie sich bereits auf ein Modell festgelegt - Verschränkung von Unterrichts- und Freizeitstunden oder normale Vormittagsschule mit Hort am Nachmittag?

Moment: Der Hort ist nicht gemeint. Aber wir haben bewusst gesagt, es ist offen, weil ich davon ausgehe, dass die Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort wissen, was für ihre Schüler und Eltern wichtig ist, und dass sie das im Zuge der Antragsstellung formulieren. Die Möglichkeiten reichen von verschränkt fünf Tage die Woche über verschränkt zwei bis drei Tage bis hin zur bewusst offenen Gestaltung der Nachmittage, wo Angebote geschaffen werden mit Musikschulen oder Sportvereinen je nach Interesse und Bedarf der Kinder. Ich setze sehr auf die Autonomie der Schulen und gehe davon aus, dass die Pädagogen das gut umsetzen werden.

Was zählt noch zu Ihrem Horizont bis 2018? Was möchten Sie noch bis dahin verwirklicht haben?

Ich will bei der ganztätigen Schulform in Kommunikation mit Schulträgern, Schulpartnern, Eltern und Lehrern mitten in der Umsetzung sein. Derzeit bereiten wir die weitreichende Autonomie vor, ein Riesenkonzept auch legistischer Natur. Es geht um eine pädagogische und personell-organisatorische Autonomie. Das fängt bei den Öffnungszeiten der Schulen an und reicht über die Länge der Unterrichtsstunden bis hin zu personellen Entscheidungen und die Leitungsfunktion der Direktion. Ich möchte wirklich freie Hand geben, denn nur wenn ein Team zusammenpasst, gibt es Erfolge.

Anders als sein Vorgänger lehnt Bundeskanzler Christian Kern die Wiedereinführung von Studiengebühren, ebenso wie Sie, nicht grundsätzlich ab. Wie geht es weiter, gibt es Gespräche?

Das Thema der Unis sind nicht die Studiengebühren, sondern die kapazitätsorientierte Studienplatzfinanzierung. Darüber muss man reden, speziell wenn man über den Ausbau des Fachhochschulsektors weiter nachdenkt. Hier wurde mit dem Bankenpaket der nächste Schritt getan, indem man sagte, man will die Fachhochschulplätze ausbauen. Und es wird nichts anderes übrig bleiben, als das mittelfristig in einem Gesamtkonzept zu denken und zu schauen, wie die tertiäre Bildungslandschaft aussieht. Gespräche werden geführt, mehr kann ich dazu noch nicht sagen.

Und wie soll die tertiäre Bildungslandschaft Ihrer Meinung nach aussehen?

Es ist ganz wichtig, dass die Qualität der universitären Bildung passt. Dazu müssen wir uns an den Kapazitäten orientieren und je nachdem, was wir wollen, die Prioritäten setzen und entsprechend finanzieren. Daran führt kein Weg vorbei. Wir müssen auch darüber nachdenken, welche Absolventen wir von den Unis und welche wir von den Fachhochschulen brauchen.

Hochschulbildung für die Zukunft muss auf zwei Ebenen gedacht werden: Von den Unis brauchen wir Absolventen, die interdisziplinär und gesamtheitlich über ihre Themenfelder hinaus denken, von den Fachholschulen solche, die der Arbeitsmarkt unmittelbar fordert. Und natürlich trachten wir danach, allen, die das Talent dazu haben, eine tertiäre Ausbildung zu ermöglichen. Ende 2017 ist das Budget der Unis für 2019 bis 2021 bekanntzugeben, das heißt, wir haben eineinhalb Jahre Zeit, uns vorzubereiten. Dem Wissenschaftsminister ist bewusst, dass der nächste Schritt getan werden muss.

Sonja Hammerschmid (48) ist seit Mai 2016 Bildungsministerin (SPÖ). Von 2010 bis 2016 war sie Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Hammerschmid studierte Biologie an der Universität Wien mit dem Studienzweig Genetik mit Nebenfach Tumorbiologie.